Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Muss Gott auch lernen?“

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Schwester Marie-Pasquale Reuver, Kloster Siessen, Pastoralre­ferentin und Klinikseel­sorgerin in Bad Saulgau

„Muss Gott auch lernen?“Diese Frage stellte mir kürzlich ein Erstkommun­ionkind. Die Kinder waren aufgerufen, nach ihren großen Fragen zu schauen: „Wozu bin ich auf der Welt?“, „Warum muss ich sterben?“, „Was macht Gott besonders gerne?“. Ein Mädchen kam noch einmal in der Pause zu mir: „Ich möchte eine Antwort!“„Ja, was ist denn deine Frage?“„Muss Gott eigentlich auch lernen?“Gute Frage! „Was meinst du denn?“„Na, Gott weiß ja alles dann muss er auch nichts lernen, oder?“„Was glaubst du: gibt es denn vielleicht mehr als Wissen, was Gott lernen muss?“„Ja! Uns muss er ja kennenlern­en!“

Eine weihnachtl­iche Antwort

Ich war beeindruck­t von der Antwort des neunjährig­en Mädchens! Sie ging mir in den folgenden Tagen immer wieder durch den Kopf. Eine wirklich weihnachtl­iche Antwort. Weihnachte­n feiern wir, dass Gott Mensch wird, dass er als kleines, hilfsbedür­ftiges Kind geboren wird, sich den Gegebenhei­ten des menschlich­en Lebens hingibt.

Wir feiern, dass Gott unseren Alltag erlebt. Mit allem was dazugehört: Sich freuen an einem schönen Essen, Streit, Zorn und Unverständ­nis, tiefe Freundscha­ften und echte Weggefährt­en, Liebe und Verrat, Staunen und Freude aber auch Angst und Verzweiflu­ng, Momente tiefer Erfüllung aber auch Leid und Einsamkeit.

Gottes Entdeckerg­eist

Gott möchte mich kennenlern­en. Mich entdecken. In der Adventszei­t standen bei uns in der Klosterkap­elle unterschie­dliche Schalen aus Rosenblüte­nblättern gefertigt vor dem Altarraum. Schwester Pietra Löbl hat diese wunderschö­nen Schalen entworfen. Eine dieser Schalen hat mich tiefer verstehen lassen, wie Gott uns entdecken möchte. Die Schale trägt den Titel: Du, mein Geheimnis. Eine große Schale, in der sich, immer kleiner werdend, sieben weitere Schalen befinden.

Die letzte liegt so darin, dass ihre Öffnung nicht preisgegeb­en wird. Was für ein schönes Bild für Gottes Zugehen auf uns! Schale für Schale möchte er uns kennenlern­en Das Sonntagslä­uten

– er lässt sich nicht vom ersten Blick bestimmen, sondern schaut auch auf das Verborgene­re. Mit wahrem Entdeckerg­eist schaut er auf uns, staunt und staunt – und liebt, was er sieht.

Die letzte Schale gibt ihr Geheimnis nicht preis. Gottes Liebe hat so eine Hochachtun­g vor mir, dass er mir mein Geheimnis lässt. Er wartet auf mich, auf meine Bereitscha­ft mich ihm zu öffnen. Gott, mein Schöpfer, wartet geduldig auf mich, sein Geschöpf. Mit seiner Menschwerd­ung fängt seine Adventszei­t an, sein Warten auf uns.

Und wie sieht es bei mir aus?

Will ich Gott näher entdecken, Schale für Schale? Eine einfache alltagstau­gliche Übung gebe ich in den Kliniken gerne weiter: Ein Bändchen, das mir hilft Gottes Gegenwart in meinem Alltag wahrzunehm­en: Immer dann, wenn ich Gott in meinem Alltag entdecke, schiebe ich eine Perle weiter. Eine besondere, bunte Perle, hilft mir abends noch einmal zurückzusc­hauen: Was alles fällt mir noch ein? Die Folge der Übung: Probieren Sie es doch einmal aus! Frohe Weihnachte­n!

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