Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

In der Torfhalle wurden Gottesdien­ste gefeiert

Gebäude diente als Notkirche – Gögegemein­den kauften es für 3900 Reichsmark und bauten es wieder auf

- Von Josef Unger

OSTRACH/HOHENTENGE­N - Zuerst stand sie in Ostrach, später in Hohentenge­n. Sie diente zuerst als Lagerund Verladehal­le, aber auch als Notkirche, Versammlun­gsort und später als Festhalle: Die Halle beim ehemaligen Torfbriket­twerk in Ostrach. Ihre Geschichte beginnt mit dem Bau des Torfbriket­twerks.

Mit der Eröffnung der Eisenbahnl­inie Altshausen-Ostrach-Pfullendor­f am 15. August 1875 hat auch für das Torfwerk Pfrunger Ried, das sich im Bereich der heutigen Riedwirtsc­haft befand, eine neue Ära begonnen. Von diesem Tag an bot sich die Gelegenhei­t, Brenntorf per Eisenbahn in die Verbrauche­rstädte in ganz Süddeutsch­land zu versenden. Als Transportw­eg bot sich die bereits vorher schiffbar gemachte Ostrach an. Vom Bach zum Verladepla­tz beförderte eine Drahtseilb­ahn das Material. Das änderte sich im Jahre 1896 mit dem Bau des Torfbriket­twerkes und einer Verladehal­le unmittelba­r entlang des Bahngleise­s. Der Geschichte dieser Halle ist Josef Unger, Heimatkund­ler und SZ-Mitarbeite­r, nachgegang­en. Dabei stieß er auf erstaunlic­he Details.

Notkirche und Versammlun­gsstätte

Die fast 100 Meter lange Halle bot neben der Trockenlag­erung die Möglichkei­t, auf gleicher Höhe die Torfbriket­ts in die Waggons zu verladen. Da war aber noch einer, der an der Nutzung des Gebäudes Interesse hatte und das war der Ostracher Pfarrer Lambert Bumiller, Dekan und Reichstags­abgeordnet­er. Der ließ die alte Kirche abreißen und baute eine neue, die jetzige. Bumiller muss ein gutes Verhältnis zu Direktor Ernst John gehabt haben, denn dieser bot ihm mehr als zwei Jahre lang die Torfhalle zur kirchliche­n Nutzung an. „Die Ostracher gingen in der Torfhalle zur Notkirche“, hieß es scherzhaft. Darüber hinaus durfte Lambert Bumiller, Landesvors­itzender der Zentrumspa­rtei, die Notkirche auch für politische Veranstalt­ungen abhalten, die laut Zeitungsbe­richten gut besucht waren.

Ab dem Jahre 1928, dem Zeitpunkt der Stilllegun­g der Torfbriket­tfabrik, stand die aus einer Holzkonstr­uktion bestehende Halle leer. Das änderte sich im Jahre 1934, als die Gögegemein­den sie für 3900 Reichsmark käuflich erwarben, um aus ihr in Hohentenge­n eine Festhalle zu bauen. Handwerker und Bauern aus der Göge sorgten für den schadlosen Abriss und der Schreiber dieser Zeilen, der gerade die vierte Klasse der Volksschul­e in Ostrach besuchte, erinnert sich noch gut an die vielen mit Pferden bespannten Wagen, die das Gebälk in Richtung Hohentenge­n abtranspor­tierten. Dort wurde die Halle mit großem Engagement der Bevölkerun­g neu aufgebaut.

Am 23. Oktober 1934 fand das Richtfest statt und am 25. Mai 1935 wurde die Eröffnung gefeiert. Sie trug den Namen „Hans-SchemmHall­e“. Dieser war zu jener Zeit Innenminis­ter von Württember­g. In den Jahren 1970/71 diente sie abermals als Notkirche, als die Pfarrkirch­e in Hohentenge­n restaurier­t wurde. In zwei Abschnitte­n, 1980 und 2001, wurde die Halle abgebroche­n und durch ein massives Bauwerk, das heutige Dorfgemein­schaftshau­s, ersetzt. Interessan­t ist die Tatsache, dass das Holz für die 1896 in Ostrach erstellte Torfbriket­tverladeha­lle aus Wäldern der Umgebung stammte und die einstigen Jungpflanz­en den Kanonendon­ner der Schlacht bei Ostrach 1799 „gehört“haben dürften.

Noch im selben Jahrzehnt, in dem die Torfhalle verkauft und verlegt wurde, erstellte die Württember­gische Zentralgen­ossenschaf­t auf dem historisch­en Platz in Ostrach eine Bergehalle für Rauhfutter, die wiederum 100 Meter lang war. Die Landwirte der nahen und weiten Umgebung lieferten Heu und Stroh an, das dort gepresst und verschickt wurde. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs musste Heu auch an pferdehalt­ende Truppentei­le der Wehrmacht geliefert werden.

Die Halle samt großer Heu- und Strohvorrä­te und sämtliche Maschinen, hauptsächl­ich Pressen und Förderbänd­er, fielen im Oktober 1966 einem Großbrand zum Opfer. Ein paar Buben hatten „Feuerle“gespielt. Der von 1980 bis 2003 bestehende Holzhof benutzte die Rampe ohne Überbau zur Verladung von Nutzholz. Derzeit wird die Rampe abgetragen und soll im Rahmen der Wiederbele­bung der Bahnstreck­e zur Verladung von Gütern aller Art und als Containeru­mschlagpla­tz dienen.

 ?? FOTO: ARCHIV JOSEF UNGER ?? Anno 1886 wurde der erste Teil der Torfbriket­tfabrik samt Schornstei­n erstellt. Im Hintergrun­d ist die Verladehal­le sichtbar, deren Geschichte Ostrach und die Gögegemein­den berührt.
FOTO: ARCHIV JOSEF UNGER Anno 1886 wurde der erste Teil der Torfbriket­tfabrik samt Schornstei­n erstellt. Im Hintergrun­d ist die Verladehal­le sichtbar, deren Geschichte Ostrach und die Gögegemein­den berührt.

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