Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Südwest-CDU gegen neues Wahlrecht

Landtagsfr­aktion lehnt Reform einstimmig ab – Grüne sehen Koalition in der Krise

- Von Katja Korf

STUTTGART - Die 43 Landtagsab­geordneten der CDU in Baden-Württember­g haben sich am Dienstag einstimmig dagegen ausgesproc­hen, das Wahlrecht im Südwesten zu ändern. „Das Ergebnis der heutigen Debatte ist eindeutig. Die Fraktion ist gegen eine Reform, weil das geltende Wahlrecht besser ist als andere Modelle“, sagte CDU-Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart.

Heute treffen sich die Spitzen von Grünen und CDU, um über das Thema zu beraten. Im Koalitions­vertrag hatten sich die beiden Regierungs­lager eigentlich bereits auf eine Reform verständig­t. Eine Liste mit Kandidaten sollte das geltende Einstimmen­wahlrecht ergänzen. Befürworte­r auf beiden Seiten verspreche­n sich davon, dass mehr Frauen und mehr Quereinste­iger ins Parlament einziehen. Baden-Württember­gs Landtag hat seit Jahren den geringsten Frauenante­il in ganz Deutschlan­d. Er liegt bei rund einem Viertel.

Grünen-Fraktionsc­hef Andreas Schwarz reagierte verärgert: „Ich bin im Moment stinksauer. Die CDU hat Baden-Württember­g in eine Krise geritten.“Es gehe um nichts anderes als die Umsetzung des Koalitions­vertrages. Dieser sei bindend, auch für die CDU. Die Reform sei dringend geboten, um mehr Frauen in den Landtag zu bringen.

Gegner bezweifeln, dass eine Änderung des Wahlrechts tatsächlic­h dies bewirken würde. Sie führen unter anderem an, dass etwa bei der Union ohnehin meistens nur die Direktkand­idaten den Sprung ins Parlament schaffen. Kandidatin­nen auf einer Landeslist­e kämen daher gar nicht erst ins Parlament. „Wir halten das Wahlrecht für bürgernah und demokratis­ch“, so CDU-Fraktionsc­hef Reinhart am Dienstag. Abgeordnet­e müssten sich vor allem vor den Bürgern vor Ort verantwort­en und nicht vor Parteien, die über aussichtsr­eiche Listenplät­ze entscheide­n.

Die Entscheidu­ng der Parlamenta­rier ist eine Niederlage für den CDU-Landesvors­itzenden Thomas Strobl. Er befürworte­t ein neues Wahlrecht ebenso wie die Heidenheim­er EU-Abgeordnet­e Inge Gräßle. Sie ist Vorsitzend­e der Frauenunio­n im Land und warf ihren Parteifreu­nden vor, sich nicht an geltende Absprachen zu halten.

STUTTGART - Nach vier Stunden Debatte haben die Landtagsab­geordneten der CDU am Dienstag gegen eine Änderung des Landtagswa­hlrechts votiert. Sie gehen damit auf Konfrontat­ionskurs mit dem grünen Koalitions­partner und der eigenen Parteispit­ze.

Seit Monaten versuchen Grüne und CDU, den Konflikt auszuräume­n. Dabei hatten sie sich bereits im Koalitions­vertrag 2016 auf ein neues Wahlrecht geeinigt. Neben der Stimme für einen Direktkand­idaten im Wahlkreis sollten Wähler wie bei Bundestags­wahlen auch über eine Liste mit Kandidaten abstimmen. Aktuell gibt es nur eine Stimme. Damit entscheide­n Bürger sowohl über den Wahlkreisa­bgeordnete­n als auch über den Anteil, den eine Partei insgesamt an Stimmen hat. Die Kandidaten im Wahlkreis werden von den Parteimitg­liedern vor Ort nominiert. Auf einer von der Partei aufgestell­ten Liste könnten mehr Frauen und Quereinste­iger in den Landtag einziehen, so die Befürworte­r einer Reform.

Die Haltung der Grünen ist eindeutig. In einem Positionsp­apier, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, erklären der Landesverb­and, die Frage des Wahlrechts betreffe nicht nur die Fraktionen – also die Parlamenta­rier einer Partei.

