Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die freie Busspur als Lockmittel
Ein Anreizsystem bringt in Norwegen schon jetzt mehr Elektroautos als Wagen mit Verbrennungsmotoren auf die Straße
OSLO - Ein grauer Tesla Model S schleicht die einspurige Tunnelröhre unter der Festung von Oslo entlang, raus in den Schnee an diesem Januarabend. Eigentlich ist das Höhlensystem unter der historischen Anlage ein Schutzbunker. Heute können hier zudem 85 E-Autos gleichzeitig laden. Der Strom: kostenlos. Das Parken in zentralster Lage: bis zu zehn Stunden kostenlos.
Nicht nur das Land, auch die Stadt trifft Maßnahmen, durch die Dieselund Benzinautos immer unattraktiver werden. Politiker und – zumindest die meisten – Bürger Norwegens sind sich einig: Die Zukunft ist elektrisch.
Norwegen hat die Verkehrswende geschafft – Jahre vor dem gesteckten Ziel. 2017 haben die Norweger erstmals mehr Neuwagen mit elektrischer oder Hybrid-Technologie angemeldet als mit Diesel- oder Benzinmotor. Der Grund dafür ist einfach: Es lohnt sich finanziell für die E-Autofahrer. Einige Anreize, die Norwegens Politiker zum Kauf von E-Autos geschaffen haben, möchte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) gerne kopieren. Dafür braucht er aber Unterstützung im Bund.
Seit Anfang der 1990-Jahre fördert die Politik die E-Mobilität in Norwegen. Mehrwert- und Kfz-Steuer für Elektroautos wurden abgeschafft. Mautgebühren entfallen. Geld dafür ist da, allein schon durch den Staatsfonds, der durch Öl- und Gasverkäufe inzwischen auf 840 Milliarden Euro angewachsen ist. Zudem subventionieren Benzin- und Dieselfahrer die E-Autos mit, denn die Steuern und Abgaben auf fossile Brennstoffe steigen stetig, sonstige Gebühren für sie zur Nutzung von Straßen und Fähren ebenfalls.
Zu einem sprunghaften Anstieg der Verkäufe hat allerdings eine andere Maßnahme geführt: E-Fahrzeuge dürfen die Busspur nutzen. Für alle Berufspendler, die bisher vor allem morgens in Richtung Oslo und abends in Gegenrichtung unterwegs waren, ein überzeugendes Argument. „Norwegen hat über die Jahre zehn extrem wirkungsvolle Maßnahmen eingeführt“, sagt Verkehrsminister Hermann, der diese Woche mit seinem Kollegen aus dem Umweltministerium Franz Untersteller (Grüne) und einer 50-köpfigen Delegation in Norwegen unterwegs war. „Was wir in Deutschland machen, ist im Vergleich dazu geradezu spärlich“, so Hermann.
Er staunt über die Einigkeit aller politischen Lager im Ziel, Norwegen vom Verbrennungsmotor zu befreien. Ein erstes nationales Ziel hat das skandinavische Land so bereits erreicht. 2020 sollte der Durchschnittsverbrauch eines Autos unter 85 Gramm CO2 pro Kilometer liegen. Durch den E-Autoboom liegt er bereits heute bei 82 Gramm – Tendenz weiter sinkend. Verbieten will die Regierung die Verbrenner nicht. Steigende Steuern und Abgaben sollen indes dafür sorgen, dass von 2025 an nur noch vergünstigte emissionsfreie Auto gekauft werden.
Nachfrage übersteigt Produktion
Die Nachfrage nach E-Autos hier ist so hoch, dass die Autobauer nicht mit der Produktion nachkommen. Es gibt für fast alle Autos Wartelisten, sagt Ane Furu. Sie arbeitet bei Bertel O. Steen, Norwegens Generalimporteur unter anderem für Mercedes Benz. Für das Modell EQC, einen elektrisch betriebenen SUV, haben sich vergangenen Herbst innerhalb einer Stunde 1000 Menschen auf die Warteliste setzen lassen und dafür umgerechnet etwa 2000 Euro gezahlt. Ohne zu wissen, wie viel das Auto letztlich kosten wird – geschweige denn, wann sie ihren EQC von 2019 an bekommen werden.
