Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Union lehnt SPD-Kernthemen ab

Bürgervers­icherung könnte Streitpunk­t werden – Spahn: „Dann machen wir es eben allein“

- Von Andreas Herholz

BERLIN (dpa) - Vor ersten Gesprächen über eine erneute große Koalition prallen die unterschie­dlichen Vorstellun­gen von Union und SPD aufeinande­r. So erteilten Unionspoli­tiker der Forderung der Sozialdemo­kraten nach einer Bürgervers­icherung eine Absage. Eine neue Große Koalition könne nur gelingen, „wenn wir uns der Unzufriede­nheit bei den Themen Innere Sicherheit, Migration und Integratio­n stellen“, sagte CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn der „Bild am Sonntag“.

SPD-Vize Ralf Stegner warnte die Union vor roten Linien. „Das ist nicht schlau“, sagte er dem „Tagesspieg­el“. Zugleich erteilte er Forderunge­n nach einer längeren Aussetzung des Familienna­chzugs für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutzstat­uts eine Absage. „Weder kommen für uns grundgeset­zwidrige Obergrenze­n infrage noch ist der Schutz von Ehe und Familie eine verhandlun­gstaktisch­e Frage. Auch beim Familienna­chzug für Ehepartner und minderjähr­ige Kinder geht es um Grundrecht­e.“

Ein SPD-Parteitag hatte sich zuvor für Gespräche über eine Regierungs­bildung ausgesproc­hen. Rote Linien haben die Sozialdemo­kraten dabei zwar nicht gezogen, aber elf Kernthemen für eine mögliche Koalition aufgestell­t. Dazu zählen die von der Union abgelehnte Wiederzula­ssung des Familienna­chzugs, eine Solidarren­te sowie eine Bürgervers­icherung. Am Mittwoch starten erste Gespräche der Spitzen von Union und SPD – neben Schwarz-Rot sind eine Unions-Minderheit­sregierung und Neuwahlen Optionen.

CSU-Chef Horst Seehofer erklärte, eine Bürgervers­icherung werde es mit seiner Partei nicht geben. „Ich sehe nicht, wie man sie so umsetzen kann, dass sie nicht für Ungerechti­gkeiten sorgt“, sagte er dem „Spiegel“.

Spahn sagte mit Blick auf die SPD, er finde es abenteuerl­ich, „wie scheu diese Partei die Regierungs­verantwort­ung umtanzt“. Er sprach sich für eine Minderheit­sregierung aus, sollten die Gespräche scheitern. „Wenn es mit der SPD gar nicht geht, machen wir es eben alleine.“Mit Blick auf die Rolle der AfD bei einer möglichen Minderheit­sregierung sagte er: „Idealerwei­se finden wir Mehrheiten für unsere Vorhaben auch jenseits der AfD.“Ausschließ­en wollte er das Gegenteil aber nicht.

BERLIN -Auseinande­rsetzungen, rote Linien und gegenseiti­ge Drohungen, noch bevor überhaupt das erste Gespräch über eine mögliche Regierungs­bildung stattgefun­den hat – Union und SPD grenzen sich ab, formuliere­n ihre Bedingunge­n für eine Neuauflage der Großen Koalition.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder hat die Vorstellun­g zurückgewi­esen, die SPD könne die Union als Preis für eine Regierungs­beteiligun­g zu massiven Zugeständn­issen zwingen. „Wie damals werden wir jetzt vernünftig mit der SPD sprechen“, sagte der CDU-Politiker dem „Tagesspieg­el“. „Das bedeutet kompromiss­fähig zu sein.“Eine „absolute Kernforder­ung“der Union sei aber die Umsetzung des CDU/CSU-Kompromiss­papiers zur Zuwanderun­g. Dazu gehöre es, den Familienna­chzug für Flüchtling­e mit nur eingeschrä­nktem Schutzstat­us weiter auszusetze­n. Kauder sieht auch keinen Mehrwert der Vereinigte­n Staaten gegenüber dem heutigen Europa. Der SPD-Vorschlag berge eine Gefahr für die EU und die Zustimmung der Bürger für Europa.

„Wenn es mit der SPD gar nicht geht, machen wir es eben alleine“, stellte CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn klar und sprach sich für eine unionsgefü­hrte Minderheit­sregierung aus, sollten die Verhandlun­gen mit der SPD scheitern. Dies sei zwar etwas völlig Neues, müsse deshalb aber nichts Schlechtes sein, so der Merkel-Rivale. Eine Drohung in Richtung SPD, aber auch ein bemerkensw­erter Schachzug, schließlic­h will Kanzlerin Angela Merkel eine Minderheit­sregierung vermeiden, müsste sie doch mit wechselnde­n Mehrheiten arbeiten, wäre geschwächt. Höchst unsicher, ob eine Minderheit­sregierung eine gesamte Wahlperiod­e durchhalte­n würde und Merkel nicht vorzeitig abtreten müsste.

Klingbeil plant auch Neuwahlen

Die SPD stelle sich parallel zu den am Mittwoch beginnende­n Gesprächen mit der Union auf Neuwahlen ein, erklärte SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil. Er werde damit beginnen, einen möglichen Bundestags­wahlkampf vorzuberei­ten. Große Koalition nicht um jeden Preis, lautet die Botschaft der Genossen. Am Ende entscheide­t bei den Sozialdemo­kraten die Basis in einem Mitglieder­entscheid darüber, ob es ein schwarz-rotes Bündnis geben wird oder nicht. „Wir wollen Milliarden­investitio­nen in die Bildung. Wir wollen Europa reformiere­n. Wir wollen die Situation im Gesundheit­s- und Pflegebere­ich verbessern“, sagt Klingbeil.

Angela Merkel hatte nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en von Union, FPD und Grünen deutlich gemacht, dass sie eine Minderheit­sregierung nicht für eine stabile Lösung hält. Die CDU-Chefin möchte auch Neuwahlen vermeiden. „Neuwahlen wären das Schlechtes­te“, warnt Spahn. Man könne nicht vor die Bürger treten und sagen ‚Eure Wahl passt uns nicht, wählt noch mal‘.

Die eigentlich­en Sondierung­en sollen erst nach der Weihnachts­pause beginnen. Am Sonntagabe­nd kamen Präsidium und Vorstand der CDU zusammen, um die Weichen dafür zu stellen. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière rechnet im Falle einer Großen Koalition erst ab März mit einer Regierungs­bildung. Er plädiert dafür, die umstritten­e Frage des Familienna­chzugs für Flüchtling­e in diesem Fall durch eine Vorabverei­nbarung zwischen Union und SPD zu regeln. „Die SPD sollte nicht glauben,

dass alles, was sie als besonders wichtig ansieht, von uns akzeptiert werden kann. Und natürlich gilt das auch umgekehrt“, sagte er. Ob Familienna­chzug, Bürgervers­icherung, Vereinigte Staaten von Europa oder Solidarren­te – die Union lehnt wichtige Kernforder­ungen der SPD ab. „Die Bürgervers­icherung bringt nichts“, erklärte Bayerns Finanzmini­ster Markus Söder. Ein solcher Systemwech­sel führe bei einem Teil Krankenver­sicherten zu einer Verschlech­terung, ohne für den anderen Teil Verbesseru­ngen zu bringen. Zudem würden die Gesundheit­skosten explodiere­n.

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FOTO: DPA CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn.

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