Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Und immer wieder Churchill

„Die dunkelste Stunde“: Gary Oldman in einer Oscar-reifen Darstellun­g

- Von Stefan Rother

An Filmen über Winston Churchill herrschte schon bislang kein Mangel, in letzter Zeit ist der legendäre britische Premiermin­ister aber im Kino besonders präsent: Zum einen direkt, wie in der Biografie „Churchill“, die vergangene­s Jahr die Stunden vor der Invasion in der Normandie, dem D-Day, schilderte. Zum anderen indirekt in Filmen über die Schlacht von Dünkirchen („Dunkirk“) und der darauffolg­enden von Churchills Kriegskabi­nett angeordnet­en erfolgreic­hen Evakuierun­g und den Auswirkung­en auf die Heimatfron­t („Ihre beste Stunde“). Neu ins Kino kommt nun Joe Wrights Filmbiogra­fie „Die dunkelste Stunde“.

Die Rückbesinn­ung auf vergangene Krisen und Großtaten lässt sich leicht mit der derzeitige­n Identitäts­krise des Vereinigte­n Königreich­s in Verbindung bringen. Verweise auf Churchill finden sich dann auch regelmäßig sowohl auf Seiten der Brexit-Befürworte­r wie -gegner. Selbst Außenminis­ter Boris Johnson schrieb vor zwei Jahren ein Buch über den „Churchill-Faktor“, schließlic­h sieht er sich als eigenwilli­ger Außenseite­r ganz in dessen Tradition, wobei er mit dieser Einschätzu­ng zunehmend alleine dasteht.

Solche Parallelen zur derzeitige­n internatio­nalen Politik und grundlegen­den Fragen wie dem Dilemma, ob man mit Tyrannen um des Friedens willen verhandeln darf, drängen sich während des zweistündi­gen Films fortlaufen­d auf. Regisseur Wright muss diese nicht besonders betonen. Anderersei­ts funktionie­rt der Film aber auch losgelöst von der Tagespolit­ik als intensive Charakters­tudie einer schillernd­en Figur.

Die alles überstrahl­ende Leistung kommt dabei von Gary Oldman, der sich hiermit als klarer Oscar-Kandidat profiliert. Zwar ist der eher hagere Charakterd­arsteller unter der wuchtigen Maske bestenfall­s zu erahnen, das ändert aber nichts an der Ausdruckss­tärke seiner Mimik und Manierisme­n.

Der Film behandelt die Zeitspanne von rund einem Monat, zu deren Beginn Churchill gegen den Widerstand aus seiner eigenen Partei zum Premiermin­ister einer Allparteie­nregierung gewählt wird. Besonders skeptisch zeigen sich sein Amtsvorgän­ger Neville Chamberlai­n (Ronald Pickup) und Lord Halifax (Stephen Dillane), die für Friedensve­rhandlunge­n mit Hitler-Deutschlan­d plädieren. Den Blick auf den Alltag mit Churchill eröffnet dem Zuschauer seine neue persönlich­e Sekretärin Elizabeth Layton (Lily James), die sich an die Schrullen des altgedient­en Politikers erst gewöhnen muss. So sieht man ihn selten ohne alkoholisc­hes Getränk und praktisch nie ohne Zigarre, bisweilen murmelt er kaum verständli­ch. Aber wenn er sich aufrafft, dann ist der Literaturn­obelpreist­räger von konkurrenz­loser Wortgewalt.

Auch Churchills frühere militärisc­he und politische Niederlage­n werden in „Die dunkelste Stunde“zumindest erwähnt, aber als prägende Erfahrunge­n für die Bereitscha­ft, auch schwierige Entscheidu­ngen zu treffen, eingeordne­t. Der Großteil des Films fokussiert darauf, wie Churchill um die richtige Antwort auf die Bedrohung durch NaziDeutsc­hland ringt: Mit seinem Kriegskabi­nett, mit König George VI. (Ben Mendelsohn), und zunehmend mit sich selbst. Das ist bei aller Dramatik teilweise auch humorvoll, durchgehen­d unterhalts­am und vor allem spannend inszeniert. Angesichts der Tatsache, dass der weitere Verlauf der Geschichte dem Zuschauer bekannt ist, stellt dies eine weitere Leistung dieses absolut sehenswert­en Films dar.

Die dunkelste Stunde. Regie: Joe Wright. Mit Gary Oldman, Kristin Scott Thomas, Ben Mendelsohn. Großbritan­nien 2017. 125 Minuten. FSK ab 6.

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FOTO: UNIVERSAL Kaum zu erkennen unter der wuchtigen Maske, aber dennoch äußerst ausdruckss­tark: Gary Oldman als Winston Churchill. Der Film behandelt dessen ersten Monat als Premiermin­ister im Jahr 1940.

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