Alles grüne Ökofanatiker? Sicher nicht, sagt Ane Furu. Laut einer Studie nennen lediglich ein Viertel aller E-Autokäufer den Umweltschutz als Grund. 72 Prozent sprechen indes von wirtschaftlichen Gründen. Sture Portvik von der Osloer Stadtverwaltung rechnet vor, was ein typischer E-Autofahrer jährlich spart, der zum Arbeiten in die Stadt pendelt und dort kostenlos parken und laden kann: etwa 1500 Euro Mautgebühren, die gleiche Summe für Benzin, weitere 500 Euro Parkgebühren. Von den knapp 159 000 Autos, die 2017 in Norwegen neu zugelassen wurden, waren 52 Prozent E-Autos oder Hybride. Das beliebteste E-Auto der Norweger, der E-Golf, wurde im vergangenen Jahr mehr als 7000 mal verkauft. Dank der Steuerbegünstigungen kostet er beim Kauf rund 5000 Euro weniger als ein Benziner.
Der Boom ist mittlerweile schwer zu bewältigen. Die Busspuren sind voll. Wer allein im E-Auto sitzt, darf die Spur nicht mehr nutzen. Auch die Ladeinfrastruktur stößt an ihre Grenzen. In der 670 000-EinwohnerHauptstadt gibt es laut Sture Portvik von der Stadtverwaltung 60 000 EAutos und weitere 20 000 E-Hybride. Es gibt 1280 öffentliche Ladestationen. Die meisten Norweger laden über Nacht zuhause.
Doch was sollen die Bewohner von Mehrfamilienhäusern ohne eigene Lademöglichkeit tun? Das ist ein Problem, das es zu lösen gilt, sagt er. In ein paar Jahren sollen in Oslo die Parkplätze außerdem kostenpflichtig werden – den Strom soll es aber weiterhin gratis geben, sagt Portvik. Das ist nicht überall so. Die Schnellladestationen kosten schon heute etwas. Darauf setzen die Entscheider und hoffen, dass kommerzielle Anbieter Ladesäulen als Geschäftsmodell sehen – und bauen. Es fehlten noch Schnellladestationen zwischen den Städten im lang gestreckten Land, sagt Erik Figenbaum vom norwegischen Institut für Verkehrswirtschaft. Bisher gibt es nur ein dünnes Netzwerk, alle 50 Kilometer. Schwierig sei das besonders in der Ferienzeit und an den Wochenenden, wenn die Norweger in ihre Hütten in den Bergen fahren. „Derzeit wissen wir nicht, wie der Bedarf gerade in der Ferienzeit gedeckt werden soll, wenn es nur noch Elektroautos gibt“, sagt er. Eine Studie, die er gerade begonnen hat, soll entsprechende Antworten liefern.
Problem der Batterien
Strom ist in Norwegen billig und reichlich verfügbar, 98 Prozent stammt aus Wasserkraft. Dieser Ökostrom dient dort der Ökobilanz von E-Autos. Anders als in Deutschland, wo aus der Steckdose ein Strommix kommt, zu dem auch Kohlekraft gehört. Da E-Autos wegen ihrer Akkus bei der Produktion deutlich mehr Energie verbrauchen als Verbrenner, gibt es Diskussionen darum, ob sie tatsächlich klimafreundlicher sind. Es gibt Studien die dafür, und andere, die dagegen sprechen. Auch in Norwegen gab und gibt es Diskussionen um die CO2-Bilanz von E-Autos. Dem Problem mit den Akkus will man dadurch begegnen, dass sie möglichst lange genutzt werden. In Oslo etwa gibt es laut Sture Portvik das Ziel, ausgemusterte Akkus als Speicher zu nutzen, um zu Hochzeiten mehr Autos schnell laden zu können.
Auch aufgrund solcher Studien spricht Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann von „Scheindebatten“. Und natürlich sei der Vergleich zwischen Deutschland und dem E-Auto-Pionier Norwegen schwierig, sagt er. Schließlich lebten im skandinavischen Land halb so viele Menschen wie in Baden-Württemberg, auch sei der Strom extrem viel günstiger und fast ausschließlich aus erneuerbaren Energien.
Was er dennoch mitnimmt von seiner Reise: „Die Ermutigung, was Politik kann, wenn sie will. Und die Ermahnung, dass wir schneller werden müssen.“Im Land will er die Ladeinfrastruktur ausbauen. Doch die wichtigsten Entscheidungen werden auf Bundesebene getroffen. „E-Mobilität fördern wir mit rund einer Milliarde Euro, alte Mobilität mit dem Zehnfachen. Diese ungerechtfertigte Privilegierung müssen wir abschaffen“, sagt Hermann. Und zu allererst will er sich dafür einsetzen, dass die steuerliche Begünstigung des Diesels abgeschafft wird.