Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Das Rätsel Ingeborg Bachmann

Ina Hartwig schildert in ihrer neuen Biografie eine Leidenscha­ft bis zum Kontrollve­rlust – Todesursac­he weiterhin ungeklärt

- Von Wolf Scheller

War sie etwa – was nicht wenige vermuteten, ganz besonders Frauen – eine Komödianti­n?“Die Frage stellte sich der Kritiker Marcel Reich-Ranicki Jahre nach dem Tod von Ingeborg Bachmann im Jahr 1973. Ina Hartwig, ehemalige Literaturr­edakteurin bei der „Frankfurte­r Rundschau“und seit 2016 Kulturdeze­rnentin in Frankfurt, fragt in ihrer Biografie nach den Schattense­iten der Dichterin, die bis heute von vielen Lesern als Ikone verehrt wird und um deren Leben sich zahlreiche Mythen ranken.

Reich-Ranicki war, wie viele andere, die Ingeborg Bachmann aus der „Gruppe 47“kannten, dieser „vielleicht bedeutends­ten Lyrikerin unseres Jahrhunder­ts“(Reich-Ranicki) zugetan. In den Zeitungen wurde sie als die „First Lady“der „Gruppe 47“gefeiert. Umso größer war die Bestürzung über ihren rätselhaft­en Tod drei Wochen nach den schweren Brandverle­tzungen in ihrer römischen Wohnung. War es ein Unfall, war es ihre Drogen- und Alkoholabh­ängigkeit, oder gar eine unzureiche­nde Medikament­ierung im Krankenhau­s? Wäre sie womöglich noch zu retten gewesen? Ihr langjährig­er Freund Hans Werner Henze erstattete sogar Anzeige wegen Mordverdac­hts.

Ina Hartwig schildert ihre Recherchen, ihre Gespräche mit Zeitzeugen, die Ingeborg Bachmann aus nächster Nähe erlebt haben. Darunter auch herausrage­nd ein Treffen mit Henry Kissinger, der in jungen Jahren die Österreich­erin an die Summer-School von Harvard geholt hatte. Hartwig über das Gespräch mit Kissinger: „Ich war bewegt von der Begegnung, weil der alte Herr seine Gefühle gezeigt hatte. Seine Beziehung zu Ingeborg Bachmann war zweifellos tief gewesen, für ihn selbst. Wie stand es aber um die andere, um ihre Seite?“Kissinger antwortete, Bachmann habe seine Gefühle nicht so geteilt wie er sich das gewünscht habe.

Max Frisch wird ausgespart

Ingeborg Bachmann hatte sich als Lyrikerin und Essayistin schon in jungen Jahren einen Namen gemacht. Sie war erfolgreic­h, vital und ambitionie­rt – was freilich nicht ausschloss, dass sie im Privatlebe­n ihre Leidensfäh­igkeit bis zum Kontrollve­rlust ausschöpft­e, was sich aus vielen ihrer Texte herauslese­n lässt. Ihre Biografin vermutet, dass sie solche Grenzerfah­rungen nur mit ihren homosexuel­len Freunden leben konnte. Sie nennt ihr BachmannBu­ch eine „Biografie in Bruchstück­en“.

In der Tat fehlt ein entscheide­ndes Kapitel, nämlich die Beziehung zwischen Max Frisch und Ingeborg Bachmann, die über vier Jahre ging und für beide eine Katastroph­e war – und bis zum Tod der Dichterin dauerte. War also Frisch indirekt für ihren Tod verantwort­lich wie viele seinerzeit geurteilt haben? Anziehung und Abstoßung hielten sich bei diesem Paar die Waage. Indes: Der Briefwechs­el zwischen beiden ist bislang nicht veröffentl­icht und konnte von Ina Hartwig nicht eingesehen werden.

Einen besonderen Part in Bachmanns Leben nahm aus der Sicht ihrer Biografin ihr Vater ein. Im „Traumkapit­el“von Bachmanns Roman „Malina“ist er der böse Vater, der im KZ mordet und als Vergewalti­ger auftritt. Anderersei­ts scheint sie ihren Vater doch auch geliebt zu haben. Sie imaginiert jedenfalls eine Vaterfigur mit zwei Gesichtern. Als Lehrer und Schuldirek­tor in Klagenfurt hat er in ihrem Leben offenbar eine wichtigere Rolle gespielt als ihre Mutter. Dass sie seinen Eintritt 1932 in die NSDAP nicht an die große Glocke hängt, findet ihre Biografin jedenfalls erwähnensw­ert – im Unterschie­d zu Bachmann selbst, die sich darüber offenbar nicht geäußert hat.

Gleichwohl: Die Bachmann ist keineswegs unpolitisc­h. Sie zieht die Lektüre der jüdischen Widerstand­skämpferin und Philosophi­n Simone Weil dem Lesen von Karl Marx vor – was „wiederum ein Licht auf die Freundscha­ft mit dem jüdischen Emigranten, amerikanis­chen Patrioten und Antikommun­isten Henry Kissinger wirft“. Die Beziehung mit Paul Celan endet unglücklic­h. Sie will seine Ehe nicht gefährden, er fühlt sich durch ihren Erfolg bei der „Gruppe 47“an den Rand gedrängt. Er ist eifersücht­ig. Hartwig: „Sie weist seine Gefühle zwar nicht zurück, aber sein Drängen schon. Sie bremst ihn im Grunde aus.“

In Berlin wird der polnische Schriftste­ller Witold Gombrowicz ihr „erster Vertrauter“(Hartwig), dessen Liebeslebe­n zugleich subkulture­ll gewesen sei. Er befinde sich in „ständiger Erregung“zitiert die Biografin aus Gombrowicz­s’ „Intimen Tagebuch“. Fazit: „Offenbar greift er auf den Berliner Jungenstri­ch zurück.“In dieser Berliner Zeit Anfang der 60er-Jahre lernt Peter Härtling sie kennen: „Ingeborg Bachmann habe ich schon mal ins Bett getragen! Ich habe sie oft bei Grass gesehen. Sie saß da und trank ...“

Alkohol und Drogen

So berichten die von der Biografin befragten Zeitzeugen je nach Temperamen­t über ihre Erfahrunge­n mit Ingeborg Bachmann: Hans Werner Henze nur von der „guten Zeit“mit ihr, Peter Handke heiter: „Sie wird bleiben.“Hans Magnus Enzensberg­er: „Ingeborg war anfällig, sie war eine gefährdete Person.“Alkohol und Drogen, Selbstaufg­abe und Unterwerfu­ng. Wer war Ingeborg Bachmann aber in Wirklichke­it? Diese zentrale Frage bleibt so offen wie ihre Todesursac­he ungeklärt. Ina Hartwig meint jedenfalls: „Mord war es nicht.“In „Malina“hat Ingeborg Bachmann die eigene Todesart vorweggeno­mmen, wenn sie vom Verbrennen spricht. „Es kommt über mich, ich verliere den Verstand, ich bin ohne Trost, ich werde wahnsinnig.“Dazu passt dann der letzte Satz im Buch: „Es war Mord.“

Ina Hartwig: Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biografie in Bruchstück­en, S.Fischer Verlag, 320 Seiten. 19,99 Euro.

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FOTO: DPA Undatierte­s Porträt der Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann.

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