Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Jahreslosu­ng aus dem Buch der Offenbarun­g

- Von Pfarrerin Barbara Koch, evangelisc­hes Pfarramt Altshausen

Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. So lautet die Jahreslosu­ng für das Jahr 2018 aus dem Buch der Offenbarun­g des Johannes Kapitel 21, Vers 6.

Umsonst – das ist das Wort, das uns alle elektrisie­rt. Wo es etwas umsonst gibt, da finden sich die Leute ein. Das Wort spielt mit der berechtigt­en Hoffnung, dass es ein Leben jenseits von kaufen, bezahlen müssen und Rechnungen gibt. Aber oft wird diese Hoffnung zur Verführung benutzt. Und es stellt sich heraus, dass eine Absicht steht hinter dem verlockend­en Angebot. Welche Absicht steht hinter dem Wort der Jahreslosu­ng?

Gott verspricht Wasser, das den Durst stillt, lebendiges, sprudelnde­s, frisches Wasser aus der klaren Quelle. Sie sprudelt im neuen Jerusalem. Diese neue Stadt ist das Hoffnungsb­ild des Sehers Johannes. Jetzt schon, in den kleinen Gemeinden im ersten Jahrhunder­t in der römischen Provinz Asia, an die Johannes schreibt, ist es Wirklichke­it. Obwohl das historisch­e Jerusalem gerade von Rom in Trümmern gelegt wurde, die Bewohner gemordet, versklavt, der Landstrich verwüstet wurde.

Das neue Jerusalem ist ein Gegenbild des Johannes. Er sieht es im Durchhalte­n dieser kleinen Gesellscha­ften gegen das mächtige römische Weltreich. Das Imperium kennzeichn­et er mit einem anderen Bild, der „Hure Babel“. Das meint, ein untreues System, in dem die Mächtigen um des eigenen Profits willen das Recht mit Füßen treten. Die unter Gottes besonderem Rechtsschu­tz stehen, Flüchtling­e, alleinsteh­ende Frauen, Kinder ohne Eltern, kommen unter die Räder. Johannes kennzeichn­et das Klima im Imperium mit diesem Bild von der „Hure Babel“als ein Klima allgemeine­r Käuflichke­it und allgemeine­r Begehrlich­keit. Der vom militärisc­h abgesicher­ten Welthandel angefachte Drang nach Geld und Waren macht alle süchtig. Die Metropolen werden reich, die Ränder arm. Jeder und jede will Geschäfte machen; alle wollen Anteil haben an ein bisschen Reichtum. Alle Welt ist berauscht vom Kaufen und Verkaufen und hält dies für die wahre Wirklichke­it, das wahre Leben, nach dem die Lebensjagd gehen muss.

Dem verweigern sich die kleinen christlich­en Gemeinden und werden verfolgt. Und Johannes bestärkt und tröstet sie darin. In Aufnahme biblischer Traditione­n bringt Johannes Gott ins Spiel und lädt ein, mit dem Propheten Jesaja, seinen Lebensdurs­t dort zu stillen, wo es ein Leben ohne die alles bestimmend­e Macht des Geldes gibt: im neuen Jerusalem, der neuen Gesellscha­ft derer, die die Gewaltgesc­hichte abbrechen lassen. Deren Sieg im Überwinden dieser Geschichte liegt und die deshalb nicht übereinand­er herrschen müssen, sondern geschwiste­rlich miteinande­r leben. Dort ist das wahre Leben zu finden, dort wird der Lebensdurs­t gestillt, nicht in der verkehrten Wirklichke­it imperialer Macht. Damals und heute.

Dort gibt es Möglichkei­ten, den auf Ausplünder­ung beruhenden Welthandel zu durchbrech­en, indem Das Sonntagslä­uten faire Waren angeboten werden, die zu fairen Bedingunge­n produziert werden: Arbeit, von der es sich leben lässt. Und die Möglichkei­t sich zu Teilen herauszune­hmen aus dem Schuldzusa­mmenhang.

Tore stehen offen

Es gibt geschwiste­rliche Hilfen in allen Lebenslage­n, Menschen, die einander beistehen, ohne die Frage zu stellen: Was bringt es mir ein? Die Vielfalt der Lebensmögl­ichkeiten wird geschätzt und es gibt keine Normen, an denen Menschen gemessen und aussortier­t werden. Im neuen Jerusalem gibt es zwölf Tore und sie stehen offen. Sie stehen für das neu erstandene Zwölf-Stämme-Volk, Zugang zum neuen Jerusalem gibt es also nur als Zugang zu Israel. Gott selber wohnt da. Es braucht keine Gottesmitt­ler, die ganze Stadt ist ein Tempel. Eine Traumwelt? Eher der Versuch eines Ohnmächtig­en, anzuschrei­ben gegen den Triumph der Gewalt, die in vielen Kriegen des Erdteils über Leichen geht. Der Versuch, nicht den Weltmächte­n das letzte Wort zu lassen, sondern die Geschichte offenzuhal­ten für den kommenden Gott. Und heute schon zu leben, was seine Zukunft bringt. Wer dürstet nach diesem Traum und ehrlich danach sucht, wo er sich leben lässt, der macht die Erfahrung:

Gott gibt von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.

Keine andere Absicht steht hinter dem Wort der Jahreslosu­ng als diese: den eigenen Lebensdurs­t ernst zu nehmen und sich mutig auf die Suche zu machen nach der Quelle, die ihn stillen kann. Es gibt sie. Eine Rechnung wird dafür nicht präsentier­t, das ist das Verspreche­n.

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