Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Erschossener Politiker bringt Serbien in Erklärungsnot
Die Ermordung des gemäßigten Serbenpolitikers Oliver Ivanovic verschärft die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo. Die Motive sind noch im Dunkeln, doch Indizien führen in das kriminelle Milieu des von Serbien kontrollierten Nordens Kosovos bis nach Belgrad. Der 64-jährige Ivanovic wurde am Dienstagmorgen vor seinem Haus in Mitrovica mit fünf Pistolenschüssen aus einem fahrenden Auto niedergeschossen. Er starb wenig später im Krankenhaus.
Seine Ermordung versetzt die serbische Regierung in Erklärungsnot. Darauf deuten die heftigen Reaktionen von Präsident Aleksaner Vucic hin, mit denen er, noch vor Beginn der Ermittlungen, indirekt Albaner als Täter verdächtigt. Dies sei ein terroristischer Akt gegen Serbien.
In vorauseilender Abwehr nimmt Vucic auch seinen eigenen Geheimdienst in Schutz, er habe keine Kenntnis über eine direkte Gefahr für Ivanovic gehabt. Das ist unglaubwürdig: Auf den Politiker waren zuvor bereits ein halbes Dutzend Anschläge verübt worden. Erst im Juli vergangenen Jahres zerstörte eine Bombe sein Auto. Ivanovic selbst äußerte sich seit Jahren in Interviews, dass er um sein Leben und das seiner Familie fürchte. Zuletzt nur vier Tage vor dem Attentat gegenüber der Agentur Srna.
Ivanovic galt als einer der wenigen Balkan-Politiker, denen ethnischer Hass fremd war. Er setzte sich stets für ein friedliches Zusammenleben zwischen der albanischen Mehrheit und der serbischen Minderheit in Kosovo ein, das sich nach dem Krieg 1998/99 von Serbien abgespalten und vor rund zehn Jahren einseitig zum selbstständigen Staat erklärt hat.
Als Störfaktor von Vucic isoliert
Politische Indizien des Mordes sind nicht zu leugnen. Ivanovic war Chef einer Partei, die in Opposition zur „Serbischen Liste“stand, die von Belgrad unterstützt wird. In den letzten Jahren hat ihn Vucic zunehmend als Störfaktor isoliert, weil Ivanovic nicht dessen strikten Kurs unterstützte, das Kosovo als Staat „niemals“anzuerkennen. Ivanovics geteilte Heimatstadt Mitrovica ist bis heute ein Unruheherd und zugleich die Hochburg der mehrheitlich von Serben besiedelten Nordprovinz Kosovos, die von Belgrad aus, mithin auch von Vucics Sicherheitsapparat, kontrolliert wird. In diesem Landesteil, wo rund 40 000 Serben leben, ist die Grenze zur Mutterrepublik Serbien offen.
Vucics Agenten dürfte wohl kaum entgangen sein, dass dort seit Jahren die Drogen- und Schmugglermafia ungehindert ihre kriminellen Geschäfte betreibt. Und, dass viele serbische Lokalpolitiker mitmischen. Ivanovic prangerte dies oft an. Vieles deutet darauf hin, dass er Opfer des politisch-kriminellen Netzwerks wurde, das den seit 2013 unter EURegie laufenden Dialog zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Albanern und Serben zerstören will.
Ein Schatten fiel auf Ivanovic, als er 2016 wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Kosovokrieg von einem Gericht zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Die Anklage stützte sich maßgeblich auf albanische Angaben, die offensichtlich der Überprüfung nicht standhielten. Vor einem Jahr hob ein Berufungsgericht das Urteil auf, Ivanovic kam frei. Der Prozess sollte neu aufgerollt werden.