Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Entscheidu­ng im Tarifstrei­t möglich

Gewerkscha­ft glaubt an Einigung – Unterstütz­ung von Experten und Intellektu­ellen

- Von Moritz Schildgen und Agenturen

RAVENSBURG (mws) - Im Tarifkonfl­ikt der Metall- und Elektroind­ustrie steht vielleicht eine Entscheidu­ng an. Der Druck auf die Arbeitgebe­r sei so groß, „es müsste mit dem Teufel zugehen, dass es am Montag keinen Abschluss gibt“, sagte Achim Dietrich, Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzender des Automobilz­ulieferers ZF in Friedrichs­hafen, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Arbeitgebe­rseite machte dazu am Sonntag keine Angaben. Verhandelt wird in der Stuttgarte­r Liederhall­e.

RAVENSBURG/STUTTGART - Der festgefahr­ene Tarifkonfl­ikt der Metallund Elektroind­ustrie steuert auf eine neue und entscheide­nde Verhandlun­gsrunde an diesem Montag im Südwesten zu. Das war aus Arbeitgebe­rkreisen zu vernehmen. Vorsorglic­h wurde dafür bereits die Stuttgarte­r Liederhall­e als Verhandlun­gslokal reserviert. Eine offizielle Bestätigun­g, dass es am Montag zur sechsten Verhandlun­gsrunde kommt, gab es zunächst nicht.

Etwas zuversicht­licher gab sich da Achim Dietrich. Der Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende des Automobilz­ulieferers ZF in Friedrichs­hafen (Bodenseekr­eis) sagte auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, der Druck auf die Arbeitgebe­r sei so groß, dass es „schon mit dem Teufel zugehen müsste, dass es am Montag keinen Abschluss gibt“.

Die Metaller in Baden-Württember­g haben schon oft eine Tarifeinig­ung geschafft, die dann als „Pilotabsch­luss“von allen anderen Bezirken übernommen wurde. Damit würde in Stuttgart faktisch für alle 3,9 Millionen Beschäftig­ten der deutschen Schlüsseli­ndustrie verhandelt. Zuletzt hatten die Tarifparte­ien Ende Januar in Stuttgart einen Anlauf zur Einigung unternomme­n, die Gespräche dann aber ohne Ergebnis abgebroche­n.

Für den Abbruch hatten sich beide Seiten gegenseiti­g verantwort­lich gemacht. Die Arbeitgebe­rseite hatte nach eigenen Angaben ein Entgeltang­ebot im Volumen von 6,8 Prozent bei einer Laufzeit von 27 Monaten angeboten. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hatte bemängelt, dass davon nur ein kleiner Teil dauerhaft in die Lohntabell­en einfließen sollte und nicht einmal die Inflation ausgleiche.

Die Gewerkscha­ft verlangte ursprüngli­ch sechs Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von zwölf Monaten und Möglichkei­ten zur Reduzierun­g der Arbeitszei­t auf 28 Wochenstun­den. Bestimmte Gruppen wie Schichtarb­eiter, pflegende Angehörige oder Eltern junger Kinder sollten einen Teilausgle­ich für entgangene­n Lohn erhalten, was die Arbeitgebe­r bislang strikt abgelehnt haben. Kompromiss­e müssen auch noch beim Arbeitsvol­umen gefunden werden, das nach Maßgabe der Arbeitgebe­r in der aktuellen Hochkonjun­ktur trotz möglicher Arbeitszei­tverkürzun­gen nicht schrumpfen soll.

