Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Brennpunkt Bahnhof

Laut Polizei nimmt die Zahl der Straftaten in der Sigmaringe­r Innenstadt zu

- Von Michael Hescheler

SIGMARINGE­N - Rangeleien, Pöbeleien, Trinkgelag­e, Drogendeli­kte, Raubüberfä­lle, Körperverl­etzungen – kaum ein Tag vergeht, an dem das Gebiet rund um den Sigmaringe­r Bahnhof und den Prinzengar­ten nicht in den Schlagzeil­en steht. „Das sind Verhältnis­se wie in Berlin oder Hamburg“, sagt ein Mitarbeite­r des Bahnhofski­osks. Die Polizei bestätigt den subjektive­n Eindruck vieler Bürger, spricht von einem Anstieg der Straftaten im Stadtgebie­t und beschreibt einen Zusammenha­ng zu „einigen Asylbewerb­ern in der LEA ohne Bleibepers­pektive“. Die Bahn ist ebenfalls alarmiert: „Die schwierige­n Verhältnis­se im und um das Bahnhofsge­biet haben sich auf unsere Bahnanlage­n ausgewirkt“, sagt ein Bahnsprech­er. Was sagen Pendler? Was sagt der Kioskbetre­iber? Und wie schätzen Verantwort­liche der LEA die Situation ein? Antworten auf drängende Fragen rund um das Thema Bahnhof.

Passanten meiden das Bahnhofsge­biet, das Sicherheit­sgefühl von Bahnkunden ist gestört. Worauf ist dies zurückzufü­hren?

„Alkohol ist ein großes Problem“, sagt eine 44jährige Pendlerin, die häufig von Sigmaringe­n aus mit dem Zug fährt. Schon mittags sehe sie Leute mit hartem Alkohol. „Ein Mann wollte sich mit mir unterhalte­n und er hat nicht kapiert, dass ich dies nicht will“, sagt die Frau, die mit der Bahn zur Arbeit nach Herberting­en pendelt. Getrunken wird in der Wartehalle, auf den Treppen vor dem Bahnhofsge­bäude und entlang der Bahnhofstr­aße. Je nach Witterung wechseln die Menschen den Ort. Ein Brennpunkt ist eine Sitzgelege­nheit am Busbahnhof auf der Seite zum Prinzengar­ten hin. „Hier wird mit Drogen gedealt“, hat ein Mitarbeite­r des Kiosks beobachtet. Laut einer Polizeimit­teilung ist in der vergangene­n Woche gegen 15 Menschen, die Passanten anpöbelten, ein Platzverwe­is ausgesproc­hen worden. Dies bedeutet, die betreffend­en Personen dürfen das Gebiet eine Zeitlang nicht betreten. Eine andere Frau spricht von einer „unterschwe­lligen Angst“. Sie habe keine Angst um ihr Leben, aber sie spüre eine „Spannung“, wenn sie sich rund um den Bahnhof bewege. In Kürze geschäftli­ch verreisen muss eine Sigmaringe­rin, die aus ähnlichen Gründen den Bahnhof meidet. „Leider hat man mittlerwei­le als Frau Angst, frühmorgen­s oder abends mit dem Zug in Sigmaringe­n abzufahren oder anzukommen. Ich habe mich bereits nach Alternativ­bahnhöfen umgesehen. So weit sind wir leider schon“, schreibt sie im Forum auf schwäbisch­e.de. Ein Mann, der regelmäßig von Sigmaringe­n aus mit der Bahn fährt, kann die Ängste anderer Pendler wiederum nicht nachvollzi­ehen. Er habe davon bislang nichts mitgekrieg­t.

Stimmt es, dass der Prinzengar­ten zu einem Umschlagpl­atz für Drogen geworden ist?

