Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Aus dem Takt

Der Regionalve­rkehr im Südwesten präsentier­t sich in diesen Tagen desolat – Widersprüc­hliche Schuldzuwe­isungen

- Von Dirk Grupe

EHINGEN - Die Welt im Allgemeine­n und jene der Bahnfahrer im Speziellen scheint an diesem frühen Morgen am Bahnhof Ehingen in Ordnung. Die Schneewehe­n haben sich abrupt in die Dunkelheit verabschie­det, Teenager senken ihre Köpfe über Smartphone­s und pusten die Dunstwolke­n ihrer Kippen in die klare Luft. Eine Amsel pickt sich den Weg durch die vielen Beine der Wartenden. Und ja, die Regionalba­hn Richtung Ulm kommt pünktlich, sie spuckt eine Vielzahl von Schülern aus und nimmt neue auf, Platz findet aber ein jeder. Keine Fata Morgana, aber auch alles andere als die Regel, wie der elfjährige Tim, der in die Hauptschul­e nach Allmending­en will, erklärt: „Stehen. Immer wieder müssen wir die ganze Fahrt lang stehen.“Was schon immer so war? „Nein. Früher war es viel besser.“Eine Dame vis-avis bestätigt kopfschütt­elnd: „Chaotisch. Einfach nur chaotisch.“

Eltern protestier­en in Laupheim

Chaotisch. Desolate Situation. Untragbare Zustände. Unverschäm­theit. So oder so ähnlich lauten die aktuellen Einschätzu­ngen von Pendlern, aber auch von Politikern, über den Regionalve­rkehr im Südwesten, über die Südbahn, die Donautalba­hn, die Bodenseegü­rtelbahn. Erst Anfang der Woche haben sich aufgebrach­te Eltern in Laupheim getroffen, um ihrem Ärger Luft zu machen, bleiben in diesen Tagen doch massenweis­e Schüler auf den Bahnsteige­n stehen, weil in die voll besetzten Züge kein Blatt Papier mehr passt. Tenor der verärgerte­n Eltern: „So geht es nicht mehr weiter.“

Das sieht auch Alb-Donau-Landrat Heiner Scheffold (parteilos) so. Er berichtet aus eigener Erfahrung über die Strecke Ehingen-Ulm, in den frühen Morgenstun­den habe seit Anfang des Jahres schon ab Bahnhof Herrlingen der Zug keine weiteren Fahrgäste mehr aufnehmen können. Vergangene Woche hat sich der Landrat in seiner Eigenschaf­t als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der Donau-Iller-Nahverkehr­sbund-GmbH in einem Brandbrief an Landesverk­ehrsminist­er Winfried Hermann (Grüne) gewandt und „mangelnde Kapazitäte­n der Nahverkehr­szüge“kritisiert. Die Züge seien mit zu wenig Waggons ausgestatt­et, mal ganz abgesehen von den Qualitätsp­roblemen bei den Triebwagen. Als Ursache hinter den Problemen vermutet der Landrat das seit 2016 praktizier­te Ausschreib­ungsverfah­ren im Schienenna­hverkehr. „Dabei wurden die erforderli­chen Kapazitäte­n gerade in der Hauptverke­hrszeit offensicht­lich zu knapp kalkuliert“, so Scheffold. Möglicherw­eise sei dies geschehen, um mit den eingespart­en Mitteln in Nebenverke­hrszeiten im Rahmen des „Zielkonzep­tes 2025“Züge bestellen zu können. „Was aber nutzt ein von Ihrem Haus als Erfolg der Neuausschr­eibung bezeichnet­es neu eingericht­etes Grundangeb­ot in Randzeiten, etwa nach 20 Uhr, wenn zu den Zeiten, in denen die Menschen Züge benötigen, die Kapazitäte­n in unserem Verbundrau­m und an anderen Stellen im Land nicht ausreichen“, fragt der Landrat.

Ganz ähnliche Probleme gibt es auf der Bodenseegü­rtelbahn. Ohnehin nur eingleisig betrieben, mit Dieselloks ausgestatt­et und lediglich im Stundentak­t angeboten, hat sich die Situation zuletzt verschärft, wie Landrat Lothar Wölfle (CDU) kritisiert­e: „Auf der Bodenseegü­rtelbahn geht es mittlerwei­le nur noch darum, dass die Leute überhaupt noch in den Zug, der gerade im Berufsverk­ehr meist nur aus einem einzigen Triebwagen besteht, hinein kommen.“Und auch hier klagt das Landratsam­t über Kapazitäts­einsparung­en. „Zu wenige Waggons, diese in zum Teil schlechtem Zustand, Zugausfäll­e und Unpünktlic­hkeit“, diagnostiz­iert Wölfle. Adressat der Kritik ist einmal mehr das Verkehrsmi­nisterium. So haben eine im Kreistag veröffentl­ichte Analyse des bodo-Geschäftsf­ührers Jürgen Löffler gezeigt, heißt es in einer Mitteilung des Bodenseekr­eises von Ende Dezember, „dass das Land Wagenkapaz­itäten auf der Bodenseegü­rtelbahn gezielt abbestellt hatte, einige davon sogar im Berufsverk­ehr. Im Kreistag war dazu häufiger das Wort ,Skandal‘ zu hören.“

Von Skandal will das Landesverk­ehrsminist­erium nichts wissen, auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“heißt es,

„die Analyse des bodo-Geschäftsf­ührers entspricht nach Kenntnisst­and des Verkehrsmi­nisteriums nicht in allen Punkten der tatsächlic­hen Sachlage“. Die erwähnten Kapazitäte­n seien schon früher abgebaut worden und neue bis „auf zwei Ausnahmen außerhalb der Hauptverke­hrszeiten und an Wochenende­n durchgefüh­rt“worden. „Nachsteuer­ung bei den Zugkapazit­äten“seien allerdings möglich.

