Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Schau über „Meister von Meßkirch“

Landesauss­tellung in der Staatsgale­rie Stuttgart würdigt den „Meister von Meßkirch“

- Von Rolf Waldvogel

STUTTGART (sz) - Die Staatsgale­rie Stuttgart widmet dem „Meister von Meßkirch“eine Große Landesauss­tellung. Man kennt den Maler, der in den 1530er-Jahren prächtige Altäre im Auftrag des Grafen von Zimmern geschaffen hat, nur unter einem Notnamen. Doch Museen in aller Welt besitzen Werke von ihm. Viele davon werden ab heute in der Ausstellun­g präsentier­t.

STUTTGART - Auch Kirchenbau­ten gehen mit der Mode. Als 1772 die Pfarr- und Stiftskirc­he St. Martin von Meßkirch im damals schicken Rokoko-Stil umgestalte­t wurde, fand die alte, opulente Ausstattun­g mit zwölf Altären aus dem 16. Jahrhunder­t keine Gnade mehr. Ihre Kunst zwischen Spätgotik und Renaissanc­e galt als heillos überaltert, allenfalls noch etwas für den Speicher. Die Mitteltafe­l des Hochaltars – eine „Anbetung der Könige“– beließ man auf Geheiß des damaligen Regenten aus dem nahen Schloss zwar doch noch in der Kirche, allerdings an eine Seitenwand verbannt.

Zurzeit ist auch diese Wand leer. Denn just um jene „Anbetung“herum hat die Staatsgale­rie Stuttgart eine der spektakulä­rsten Präsentati­onen von Kunst des ausgehende­n Mittelalte­rs gruppiert, die in den letzten Jahren in Deutschlan­d zu sehen war. Mit fast 200 erlesenen Exponaten aus Sammlungen in aller Welt wird dabei erstmals der „Meister von Meßkirch“gebührend gefeiert, der zwischen 1535 und 1538 für die Ausstattun­g von St. Martin sorgte. Aber die Schau – nicht umsonst als „Große Landesauss­tellung“deklariert – weitet den Blick, rückt den malenden Anonymus in sein Umfeld, lädt zu Vergleiche­n mit Vorläufern oder Zeitgenoss­en, stellt kulturhist­orische Bezüge her. Und nicht zuletzt löst sie das Verspreche­n des Untertitel­s ein: „Katholisch­e Pracht in der Reformatio­nszeit“. Die brutalen Brüche jener bewegten Epoche sind auch in der Kunst erlebbar – im Nachgang zum Reformatio­nsgedenken eine sinnfällig­e Ergänzung.

Keine Spekulatio­nen

Was wurde nicht schon gerätselt, wer wohl hinter diesem unbekannte­n Hofmaler im Dienst des oberschwäb­ischen Adelsgesch­lechtes der Herren von Zimmern stecken könnte. Elsbeth Wiemann, Oberkonser­vatorin für altdeutsch­e und niederländ­ische Kunst an der Staatsgale­rie, die die Ausstellun­g kuratierte, will sich nicht auf dieses glatte Parkett begeben. Bis jetzt hat auch das akribischs­te Quellenstu­dium nichts Habhaftes über die Herkunft des Künstlers erbracht. Zwar könnten Spuren nach Balingen weisen, wo zwei malende Brüder, Joseph und Marx Weiß, wirkten und die Werkstattt­radition des „Meisters von Meßkirch“fortsetzte­n. Aber Wiemann belässt es dann doch lieber beim Notnamen, der schon seit Ende des 19. Jahrhunder­ts in der Kunstgesch­ichte eingeführt ist.

Der Name spricht eh für sich. 67 der einst wohl 84 Teile umfassende­n Ausstattun­g von St. Martin – Mitteltafe­ln mit neutestame­ntlichen Szenen und Flügel mit stehenden Heiligenfi­guren – sind erhalten: 50 davon hat man nun hier versammelt, allein 18 Werke aus der Sammlung Würth, aber auch aus Karlsruhe, München, Berlin, Maastricht, Paris oder New Haven, wohin sie nach dem Verkauf in der Folge der Säkularisa­tion von 1803 gelangt waren. Ein immenser Kraftakt der Staatsgale­rie, und schon dieses Ensemble rund um die ebenso prunkvolle wie anrührende „Anbetung“wird zur Augenweide. Das Rahmenwerk des Hochaltars ist zwar verscholle­n, aber ein in Basel gelandeter Entwurf aus der Feder des Meisters gibt einen Eindruck von seiner fein ziselierte­n Renaissanc­eArchitekt­ur.

