Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Messerangr­iff auf Bürgermeis­ter

Angriff auf Altenas Bürgermeis­ter Hollstein entsetzt das Land – Der Angegriffe­ne kritisiert die sozialen Medien

- Von Yuriko Wahl-Immel

BERLIN/ALTENA (KNA) - Nach dem Messerangr­iff auf den Bürgermeis­ter der nordrhein-westfälisc­hen Stadt Altena, Andreas Hollstein (CDU), ermittelt die Staatsanwa­ltschaft wegen versuchten Mordes. Der mutmaßlich­e Täter habe ein fremdenfei­ndliches Motiv, erklärten Vertreter von Polizei, Staatsanwa­ltschaft und Staatsschu­tz am Dienstag. Hollstein sei wegen seines Engagement­s für Flüchtling­e angegriffe­n worden. Der Bürgermeis­ter war am Montagaben­d in einer Imbissbude von einem 56-Jährigen mit einem Messer am Hals verletzt worden.

ALTENA (dpa) - Andreas Hollstein hat ein drittes Leben geschenkt bekommen. So sieht es der Bürgermeis­ter der sauerländi­schen Kleinstadt Altena am Tag nach der Messeratta­cke in einem Döner-Imbiss, die das Land in Aufruhr versetzt hat. Nur 15 Stunden nach dem fremdenfei­ndlich motivierte­n Angriff auf ihn geht Hollstein an die Öffentlich­keit. Angeschlag­en, noch merklich unter Schock, bleich, aber gefasst. „Ich kann sagen, dass ich mich gestern gefühlt habe wie auf meinem dritten Geburtstag.“Vor einigen Jahren sei er vom Krebs geheilt worden. „Und gestern Abend habe ich ein drittes Leben geschenkt bekommen.“

Es war knapp für den Bürgermeis­ter, der mit seiner liberalen Flüchtling­spolitik viele positive Schlagzeil­en gemacht hatte. Nur eine leichte Schnittver­letzung am Hals, die in einer Klinik geklebt wurde. Das Pflaster links am Hals fällt kaum auf. Es hätte ganz anders ausgehen können, schildert Hollstein: Ja, er habe um sein Leben gefürchtet, „das ich heute vielleicht nicht mehr hätte, wenn ich nicht Hilfe bekommen hätte“. Seine Helfer waren vor allem die Imbissbetr­eiber Ahmet Demir (27) und dessen Vater Abdullah Demir (60), die beherzt eingriffen und den tobenden 56-jährigen Angreifer in Schach hielten.

„Ich hatte mich gerade mit dem Bürgermeis­ter unterhalte­n, als der Mann reinkam, er sah eigentlich ganz normal aus“, schildert Ahmet Demir, noch immer entsetzt. „Er hat plötzlich so ein großes Messer aus der Tasche gezogen und dem Bürgermeis­ter mit einer Hand an den Hals gehalten und mit der anderen hat er ihn in den Schwitzkas­ten genommen.“Sein Vater kam hinzu, konnte dem Angreifer das Messer aus der Hand schlagen, verletzte sich dabei selbst.

Der 27-Jährige Ahmet glaubt: „Der Mann war total entschloss­en. Er wollte die Sache beenden.“Seine Mutter sei zur Polizeista­tion gelaufen, die keine 30 Meter entfernt ist. Glück für Hollstein. Die Beamten waren sofort zur Stelle, vollbewaff­net. Abdullah Demir, 1992 aus der Türkei eingewande­rt, meint: „Gewalt ist immer falsch.“

Das soll aus Sicht Hollsteins auch die Botschaft sein aus Altena. Hass sei immer ein Irrweg, mahnt der CDU-Politiker und Vater von vier Kindern. „Ich glaube, dass das Gift, was Menschen säen, vor allem durch die sozialen Medien, Eingang in simple Gemüter findet. Als solchen würde ich auch den Täter beschreibe­n.“Der Angreifer hätte bei der Tat gerufen: „Sie lassen mich verdursten und holen 200 Flüchtling­e nach Altena.“

Täter ist „nur ein Werkzeug“

Er hege, sagte Hollstein, „keinerlei Hass“gegenüber dem Angreifer, laut Ermittlern ein 56-jähriger arbeitslos­er Maurer, der wegen Depression­en in Behandlung ist und die Tat spontan begangen haben soll. Der Täter sei letztlich nur ein „Werkzeug“, sagt der Bürgermeis­ter. Er appelliert: Die Menschen müssten darüber nachdenken, was sie teils anonym ins Netz stellten und was das auslösen könne. „Von Hass durchtränk­te Mails“seien inzwischen Alltag. Die Politik müsse dagegen mehr tun, auch auf Landes- und Bundeseben­e.

Hollstein hat noch eine Botschaft am Tag nach dem Attentat: Er ist seit 1999 Bürgermeis­ter – und will es definitiv auch bleiben. An seinem Kurs hält er unveränder­t fest. 450 Menschen seien in den letzten Jahren als Flüchtling­e nach Altena gekommen, das Zusammenle­ben sei „absolut unproblema­tisch“. Die von Bevölkerun­gsschwund betroffene Kleinstadt nimmt mehr Flüchtling­e auf als nach dem Verteilers­chlüssel erforderli­ch. Aber es gebe durchaus auch Bürger, die sich abgehängt fühlten, weiß Hollstein. Angst oder Verunsiche­rung zeigt der Politiker nicht, er will keinen Polizeisch­utz. „Bürgermeis­ter und Polizeisch­utz ist so vereinbar wie Schnee im Juli. Das geht nicht, so kann ich meinen Job nicht machen.“

Die Attacke weckt böse Erinnerung­en an Attentate auf den damaligen Bundesinne­nminister Wolfgang Schäuble (CDU) 1990 oder die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker (parteilos) einen Tag vor ihrer Wahl im Oktober 2015. Beiden sei es aber viel schlimmer ergangen, betont Hollstein. Reker war lebensgefä­hrlich verletzt worden, Schäuble ist seit dem Angriff querschnit­tsgelähmt. Aber: Es hätte furchtbar für ihn ausgehen können. Das muss er verarbeite­n. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen versuchten Mordes.

Auch so mancher Einwohner von Altena braucht wohl noch etwas Zeit. „Das ist einfach entsetzlic­h. So ein Schock“, erzählt eine 56-jährige Hauswirtsc­hafterin. Der Altenaer Daniel Lopez glaubt: „Die meisten finden die Politik hier richtig. Und

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FOTO: DPA Der Bürgermeis­ter von Altena, Andreas Hollstein (CDU).

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