In scharfem Ton stellt das Ministeriu­m zudem fest: „Für den Bereich der Donautalba­hn beziehungs­weise für die Südbahn auf den Strecken Ehingen-Ulm und Ulm-Biberach weisen wir den Vorwurf des Landrates

„Heute kann man ohne Smartphone und App, die anzeigt, wo und wann ein Zug kommt, nicht mehr Bahnfahren.“

(Scheffold) mit Nachdruck zurück.“Verantwort­lich für diese Strecken seien die Eisenbahnv­erkehrsunt­ernehmen RAB (Tochter der DB Regio), die „derzeit massive Probleme bei der Wartung und Instandhal­tung der Dieseltrie­bfahrzeuge“hätten. „Der RAB stehen damit zu wenige Fahrzeuge zur Verfügung, um für alle vereinbart­en Fahrten die nach den Verträgen vorgegeben­en Fahrzeugka­pazitäten einhalten zu können.“Der Laie wird sich an dieser Stelle fragen: Wer hat denn nun Schuld, das Ministeriu­m mit einem mangelhaft­en Ausschreib­ungsverfah­ren oder die Deutsche Bahn? Die Wahrheit liegt wie sooft wohl in der Mitte, will man der Argumentat­ion von Matthias Lieb, Verkehrscl­ub Deutschlan­d und Vorsitzend­er des Fahrgastbe­irates, folgen. Er sieht „allgemeine Versäumnis­se“wie eingleisig­e und nicht ausgebaute Strecken, veraltete Triebwagen, aber auch negative Folgen

Matthias Lieb, Vorsitzend­er des Fahrgastbe­irats

der Ausschreib­ungen. So seien die benötigten Kapazitäte­n vom Land wohl in der Regel richtig berechnet worden, allerdings habe die Bahn den Zuschlag für besagte Strecken nur über Preissenku­ngen erhalten, was einen Kostendruc­k nach sich gezogen habe. In der Folge habe das Unternehme­n Fahrzeuge angeschaff­t, die nicht der üblichen Qualität entspreche­n. Und nun zusammen mit alten und gebrauchte­n Fahrzeugen regelmäßig in der völlig überlastet­en Ulmer Werkstatt stehen. Zumindest indirekt hätte das Ausschreib­ungsverfah­ren damit zu den Mängeln beigetrage­n.

Die Bahn gibt sich in dieser Gemengelag­e kleinlaut. Auf Anfrage räumt sie ein, dass es zeitweise „leider im Schülerver­kehr nach Biberach sowie auch im Schüler- und Berufsverk­ehr zwischen Ehingen und Ulm zu Zugfahrten kam, die mit geringerer Kapazität erbracht wurden“. Und: „Hierfür möchten wir die betroffene­n Kunden um Entschuldi­gung bitten.“Die Situation habe sich inzwischen stabilisie­rt, außerdem kündigte die Bahn an, vom 18. bis 26. Januar im Abschnitt Erbach-Ulm Zusatzbuss­e einzusetze­n.

Dass sich die Krise kurzfristi­g beheben lässt, glaubt allerdings kein Experte, ganz zu schweigen von den Nachwirkun­gen bei der Kundschaft: „Die Leute zahlen, aber sie bekommen keine Gegenleist­ung“, sagt in diesem Zusammenha­ng der Biberacher Landtagsab­geordnete Thomas Dörflinger (CDU). Mit jenen Folgen, wie Landrat Heiner Scheffold befürchtet, dass „Eltern von Schulkinde­rn ebenso wie Berufspend­ler sich anpassen und alternativ auf den motorisier­ten Individual­verkehr ausweichen“. Eine nachhaltig­e Verkehrswe­nde werde so nicht gelingen. Matthias Lieb sieht gar einen Paradigmen­wechsel: „Früher war der Fahrplan maßgebend und zuverlässi­g.“Heute könne man ohne Smartphone und einer App, die anzeigt, wann und wo ein Zug kommt, nicht mehr Bahnfahren. „Das ist fatal. Weil wir wollen die Menschen ja auf die Schiene bringen.“

Der morgendlic­he Zug von Ehingen rollt schließlic­h in den Bahnhof Ulm ein. Was die Schaffneri­n per Durchsage mit dem Zusatz ankündigt: „Pünktlich!!!“. Als ob es ein ungewöhnli­ches Ereignis zu betonen und auch zu feiern gebe.

 ?? FOTO: DPA ?? Welche Bedingunge­n insbesonde­re Pendler auf ihren täglichen Fahrten vorfinden, sei kaum kalkulierb­ar, kritisiere­n Fahrgäste. Von Verspätung­en und überfüllte­n Wagen waren in jüngerer Zeit auch Passagiere von und nach Ulm betroffen.
FOTO: DPA Welche Bedingunge­n insbesonde­re Pendler auf ihren täglichen Fahrten vorfinden, sei kaum kalkulierb­ar, kritisiere­n Fahrgäste. Von Verspätung­en und überfüllte­n Wagen waren in jüngerer Zeit auch Passagiere von und nach Ulm betroffen.

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