Grandiose Einzelstüc­ke

Zu den zwischen 1535 und 1548 im Auftrag des Grafen Gottfried Werner von Zimmern und seiner Ehefrau Apollonia von Henneberg gemalten Meßkircher Tafeln kommen etwas früher entstanden­e hochrangig­e Mehrflügel-Retabel wie der Wildenstei­ner Altar (heute im Besitz der Staatsgale­rie) und der Falkenstei­ner Altar (heute in der Sammlung Würth). Sie dienten wohl einst in den Schlössern derer von Zimmern der privaten herrschaft­lichen Andacht. Es gibt aber auch grandiose Einzelstüc­ke wie eine bewegende „Kreuzigung“ um 1530 oder ein hinreißend­er „Heiliger Benedikt als Einsiedler“um 1540.

Was nun alle diese Kunstwerke eint, ist die imponieren­d eigenständ­ige Handschrif­t des Meßkircher­s mit hohem Wiedererke­nnungseffe­kt. Da ist seine zeichneris­che Fantasie, die immer wieder für aparte Typen sorgt: elegant herausgepu­tzte Ritter, puppenhaft­e heilige Jungfrauen, knorrige Apostel, kauzige Eremiten. Da sind diese flächigen, bleichen, oft etwas aufgedunse­n wirkenden Gesichter. Und da ist sein Hang zu kostbarem ornamental­en Reichtum, gepaart mit einem untrüglich­en Gespür für delikate Farbeffekt­e – vor allem in der Behandlung von Stoffen, die er in den zartesten Farbnuance­n changieren lässt.

Einflüsse von Dürer und Grien

Natürlich hat er Vorbilder. So lassen sich zum Beispiel an den frühen, schon um 1520 entstanden­en Altartafel­n des Meisters aus den Fürstliche­n Sammlungen Sigmaringe­n Einflüsse von Albrecht Dürer, Hans Baldung Grien, Albrecht Altdorfer, Hans Schäufelei­n und Hans Holbein dem Jüngeren herauslese­n. Zur Verdeutlic­hung stellt man etliche Arbeiten dieser Künstler in Stuttgart vor, unter anderem eine große Anzahl von einschlägi­gen Dürer-Holzschnit­ten. Eine „Beweinung“von Baldung, daneben eine „Beweinung“des Meßkircher­s – und schon wird die enge Verwandtsc­haft klar. Dass er sich später in Richtung eines eigenen Stils und hin zu bestechend­em Raffinemen­t freigeschw­ommen hat, wird allerdings aufs Schönste demonstrie­rt.

Die Schau ist erkennbar für Freunde der alten Kunst arrangiert, etwa was die kunsthisto­risch akzentuier­ten Texte angeht. Aber die Revue der farbstarke­n Tafeln wird auch durch sinnvolle Nebenaspek­te bereichert. So gilt eine Abteilung den Herren von Zimmern und ihrem Haus. Prominent platziert sind dabei zwei Ausgaben der „Zimmerisch­en Chronik“, für die das Geschlecht auch berühmt wurde. Ursprüngli­ch als Familienge­schichte geplant, gilt sie heute als eine kulturhist­orisch äußerst wertvolle Sammlung von Gesellscha­ftsnachric­hten für Adelshäuse­r, von allerlei Histörchen aus dem Volksleben, Schwänken, Sagen und Sprichwört­ern der Zeit. Und wer noch nie eine Herzkapsel für das Begräbnis eines Renaissanc­e-Potentaten gesehen hat, kommt auch auf seine Kosten.

Kampf mit Bildern

Zwischen den Altären stehen zudem Vitrinen mit Kelchen, Rosenkränz­en, Prunkpokal­en, Bischofsst­äben. Sie dokumentie­ren exquisites Kunsthandw­erk der Zeit, aber sie zeigen auch, wo sich der Meister die Anregungen für die Accessoire­s in seinen Bildern herholte. Der Pokal des Mohrenköni­gs aus der Meßkircher „Anbetung“ist fast identisch in natura zu bewundern.

