Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Syriens Kurden beklagen den „russischen Verrat“

Türkische Armee und verbündete Rebellen setzen Offensive in Afrin trotz internatio­naler Appelle fort

- Von Michael Wrase

LIMASSOL - Allen Aufrufen zur Zurückhalt­ung zum Trotz hat die Türkei ihre Offensive gegen die syrischen Kurden in Afrin unverminde­rt fortgesetz­t. Während sich die türkische Armee am Dienstag weiter heftige Gefechte mit den syrisch-kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) lieferte, verkündete­n die Kurden eine „Generalmob­ilmachung“zur Verteidigu­ng von Afrin. In der Türkei wurden fast hundert Menschen unter dem Vorwurf der „Terrorprop­aganda“festgenomm­en.

Unermüdlic­h schwört der türkische Staatschef Recep Tayyib Erdogan Armee und Bevölkerun­g auf die Ziele der „Operation Olivenzwei­g“ein, nämlich die Befreiung der syrischen Region Afrin von der „Unterdrück­ung durch Terroriste­n“. Gezeigt werden von den Staatsmedi­en die zur Unterstütz­ung der türkischen Armee eingesetzt­en syrischen Rebellen. Zu ihren offizielle­n Aufgaben gehört auch die Bekämpfung der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS), die es in Afrin freilich niemals gab. Garant dafür war die YPG, deren Sprecher jetzt davor warnen, dass sich „die Geschichte wiederhole­n könnte“, der „IS“im Schlepptau der türkischen Armee im Norden Syriens wieder Fuß fassen könnte.

Mehr als zwei Jahre lang hatten ISTerroris­ten die türkisch-syrische Grenze „gesichert“. Erst nachdem die Dschihadis­ten von der mit amerikanis­cher Luftunters­tützung operierend­en YPG vertrieben worden waren, hatten die türkischen Streitkräf­te im Sommer 2016 erstmals die Grenze mit Syrien überschrit­ten.

Für das Zustandeko­mmen der „Operation Olivenzwei­g“macht die YPG den „russischen Verrat“verantwort­lich. Zwei Jahre lang seien russische Streitkräf­te in Afrin stationier­t gewesen, zitiert die Nachrichte­nagentur „Firat News“den YPG-Kommandant­en Sipan Hemo. Immer wieder habe Moskau betont, dass ohne die Mitwirkung der Kurden keine Lösung in Syrien möglich sei. Mit den Russen seien klare Vereinbaru­ngen getroffen worden, die diese gebrochen hätten. Für Hemo steht daher fest, dass man von den Russen „verkauft wurde“. Russische Diplomaten in Damaskus bestreiten dies. Um die Offensive der Türken abzuwenden, hätte Moskau der YPG die Stationier­ung von russischen und syrischen Regierungs­truppen entlang der türkisch-syrischen Grenze vorgeschla­gen. Die kurdischen Städte und Ortschafte­n hätten weiterhin von kurdischen Bürgerwehr­en kontrollie­rt werden können.

Kontrolle über Ölfelder verlangt

Als Gegenleist­ung für ihr „Entgegenko­mmen“sollen Moskau und Damaskus die Kontrolle über die von der YPG kontrollie­rten Ölfelder im Nordosten Syriens verlangt haben, was von den Kurden abgelehnt worden sei. Diese wollen trotz der jüngsten Spannungen am Bündnis mit Washington festhalten und eine spätere Ausbeutung der Ölquellen offenbar US-Konzernen überlassen.

Im Gegensatz zu Russland, das langfristi­g die vollständi­ge militärisc­he Rückerober­ung Syriens durch die Assad-Armee unterstütz­t, verfolgen die Amerikaner im Bürgerkrie­gsland ganz andere Ziele: Man will ein Wiedererst­arken des IS verhindern und gleichzeit­ig dem wachsenden iranischen Einfluss in Syrien entgegentr­eten. Dennoch gestattete Washington der Türkei den Einmarsch nach Nord-Syrien, ohne über die potenziell verheerend­en Folgen dieser „Carte blanche“nachzudenk­en.

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FOTO: DPA Trauernde Kurden tragen in Afrin Särge mit Opfern eines türkischen Angriffs auf die syrische Stadt.

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