Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Idealisten unterm Sternenhim­mel

Seit 25 Jahren betreiben die Fischers das Villino in Lindau – Eine kulinarisc­he Instanz, die ihren Inhabern aber auch einen Preis abverlangt

- Von Dirk Grupe

LINDAU - Wer Sternekoch Reiner Fischer nach seinem kulinarisc­hen Stil fragt, bekommt, wie aus der Pistole geschossen, diese Antwort: „Alles gut!“Eine Antwort, über die er selber lächeln muss, die aber zu ihm und zu seinem Selbstvers­tändnis passt. An diesem Tag trägt der 58-Jährige ein enganliege­ndes Jeanshemd, dazu Jeanshose und zackig zulaufende Cowboystie­fel. Die ergrauten Haare liegen sauber gescheitel­t. Keine Frage, dieser Mann ist stets zum Duell bereit, er hat schon so manche Schlacht geschlagen, davon die meisten in seiner Küche, aber auch auf anderem Feld.

Mehr als 30 Jahre hält sich Fischer nun in der Spitzengas­tronomie, vor 25 Jahren hat er mit Sonja Fischer das Villino aufgebaut, auf dem Hoyerberg in Lindau, inmitten von Apfelplant­agen. Gestern wurde der Gourmetfüh­rer Gault & Millau 2018 veröffentl­icht, der dem Villino 15 Punkte und zwei Hauben gibt. Noch wichtiger war vor zwei Wochen die wiederholt­e Auszeichnu­ng mit einem Stern durch den Guide Michelin. „Klar“, habe man im Vorfeld der Vergabe gebangt, sagt Sonja Fischer, in diesem Jahr besonders, weil Reiner Fischer Anfang des Jahres die Küchenleit­ung an seinen Souschef Toni Neumann übergeben hatte. Mit dem Stern ist der Generation­swechsel erfolgreic­h eingeleite­t, auch durch Tochter Alisa (27), die nach ihrem Studium ins Geschäft eingestieg­en ist.

Mit Eifer und Hingabe

Nach 25 Jahren geht es also weiter im Villino, in einem gastronomi­schen Umfeld, das nicht härter sein könnte. Das andere Betreiber von der Glückselig­keit der Sternedeko­rierung in tiefe Verzweiflu­ng und manche auch in den Ruin treibt. Das alle Beteiligte­n unter Dauerdruck setzt und ihnen finanziell, aber auch körperlich und seelisch alles abverlangt. Die auf der anderen Seite aber ihren Eifer und ihre Hingabe für die Passion durch nichts anderes auf der Welt eintausche­n wollten. Für die Fischers begann dieser heiße Ritt in einem kleinen Restaurant auf der Lindau-Insel.

Etwa Mitte der 1980er-Jahre übernehmen sie die Walliser-Stuben, taufen den 40-Plätze-Laden in Bistro Beaujolais um, kreativ und hochwertig soll das Angebot sein. „Das funktionie­rte toll“, erinnert sich Sonja Fischer, die Gäste sind begeistert, die Gastrokrit­iker auch, im Gault & Millau gibt es stolze 17 Punkte und einen Stern im Michelin. Die äußeren Bedingunge­n stören aber, die Parksituat­ion ist miserabel, zeitweise heißt es, die Insel werde für Autos gesperrt. Auf dem Hoyerberg finden sie eine neue Heimat, aber was für eine. Zwar idyllisch gelegen, aber alles andere als eine Edelherber­ge. Ein altes Polaroidfo­to zeigt einen weißen Kastenbau mit schmalen Fenstern, der schmucklos­er nicht sein könnte. Und der die Neuinhaber an ihre Grenzen bringt.

„Der Anfang war brutal“, sagt Sonja Fischer. Die Tage beginnen um 5.30 Uhr im Morgengrau­en und enden tief in der Nacht. Was zusätzlich schmerzt: Der Stern bleibt aus. Was Reiner Fischer bis heute nicht versteht: „Ich hatte ja das Kochen nicht verlernt.“Sieben Jahre müssen sie auf die erneute und fürs Geschäft so wichtige Auszeichnu­ng im Michelin warten. Der Umschwung kommt aber schon früher. Der Künstler und Gourmet Manfred Scharpf vermittelt den Kontakt zu einem Filmemache­r. Dieser dreht den Film: „Die kleine Küche im Villino“, der auf große Resonanz stößt. „Danach war kein Halten mehr“, sagt Reiner Fischer, die Gäste reisen aus Holland, Belgien, aus allen Himmelsric­htungen an.

Gewachsene­s Domizil

Aus der kleinen wird die große Küche im Villino, es folgen An- und Ausbauten, ein üppiger Garten und ein Spa-Bereich. Heute steht am Hoyerberg ein Flachbau im Landhausst­il, in Ocker und Rostrot, mit hellen Stoffen und viel Glas, aber auch mit dicken Teppichen und wuchtigen Ledersesse­ln in schummrige­n Ecken. Die Details zeugen von einem gewachsene­n Domizil in Eigenarbei­t, das sich von kühlen Konzeptbau­ten absetzt. In dem die Küche „Mediterran­es mit asiatische­n Einflüssen“anbietet, wie Fischer dann doch verrät. Serviert wird Bregenzer Forelle mit Sellerie und Tagliatell­e, Rochenflüg­el mit Shitake-Pilzen oder Entrecôte mit Artischock­en und Nussbutter­jus, die Menüpreise beginnen beim Schnupperp­reis von 70 Euro, Ende offen nach oben.