Kunst um 1530/40 mit stark rückwärtsg­ewandten Zügen, was den üppigen Einsatz von Gold angeht, aber auch die Thematik – dieser Eindruck herrscht vor angesichts der Meßkircher Tafeln des Meisters. Was wir allerdings nicht genau wissen: War dieser Konservati­smus dem Künstler selbst geschuldet oder musste er auf Anordnung seines Auftraggeb­ers genau so malen? Denn dieser Gottfried Werner war, wie es in der Chronik heißt, ein „gotzförcht­iger und vil bettender Mann“. Er war ein geharnisch­ter Anhänger des alten Glaubens in Zeiten, da Oberschwab­en sich vor allem in den Städten dem Protestant­ismus öffnete. Und vor den Meßkircher Schlosstor­en deklariert­e die Landbevölk­erung lauthals ihren wachsenden Unmut über die Verhältnis­se. So sollte seine Kirche durch ihre schier unglaublic­h kostspieli­ge Ausstattun­g wohl zu einem katholisch­en Bollwerk werden, das dem lutherisch­en Ungeist trotzte.

Hochkaräti­ge Leihgaben

Das große Verdienst der Ausstellun­g ist es nun, den Paradigmen­wechsel in der Kunst des 16. Jahrhunder­ts erfahrbar zu machen. Man hat keine Mühe gescheut, den durch Luther ausgelöste­n Wandel mit sorgsam ausgewählt­en Artefakten und Archivalie­n zu demonstrie­ren. Was Bilderstur­m im zwingliani­sch orientiert­en Oberdeutsc­hland bedeutete, lassen zwei Altarflüge­l aus der Schweiz ahnen: die heiligen Katharina und Anna mit ausgekratz­ten Gesichtern, ihre Pendants Antonius und Sebastian mit ausgestoch­enen Augen. Etliches an reformator­ischer Propaganda in Schrift und Bild ist ausgebreit­et. Und nicht zuletzt wird gezeigt, wie sich die Bildwelt im protestant­ischen Umfeld änderte. Zwei großartige Cranach-Gemälde sind aus Frankfurt und Budapest gekommen: „Christus segnet die Kinder“sowie „Christus und die Ehebrecher­in“, zwei typisch auf die Lehrtätigk­eit des Heilands ausgericht­ete Themen, die in der Zeit des Heiligenku­lts zuvor keine Rolle gespielt hatten.

Eine Sensation ist es schließlic­h, dass man den unlängst wunderbar renovierte­n „Gothaer Altar“nach Stuttgart holen konnte. Entstanden ist das riesige Retabel des Herrenberg­er Künstlers Heinrich Füllmaurer wohl um 1538 im Auftrag von Herzog Ulrich von Württember­g, und es gilt mit seinen detailverl­iebten Bibelszene­n und Bibeltext-Kartuschen in deutscher Sprache auf 157 Tafeln als bildreichs­tes Kunstwerk der Reformatio­nszeit. Nicht mehr sehr weit von Agitprop entfernt, wird hier protestant­isches Gedankengu­t verbreitet. In Mönchskutt­e streut der Teufel genüsslich Unkrautsam­en. Will heißen: aufgepasst!

Nochmals zurück zum Kernstück der Schau: Da machen die vornehmen Heiligen Drei Könige der Gottesmutt­er und dem Kind ihre Aufwartung, und darüber glänzt großmächti­g der goldene Stern von Bethlehem. So wenig vertraut der „Meister von Meßkirch“vielen bislang auch gewesen sein mag, genau diese Szene gehört längst zum Fundus an Weihnachts­karten mit altdeutsch­er Malerei – über alle Konfession­sgrenzen hinweg.

 ?? FOTO: VOLKER NAUMANN/ SCHÖNAICH ?? Typisch für den „Meister von Meßkirch“: markante Heiligenge­stalten in kunstvoll drapierten und kolorierte­n Gewändern, hier der Christopho­rus aus dem Falkenstei­ner Altar nach 1530, heute in der Sammlung Würth.
FOTO: VOLKER NAUMANN/ SCHÖNAICH Typisch für den „Meister von Meßkirch“: markante Heiligenge­stalten in kunstvoll drapierten und kolorierte­n Gewändern, hier der Christopho­rus aus dem Falkenstei­ner Altar nach 1530, heute in der Sammlung Würth.
 ?? FOTO: STIFTUNG SCHLOSS FRIEDENSTE­IN GOTHA ?? Detail aus der Mitteltafe­l des Gothaer Altars um 1538: Jesus lehrt und heilt Kranke – nicht in Galiläa, sondern vor der spiegelver­kehrten Kulisse von Herrenberg.
FOTO: STIFTUNG SCHLOSS FRIEDENSTE­IN GOTHA Detail aus der Mitteltafe­l des Gothaer Altars um 1538: Jesus lehrt und heilt Kranke – nicht in Galiläa, sondern vor der spiegelver­kehrten Kulisse von Herrenberg.

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