Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Im Krankheitsfall hilft DocDirect
Pilotprojekt zur Telemedizin startet in Tuttlingen – Ärzte sollen Rezepte ausstellen dürfen
STUTTGART - Ärzte dürfen künftig Rezepte ausstellen, wenn sie Patienten per Telefon oder Videoanruf behandeln. Dazu müssen allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Dieser Auffassung ist jedenfalls das Landessozialministerium. Profitieren werden davon bald Patienten in Stuttgart und Tuttlingen. Die Haltung des Ministeriums bedeutet außerdem Rückenwind für weitere Telemedizin-Testläufe in Baden-Württemberg.
Anfang April soll ein bundesweit einmaliges Projekt starten. In Stuttgart und dem Landkreis Tuttlingen geht dann DocDirect an den Start. Finanziert von den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW) können gesetzlich Versicherte bei einer Hotline anrufen. Eigens geschulte Fachkräfte nehmen Anrufe an, leiten lebensbedrohlich, akute Fälle an die Notrufzentrale weiter und weisen alle anderen Anrufer einem Telearzt zu. Das sind in der Regel Haus- und Kinderärzte mit eigener Praxis, die sich für das Projekt haben schulen lassen. Sie übernehmen den Dienst zusätzlich zu ihrer Arbeit in den Praxen. Sie können die Patienten telefonisch beraten, sich per Videoanruf Symptome sogar zeigen lassen. Hält es der Arzt für erforderlich, besorgt er dem Anrufer am selben Tag einen Termin in einer nahegelegenen Praxis.
Bis vor Kurzem aber fehlte in den Plänen ein entscheidendes Element. Die Ärzte sollten kein Rezepte ausstellen. Zu groß war den Organisatoren von der KVBW das rechtliche Risiko. Das Arzneimittelgesetz verbietet es grundsätzlich, bei Fernbehandlungen Medikamente zu verschreiben, wenn Arzt und Patienten zuvor keinen regelmäßigen Kontakt hatten. Doch nun hat das Sozialministerium sowohl auf Anfrage der KVBW als auch des SPD-Landtagsabgeordneten Rainer Hinderer seine Rechtsauffassung geäußert. Und die besagt: In Ausnahmefällen und unter bestimmten Voraussetzungen hält das Haus von Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) es durchaus für möglich, dass Telemediziner Rezepte ausstellen. Entspricht die Fernbehandlung einer gewissenhaften Versorgung nach geltenden wissenschaftlichen Standards, könne es Ausnahmen geben. Das sei bei den Modellprojekten zur Telemedizin im Land gewährleistet.
„Mit den inzwischen von der Ärztekammer Baden-Württemberg genehmigten Modellprojekten betreten wir im Bundesgebiet Neuland. Deshalb sind auch noch nicht alle rechtlichen Rahmenbedingungen vorhanden. Ich bin froh, dass das Sozialministerium auf meinen Antrag hin den Ärzten bei der Interpretation des Heilmittelwerbegesetzes und des Arzneimittelgesetzes den Rücken stärkt“, sagt SPD-Gesundheitsexperte Hinderer. Denn die Telemedizin sei gerade im ländlichen Raum ein wichtiges Instrument, um auch in Zukunft medizinisch gute Versorgung sicherzustellen. Hinderer verweist auf erfolgreich laufende Projekte in anderen Staaten. Telemedizin sei keineswegs eine Billiglösung. Die Hälfte der Anrufer werde per Telefon oder Internet bereits so gut versorgt, dass kein weiterer Besuch in einer Praxis notwendig sei.
Befürworter der Telemedizin sehen gerade das als ein wichtiges Argument an. Patienten müssen auch krank nicht weit fahren, können andere Besucher einer Praxis nicht mehr infizieren, füllen nicht die Notaufnahmen der Krankenhäuser.
Die Landesärztekammer führt noch etwas anderes an. „Entwicklungen wie die Telemedizin machen nicht an Grenzen halt. Schon heute wenden sich Patienten aus Deutschland an entsprechende Diente im Ausland“, sagt Pressesprecher Oliver Erens. Es gelte, Schritt zu halten und eigene Modelle zu entwickeln, die Versorgung auf hohem Niveau gewährleisteten. Deswegen begrüßen die Medizinerverbände die Rechtsauslegung des Sozialministeriums zu den Rezepten. Sie seien ein wesentlicher Bestandteil ärztlicher Behandlungen. Wenn Rezepte ausgestellt werden könnten, mache das die Angebote wesentlich attraktiver für Patienten.
Krankschreibung nicht möglich
Allerdings muss die KVBW nun rasch einen Weg entwickeln, wie Rezepte online ausgestellt und mit den Kassen abgewickelt werden können. „Deshalb werden wir anfangs noch keine Rezepte ausstellen können, aber wir werden das bald möglich machen“, erklärt eine Sprecherin der KVBW. Noch ist unklar, wie die Rezepte zur Apotheke gelangen und mit den Krankenkassen abgerechnet werden.
Eine Baustelle bleibt aber bestehen. So dürfen Mediziner per Internet oder Telefon Patienten nicht krankschreiben. Hier sieht das Landessozialministerium zu hohe rechtliche Hürden. Damit der gelbe Schein auch von Telemedizinern ausgestellt werden darf, wäre eine Gesetzesänderung auf Bundesebene notwendig.