Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Verhandlungen gehen in die Verlängerung
Union und SPD einigen sich auf Baukindergeld und Milliarden für sozialen Wohnungsbau
BERLIN - Es wird noch etwas dauern. Union und SPD wollen ihre Koalitionsgespräche heute fortsetzen. Die Verhandlungen seien sehr konstruktiv verlaufen, in wichtigen Bereichen seien Einigungen erzielt worden, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Sonntagabend in Berlin. Die Spitzenrunde der Unterhändler habe aber festgestellt, „dass noch Themen vor uns liegen, bei denen die Parteien voneinander entfernt sind“und über die man gründlich und konzentriert reden wolle. Deswegen habe man gemeinsam entschieden, auf eine Nachtsitzung zu verzichten. SPD-Parteichef Martin Schulz hatte schon zu Beginn der Verhandlungen erklärt, man wolle sich nicht unter Druck setzen, sondern gute Grundlagen für eine stabile Regierung erreichen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: „Wir kennen unsere Aufgabe und versuchen, ihr gerecht zu werden.“Besonders schwierig bleiben nach wie vor die Themen Gesundheit und Zwei-Klassen-Medizin sowie die von der SPD geforderte Abschaffung der sachgrundlosen Befristung.
„Wir haben bereits weit über 100 Seiten aufgeschrieben“, sagte CDU-Unterhändler Thomas Strobl am späten Sonntagnachmittag zur „Schwäbischen Zeitung“. BadenWürttembergs Innenminister hätte die Verhandlungen gerne am Abend abgeschlossen. „Doch wenn wir noch ein bisschen Zeit brauchen, ist es eben so. Es geht ja auch um sehr viel, es geht um Deutschland“, sagte er. Strobl lobte bereits errungene Erfolge wie Steuersenkungen und Sozialabgaben unter 40 Prozent. Ihm sei auch der Beschluss wichtig, das schnelle Internet in die Fläche zu bringen. Die Koalitionäre wollen ab 2025 einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet schaffen.
Die Arbeitsgruppe Miete, Bauen und Wohnen hat sich zudem auf ein Baukindergeld geeinigt, das bei einem Jahreseinkommen von bis zu 75 000 Euro 1200 Euro pro Kind und Jahr betragen soll. Um die Wohnungsnot zu beseitigen, will der Bund zwei Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau stecken. Die Mietpreisbremse soll verschärft werden. SPD-Vize Natascha Kohnen sagte, es sei wichtig, die Ängste der Mieter zu reduzieren.
ROM - Ein rassistischer Anschlag überschattet den italienischen Wahlkampf. „Die Atmosphäre ist jetzt vergiftet und wir müssen diese Welle des Hasses stoppen, bevor es zu spät ist“, appelliert Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella an seine Bürger.
In der Kleinstadt Macerata in den Marken hatte ein 28-jährige Italiener, der im vergangenen Jahr bei Kommunalwahlen unweit von Macerata Kandidat der Lega Nord war, die Menschen in Schrecken versetzt: Aus einem Auto gab der Schütze an verschiedenen Plätzen der Stadt Schüsse ab und verletzte sechs Menschen aus Gambia, Nigeria, Ghana und Mali. Einige von ihnen wohnen schon länger in Italien, andere sind Asylbewerber, wie ein Polizeisprecher sagte. Der 28-Jährige hat nach eigenen Angaben aus Hass auf Menschen mit dunkler Hautfarbe gehandelt. Reue zeigte er nach seiner Festnahme nicht.
Aufnahmen von Kameras an einem Gebäude und in einer Kaffeebar, die am Sonntag im italienischen Fernsehen ausgestrahlt wurden, zeigen den Mann, wie er mit seinem Wagen vor einer Kaffeebar im Stadtzentrum hält, auf Personen schießt und weiterfährt. Sein Ziel waren Einwanderer aus Schwarzafrika, die in Macerata leben. Sechs von ihnen wurden verletzt, einer schwer. Nur wie durch ein Wunder starb niemand.
Faschistischer Gruß mit Flagge
Im Anschluss an die Schießerei verließ der Schütze seinen Wagen, erklomm ein Kriegerdenkmal, entfaltete eine italienische Flagge, legte sie sich um die Schulter, erhob seinen rechten Arm zum faschistischen Gruß und rief mehrfach mit lauter Stimme „Italien den Italienern“, „Tod allen Negern“. Am Sonntag erklärte der Mann, dass er stellvertretend für alle jene Italiener gehandelt habe, die es satt hätten, dass sich in Italien zu viele Einwanderer aufhielten.
Der Anschlag wurde von allen Mitte-Links-Parteien entschieden verurteilt. Doch Italiens rechte Parteien taten das nicht. „Genau das zeigt“, sagte am Sonntag der Philosoph und Linkspolitiker Massimo Cacciari, „wir sehr sich unsere italienische Gesellschaft bereits nach ganz rechts bewegt hat.“Italiens Innenminister Marco Minniti sprach von „offenem Rassenhass in Italien“und Regierungschef Paolo Gentiloni von „einer Gefahr für ganz Italien“.
Matteo Salvini, Chef der ausländerfeindlichen Partei Lega und nach eigenen Worten „der italienische Bruder von Marine Le Pen“, verurteilte zwar die Gewalt gegen Einwanderer, fügte aber hinzu, „dass wir uns nicht wundern dürfen, wenn sich Italiener angesichts einer nicht existierenden Flüchtlingsbegrenzung zu solchen Taten entscheiden“. Salvini sagte am Sonntag auch, dass man sich wehren müsse gegen jene Politiker, die aus Italien ein „Flüchtlingslager gemacht haben“.
Auch in der Partei „Fratelli d’Italia“der rechten Politikerin Giorgia Meloni gab es verständnisvolle Stimmen für Italiener, die es „leid sind, sich alles gefallen zu lassen“, so Meloni. Die Lega und die „Fratelli d’Italia“sind Partner im Wahlkampf von Silvio Berlusconis Forza Italia. Berlusconi bezeichnete den Anschlag als „Tat eines Geistesgestörten“. Der Polizei zufolge ist der junge Mann aber in keiner Weise gestört, er habe seine Tat bewusst geplant.
Tatsache ist, dass die Ablehnung von Ausländern in Italien immer größer wird. Das belegen Umfragen der vergangenen Wochen. Und das beweist auch das Verhalten nach dem rassistischen Anschlag in Macerata, wo etwa 700 Einwanderer aus Schwarzafrika leben. In sozialen Medien wie Facebook äußerten Hunderte Italiener Zustimmung für die Tat.
„Neofaschismus wieder salonfähig“
„Neofaschismus ist bei uns wieder salonfähig geworden“, sagte die Politikerin Emma Bonino. „Der Hass auf Ausländer, Frauen, Homosexuelle und Juden“habe „Ausmaße angenommen, die angesichts des Wahlkampfs gefährlich werden können“, so die prominente Frauenrechtlerin. Vor allem „angesichts einer immer größeren Zustimmung innerhalb der Bevölkerung“. In den vergangenen Wochen ist es zu mehreren neofaschistischen Aufmärschen in Norditalien gekommen, ohne dass Ordnungskräfte dagegen einschritten. Die gewalttätigen Übergriffe der vergangenen Monate auf Einwanderer seien, so Bonino, „ein Indiz dafür, dass Italien auf einem gefährlichen Weg ist“.