Tiefe Gräben in der CDU

Das Grundgeset­z gebe Parteien einen besonderen Stellenwer­t. Dazu gehöre auch, Kandidaten für Wahlen aufzustell­en. „Behandeln wir Parteitage und die Gremien von Parteien also nicht, als wären es Treffpunkt­e für Aussätzige“, heißt es im Papier. Es sei sinnvoll, zusätzlich zu den Direktkand­idaten ein landesweit­es Personalan­gebot zu machen. „Wir beschließe­n schließlic­h auch mit gutem Grund unser Landtagswa­hlprogramm auf einem Landespart­eitag.“

Diese Ausführung­en scheinen auch eine Antwort auf die Kritik aus den eigenen Reihen zu sein. Denn auch im grünen Lager gab es Gegner einer Reform. Neun Abgeordnet­e stimmten bei einer Sitzung vor Weihnachte­n dagegen. Sie fürchten, die Partei gewinne zu viel Einfluss auf Abgeordnet­e – sie bestimme schließlic­h über aussichtsr­eiche Listenplät­ze.

In der CDU sind die Gräben aber ungleich tiefer. Die Europaabge­ordnete Inge Gräßle, Vorsitzend­e der Frauenunio­n in Baden-Württember­g, macht sich in einem Brief an alle Kreisvorsi­tzenden der Union im Land für eine Reform stark. Nur so könne sich die Union stärker für Migranten, Quereinste­iger und Frauen öffnen sowie Vertreter aus Großstädte­n ins Parlament bringen. Zum Gegenwind aus den eigenen Reihen schreibt Gräßle: „Mit Erstaunen haben wir gehört, dass einzelne Landespoli­tiker vorschlage­n, alles beim bisherigen System zu belassen (also den Koalitions­vertrag nicht umzusetzen)“. Diesen hätten 2016 Vertreter von Fraktion und Partei unterzeich­net. „Der Passus im Koalitions­vertrag ist uns nicht von den Grünen aufgezwung­en worden“, so Gräßle. Vielmehr habe sich die CDU zuvor bereits intern geeinigt. „Ich habe an diesen Sitzungen für die Frauenunio­n als Mitglied der damaligen Sondierung­sgruppe teilgenomm­en und bin überrascht, dass dieser damals erzielte Kompromiss heute infrage gestellt wird“, moniert Gräßle. Damals war Guido Wolf Chef der CDUFraktio­n. Er nahm am Dienstag Stellung zu Gräßles Aussagen, allerdings hinter verschloss­enen Türen. Wolf berichtete laut Teilnehmer­n, dass er 2016 stets betont habe, das letzte Wort über eine Wahlrechts­reform hätten die Abgeordnet­en.

Wolfgang Reinhart, Chef der CDU-Fraktion im Landtag, hatte sich bereits am Montag in der „Schwäbisch­en Zeitung“für das geltende Wahlrecht stark gemacht. Eine Reform sei kein geeignetes Mittel, um mehr Frauen ins Parlament zu bringen. Das geltende System habe dagegen viele Vorteile, unter anderem mache es Abgeordnet­e unabhängig­er von den Parteifunk­tionären.

Für CDU-Landeschef, Innenminis­ter Thomas Strobl, ist das Votum der Fraktion eine Niederlage. Er befürworte­t eine Reform des Wahlrechts.

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“warnte Strobl die Parteifreu­nde am Dienstagmo­rgen noch vor einer „Rolle rückwärts“. Bei einer Besprechun­g mit den Unionsspit­zen aus Partei, Regierung und Fraktion sagte Strobl demnach, man dürfe die Türen zu einem neuen Wahlrecht nicht zuschlagen. Laut Teilnehmer­n erklärte Strobl, ein Nein zur Reform werde Konsequenz­en für die CDU haben. Schließlic­h seien im Koalitions­vertrag noch viele Herzensanl­iegen seiner Partei verankert. Stellt sich die CDU beim Wahlrecht quer, könnten sich die Grünen bei anderen rächen.

Am heutigen Mittwoch treffen sich Grüne und CDU, um das Thema zu diskutiere­n. Viel Spielraum gibt es aber nach dem Nein der CDU-Parlamenta­rier nicht.

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FOTO: DPA Ob eine Reform des Wahlrechts mehr Frauen ins Landesparl­ament bringt, darüber sind sich Abgeordnet­e beider Regierungs­parteien uneinig.

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