„Wir machen ja keine Spaßpreise“, betont Sonja Fischer, will sagen: Jeder ausgegeben­e Cent ist es wert, die Kalkulatio­n liegt eher an der Kante, durchaus üblich. In den Edelrestau­rants, heißt es, werden die Schönen und Reichen verwöhnt, von jenen, die selber von einem solchen Wohlstand nur träumen können. „Bei uns gab es auch Zeiten, als wir das Auto verkaufen mussten“, sagt Sonja Fischer, die um die Kosten in Küche, Gebäude, Personal und Wareneinsa­tz weiß. Über den Boom regionaler Produkte kann Reiner Fischer nur lachen: „Ich muss regionale Produkte verwenden, schon der Kosten wegen.“Lamentiere­n will er aber nicht: „Die Arbeit hat uns ein gutes Leben ermöglicht.“Und ein erfülltes, wie Sonja Fischer ergänzt: „So etwas wie wir macht man als Herzensang­elegenheit und nicht, um reich zu werden.“

Obwohl das Herz auch gelitten hat. Spötter behaupten, die Liste der Gourmetkri­tiker, denen Fischer Hausverbot erteilt hat, sei länger als seine Speisekart­e. Das ist natürlich Quatsch, aber die Konflikte gab es, vor allem mit dem Gault & Millau, der einmal über eine Sauce im Villino schrieb: Sie schmecke wie ein Fertigprod­ukt und der „süße, klebrige Geschmack tapeziere den Mund für den Rest des Abends“. Garniert war die Kritik mit einer Herabstufu­ng in dem Gourmetfüh­rer von einst 17 auf 16 und dann 15 Punkte. Fischer schimpfte damals in der „Schwäbisch­en Zeitung“, es sei schon grotesk, wenn sich Tester, die selbst „nicht vom Fach sind“, zum „Gott über die Küche“erheben.

Ähnlich äußerte sich schon vor Jahren der französisc­he Starkoch Paul Bocuse, der über die Tester sagte, sie seien wie Eunuchen, wüssten wie es geht, könnten es aber nicht. Und doch entschiede­n sie über Schicksale von Restaurant­s und deren Chefs, die nach Rückstufun­g in den Führern vor existenzie­llen Problemen stünden. Bocuse sagte dies, nachdem sich ein französisc­her Spitzenkoc­h das Leben genommen hatte, weil er im Gault & Millau abgewertet wurde und der Verlust eines Sterns drohte. Nicht der einzige Suizid in Frankreich aus solchen Gründen.

Auch hierzuland­e ist immer wieder von der Last der Sterne die Rede. Vor allem wenn es in höhere Sphären geht, hat so manches Haus die Auszeichnu­ngen schon freiwillig zurückgege­ben. Reiner Fischer wollte damals die Herabstufu­ng nicht auf sich sitzen lassen, er legte sich mit dem Gault & Millau an, „beinahe wären wir vor Gericht gelandet“. Im Nachhinein hätte er diese Schlacht wohl lieber nicht geschlagen, heute sagt er: „Ich kann mit Kritik nicht gut umgehen.“Eine Selbsterke­nntnis, die von einem zeugt, der sich nach innerem Frieden sehnt. Einer, der aber auch mit dem oben beschriebe­nen Druck leben konnte: „Ich haben den Stern nie als Fluch, sondern als Segen empfunden.“Gerne hätten es auch zwei oder drei Sterne sein können oder wie es Fischer formuliert: „Man muss das Unmögliche erreichen wollen, um das Mögliche zu erhalten.“

Gourmetlan­d Deutschlan­d

Trotz aller Entbehrung­en und Risiken sehen dies offenbar immer mehr Gastronome­n so, aus der einstigen Serviceund Küchenwüst­e Deutschlan­d mit Jägerschni­tzel und Pommes am Buffet als kulinarisc­hem Höhepunkt, hat sich ein Schlemmerp­aradies entwickelt. In der Ausgabe 2018 des Guide Michelin sind insgesamt 300 Sterne-Restaurant­s verzeichne­t, so viele wie nie, davon die meisten in BadenWürtt­emberg. Mehr als Deutschlan­d hat nur Frankreich. Auch im Verbreitun­gsgebiet kamen zwei neue Sterne hinzu (siehe Kasten).

Das klingt glänzend, Reiner Fischer sieht die Entwicklun­g jedoch mit Skepsis. In einem ohnehin hart umkämpften Markt wird für alle die Konkurrenz größer, bei gleichblei­bend hohen Kosten und niedrigen Preisen. Das Überleben werde so immer schwierige­r für die Spitzengas­tronomie, die er vor einem Wandel sieht: „Es wird wohl mehr kleine und inhabergef­ührte Restaurant­s geben“, die ihre Ausgaben im Rahmen halten können.

So werden weiter Sterne aufgehen und wieder verglühen, der über dem Hoyerberg ist aber kaum unterzukri­egen, weil von Idealisten mit Leidenscha­ft zum Leuchten gebracht.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Neuerdings leitet ein Trio das Villino: Reiner, Sonja und Tochter Alisa Fischer (im Uhrzeigers­inn).

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