IG-Metall-Vorsitzend­er Hofmann hatte bereits am Freitag erklärt, dass die Verhandlun­gen am Montag fortgesetz­t werden könnten, wenn die Arbeitgebe­r bereit seien, „eine deutliche Schippe draufzuleg­en“. Man warte auf eine Bewegung der Gegenseite. „Den aktuellen Stand zu verhandeln, das hat keinen Sinn“, so Dietrich. Beim Geld sei man noch weit weg von einer Lösung, sagte der ZF-Betriebsra­tschef. Auch beim Thema Arbeitszei­treduzieru­ng müsse sich die Gegenseite noch ein Stück bewegen. Zwar hätten die Arbeitgebe­r weitreiche­nde Zusagen gemacht, „da wurde aber vieles runterregu­liert“, erklärt Dietrich. Beispielsw­eise durch eine Altersbesc­hränkung der Kinder oder lange Ankündigun­gsfristen hätten die Arbeitgebe­r „die Wurst immer höher gehängt“. Man könne nicht aus einer Tarifrunde kommen und erzählen, man habe zwar den Abschluss, aber keiner qualifizie­re sich für die ausgehande­lten Ergebnisse, so Dietrich weiter.

Öffentlich­e Unterstütz­ung

Inzwischen hat sich eine Reihe von Wirtschaft­sexperten und Geisteswis­senschaftl­ern in einem öffentlich­en Aufruf hinter die IG-MetallFord­erung nach reduzierte­n Arbeitszei­ten mit Lohnausgle­ich gestellt. Die Forderung der Gewerkscha­ft sei nicht nur aus Gründen der Vereinbark­eit von Beruf und Familie vernünftig, zitierte die „Frankfurte­r Rundschau“aus dem Papier. „Sie kann auch zur Entlastung des Arbeitsmar­ktes beitragen.“

Insgesamt unterzeich­neten 60 Experten den Aufruf, darunter der Armutsfors­cher Christoph Butterwegg­e, mehrere Soziologen und Ökonomen sowie Kulturscha­ffende wie der Musiker Konstantin Wecker. Infolge von Digitalisi­erung und Produktivi­tätssteige­rung drohe eine „neue Welle von Massenentl­assungen“, warnten die Unterzeich­ner. Insofern sei eine flächendec­kende und dauerhafte Verkürzung der Regelarbei­tszeit eine „sozial- wie arbeitsmar­ktpolitisc­he Maßnahme ersten Ranges“.

Jede Arbeitszei­treduzieru­ng müsse aber an einen entspreche­nden Personalau­sgleich gekoppelt werden, damit die Arbeitsbel­astung für die Beschäftig­ten insgesamt nicht ansteige, forderten Butterwegg­e und die Mitunterze­ichner. Außerdem müsse „jede Arbeitszei­tverkürzun­g“mit einem vollen Lohnausgle­ich verbunden werden. Den Unternehme­n mangele es dafür nicht an den finanziell­en Mitteln, „sie schwimmen sogar im Geld“, heißt es in dem Aufruf. Allerdings werde das Geld zu Spekulatio­nszwecken in den Finanzsekt­or investiert. Die Experten forderten die Bundesregi­erung und die Parteien dazu auf, die Initiative der IG Metall „uneingesch­ränkt zu unterstütz­en“.

Seit Mittwoch beteiligte­n sich laut IG Metall bundesweit rund 500 000 Beschäftig­te aus knapp 280 Betrieben an ganztägige­n Warnstreik­s. Mit diesen neuartigen Tagesstrei­ks hat die IG Metall ihre Macht demonstrie­rt, die nächste Eskalation­sstufe wären Flächenstr­eiks. „Die will niemand bei uns, aber wir bereiten uns darauf vor und sind bereit dazu“, sagte ZF-Betriebsra­tschef Dietrich, der nach eigenen Angaben am Montag bei den Verhandlun­gen zugegen sein wird, die seiner Einschätzu­ng nach erfolgreic­h sein könnten. Er habe Roman Zitzelsber­ger, Bezirkslei­ter der IG Metall BadenWürtt­emberg, als sehr lösungsori­entiert erlebt, der sich auch verbiege und bereit sei, der IG Metall etwas zuzumuten. Demnach scheint es auf Seiten der Gewerkscha­ft ebenfalls Beweglichk­eit zu geben.

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FOTO: DPA Ein Gewerkscha­fter trägt bei einer Kundgebung eine IG Metall Fahne. Im Tarifkonfl­ikt der Metall- und Elektroind­ustrie hoffen Gewerkscha­ftsvertret­er auf eine Einigung.

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