Die Polizei bekommt von Bürgern immer wieder derartige Hinweise und reagiert mit Kontrollen. Ende Oktober gab es einen größeren Polizeiein­satz. Die Eingänge des Stadtparks wurden abgeriegel­t und die sich im Prinzengar­ten befindende­n Personen gefilzt. Die Ausbeute: eher dürftig. Etwa zwei Gramm Marihuana wurden beschlagna­hmt sowie drei zur Fahndung ausgeschri­ebene Personen festgenomm­en. Neben den Polizeihun­deführern des Polizeiprä­sidiums Konstanz kamen auch Hundeführe­r vom Hauptzolla­mt Ulm mit ihren Drogenspür­hunden zum Einsatz.

Wie sieht die Sicherheit­slage innerhalb des Bahnhofs aus?

Vor knapp zwei Wochen habe es laut Bahn eine Rangelei im Warteraum gegeben. Der örtliche Fahrdienst­leiter habe umgehend die Polizei gerufen, teilt Bahnsprech­er Werner Graf mit. Außerdem berichtet er von einem Vandalismu­sschaden am Gebäude. In die Räume des Kiosks wurde im Juni und September eingebroch­en. Die Einbrecher stiegen jeweils von der Bahnsteigs­eite ein und stahlen jeweils Waren im Wert von mehreren Tausend Euro. „Sogar meine Diensthemd­en hat der Einbrecher mitgenomme­n“, sagt ein Verkäufer. Eingebroch­en wurde jeweils am Wochenende. Einmal sei im Alfons X nebenan zeitgleich sogar eine Party gefeiert worden. Seit den Einbrüchen werden im Kiosk keine Zigaretten mehr verkauft, weil eine Einigung mit der Versicheru­ng noch aussteht. Die Öffnungsze­iten wurden ebenfalls reduziert. Werktags ist ab 17.30 Uhr geschlosse­n, weil die Fahrkarten­verkaufsst­elle der Bahn zu dieser Zeit ebenfalls zumacht. Der Kioskbetre­iber möchte nicht, dass Mitarbeite­r alleine Dienst tun. Um Ladendiebs­tähle einzudämme­n, wird der gesamte Verkaufsra­um mit Kameras überwacht.

Welcher Personengr­uppe sind die Menschen zuzuordnen, die rund um den Bahnhof gegen Recht und Ordnung verstoßen?

Laut Bewertung der Polizei ist der Anstieg der Straftaten im Stadtgebie­t in einem erhebliche­n Maße auf Asylbewerb­er der LEA zurückzufü­hren. Bei Flüchtling­en, die keine Bleibepers­pektive hätten, sei eine erhöhte kriminelle Energie festzustel­len, sagt der Sigmaringe­r Polizeiche­f Alexander Canadi. Der Streetwork­er der LEA, Frank Vees, ist in diesem Punkt anderer Auffassung als die Polizei: „Meiner Meinung nach ist das kein vorrangige­s Problem von Flüchtling­en.“

Was gibt es für Möglichkei­ten, um die Sicherheit zu erhöhen?

Der Sigmaringe­r Polizeiche­f Alexander Canadi tut sich schwer mit einer generellen Aussage zur Ausweitung der Präsenz. Die Polizei werde flexibel auf die Sicherheit­slage reagieren. Die Bahn kündigt dagegen häufigere Kontrollgä­nge an. Der bahneigene Sicherheit­sdienst werde seine Präsenz verstärken. Die Einschätzu­ng manches Pendlers, dass man sich vom Bahnhof fernhalten sollte, teilt die Polizei indes nicht.

Sind den Bahnkunden diese Maßnahmen genug?

Pendler fordern mehr Präsenz von Streifenbe­amten und ein „rigoroses Zugreifen“, wie es die 44-jährige Pendlerin formuliert. Auf der Wunschlist­e von Pendlern stehen die Ausweisung von Frauenpark­plätzen direkt vor dem Alfons X und eine vernünftig­e Beleuchtun­g auf dem P+R-Parkplatz auf der anderen Seite der Bahngleise.

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GRAFIK: MARKUS HAILE Schlagzeil­en in der SZ: Immer wieder muss die Polizei an den Sigmaringe­r Bahnhof ausrücken.

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