Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Türkei vor weiterer Militärintervention in Syrien
Die Türkei steht vor ihrer dritten Militärintervention in Syrien: Nach tagelangem Artilleriebeschuss auf die nordwestsyrische Region Afrin wurden am Freitag mehrere Hundert protürkische Rebellen an die türkische Seite der Grenze gebracht, um am Vorstoß ins Nachbarland teilzunehmen. Türkische Medien meldeten zudem, dass sich russische Truppen aus Afrin zurückziehen. Der türkische Verteidigungsminister Nurettin Canikli sagte, die dritte türkische Intervention in Syrien habe „de facto“begonnen.
Die türkische Artillerie habe von der Grenzprovinz Hatay aus das Feuer auf kurdische Stellungen bei Afrin eröffnet, meldete die Online-Ausgabe der Zeitung „Hürriyet“. Etwa 20 Reisebusse brachten demnach zudem Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA), einer von Ankara unterstützten syrischen Rebellengruppe, an die Grenze.
Der Bezirk Afrin ist eine der Gegenden im Norden Syriens, die von der Kurdenmiliz YPG beherrscht werden. Ankara betrachtet die Truppe als Ableger der verbotenen Terrorgruppe PKK und will sie aus dem Grenzgebiet verdrängen. Allerdings ist die YPG ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den „Islamischen Staat“(IS). Auch nach dem militärischen Sieg über die Dschihadisten wollen die Amerikaner rund 2000 eigene Soldaten in Syrien stationiert lassen; die mit amerikanischen Waffen ausgerüsteten syrischen Kurden sollen die Sicherung befreiter Gebiete im Norden Syriens übernehmen. Mit der militärischen Präsenz wollen die USA vor allem eine weitere Machtausweitung Irans in Syrien verhindern.
Diese Strategie steht jedoch im Gegensatz zu den türkischen Interessen in Nordsyrien. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat mehrfach angekündigt, die „Mörderbande“der YPG solle aus dem Grenzgebiet vertrieben werden. In regierungsnahen türkischen Medien hieß es, die YPG habe Afrin „besetzt“und müsse vertrieben werden. Die Kurdenmiliz kontrolliert zwei Drittel der 900 Kilometer langen Grenze zwischen der Türkei und Syrien. YPG-Kommandeure in Afrin kündigten Gegenwehr an, falls die Türkei ihre Soldaten über die Grenze schicken sollte.
Erdogans angekündigte Intervention könnte dazu führen, dass Soldaten des Nato-Staates Türkei gegen syrische Milizen kämpfen, die von den USA ausgebildet und ausgerüstet worden sind. Das US-Außenministerium in Washington appellierte an die Regierung in Ankara, von der Intervention in Afrin abzusehen und sich stattdessen auf den Kampf gegen den IS zu konzentrieren.
Absprache mit Russland
Die bisherigen türkischen Vorstöße nach Syrien – östlich von Afrin in Dscharablus und südlich von Afrin in Idlib – waren mit Russland abgesprochen. Erdogan hatte sich in den vergangenen Tagen mehrmals auf eine Militäroperation seines Landes in Afrin festgelegt. Innenpolitisch wäre ein Verzicht auf die Intervention ohne Gesichtsverlust für den Präsidenten kaum machbar. Allerdings wächst das Risiko, dass sich die Türkei immer weiter in den Syrien-Konflikt verstrickt. Außenpolitisch könnten die Spannungen mit den USA weiter eskalieren, weil Washington ein militärisches Vorgehen gegen seine kurdischen Verbündeten auf Dauer nicht hinnehmen dürfte.