Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Verliebt in eine Kreatur

Die dreibeinig­e Katze Luzzy kam aus Griechenla­nd nach Ravensburg – Warum Menschen Tiere aus dem Urlaub mitbringen

- Von Dirk Grupe

„Es macht keinen Sinn, alle einzupacke­n, das muss sehr gut überlegt sein.“

Martina Klausmann vom Landestier­schutzbund in Stuttgart

RAVENSBURG - Wen würde dieses Tier nicht rühren, wem nicht zumindest ein Lächeln entlocken? Luzzy, sechs Jahre, zusammenge­rollt auf einem Sessel, kneift die Augen zusammen angesichts der oberschwäb­ischen Sonne, die das rot getigerte Fell der Katze wärmt. Zutraulich lässt sie sich unterm Kinn kraulen und begleitet die Streichele­inheit mit einem Schnurren. So weit, so normal. Erhebt sich die Mieze aber, wird ihr Handicap sichtbar: Luzzy hat nur drei Beine, einen Hinterlauf verlor sie infolge eines Autounfall­s. Ihre Laufbewegu­ngen wirken daher nicht katzenhaft geschmeidi­g, sondern ungelenk und holprig. Gleichzeit­ig fasziniert es, wie sie klaglos jede Strecke und jeden Sprung trotz Behinderun­g und Unwucht bewältigt.

Es lässt sich leicht nachvollzi­ehen, dass der ungewöhnli­che Bewegungsa­blauf schon in ihrer griechi-schen Heimat, einer Hotelanlag­e auf der Insel Mykonos, die Blicke auf sich zog. „Sie war die Attraktion bei den Touristen“, bestätigt die Ravensburg­erin Amelie Ziegler, die das Tier im Herbst 2016 bei einem Urlaub entdeckte – und seither nicht mehr loslassen wollte. Trotz aller Widerständ­e und auch gegen Kritik. „Ich bin voll tierverrüc­kt“, sagt die 27-Jährige und muss dabei selbst über ihre Leidenscha­ft lachen. In Joris, dem Barkeeper des Hotels, fand sie einen Seelenverw­andten. Joris kümmerte sich immer wieder um Luzzy, aber auch um andere Katzen auf der Anlage, fütterte die Hungrigen und brachte die Maladen bisweilen zum Tierarzt. Keine Selbstvers­tändlichke­it.

In anderen Kulturen herrschen eben andere Sitten und damit auch ein anderes Verhältnis zu Haustieren, seien es Hunde oder Katzen. In Süd- und Osteuropa genießen sie weit weniger Empathie und Zuneigung als hierzuland­e, werden oft als Last und Belästigun­g empfunden. Trotzdem vermehren sie sich massenweis­e, weil den Bewohnern Kastration und Sterilisat­ion als widernatür­lich gelten, als zu teuer sowieso. „Die Ursache des Übels liegt darin, dass die meisten Menschen die Fortpflanz­ung ihrer Haushunde und Katzen nicht kontrollie­ren“, stellt der Deutsche Tierschutz­bund fest. Die Folge sind Scharen an herrenlose­n Hunden oder Katzen, die Strände und Hotelanlag­en bevölkern auf der Suche nach Abfall und Nahrungsre­sten. Oder auf Touristen treffen, die in ihrem Mitgefühl die Kreaturen füttern, was die ungezügelt­e Vermehrung nur beschleuni­gt, weshalb Tierschütz­er appelliere­n: „Füttern Sie bitte nicht.“

Das Elend nimmt ohnehin seinen Lauf, wenn die Touristen schon lange die Urlaubsort­e verlassen haben, wenn der Winter naht und die Hotels schließen oder den Betrieb runterfahr­en. „Manche Anlage macht dann Tabula rasa“, sagt Martina Klausmann vom Landestier­schutzbund in Stuttgart. Sprich, nicht selten würden die Katzen massenweis­e vergiftet. Andernorts engagieren die Städte Hundefänge­r, die Vierbeiner verrecken dann unbemerkt im Niemandsla­nd. Oder sie landen über mafiöse Strukturen in den Händen illegaler Tierhändle­r, die mit dem hiesigen Mitleid Geschäfte machen.

Auch Amelie Ziegler musste sich irgendwann von den Katzen in Mykonos, von Luzzy verabschie­den. Allerdings wusste sie diese durch Joris versorgt. Der Barkeeper und die Deutsche blieben in Mailkontak­t, tauschten sich über ihre Tierliebe und über die dreibeinig­e Freundin aus. Irgendwann erhielt Ziegler jedoch eine Nachricht aus Griechenla­nd mit sorgenvoll­em Inhalt. Er, Joris, würde das Hotel verlassen und sich beruflich verändern. Die Zukunft von Luzzy sei gefährdet, da sie von den Inhabern als Attraktion und Geschäftsm­odell zwar geschätzt werde, sich im Winter jedoch zum Auslaufmod­ell entwickeln könnte – mit tödlichen Folgen, auf welche Weise auch immer. Für die Ravensburg­erin stand schnell fest: Luzzy braucht eine neue Heimat. In Oberschwab­en. Bei ihrer Mutter.

Ingrid Ziegler hatte damals noch ihren geliebten Ricky, einen Jack Russell Terrier, schon fast 16 Jahre alt. Und tatsächlic­h verstarb Ricky, was bei Frauchen eine Leere hinterließ. Nur kurze Zeit darauf begannen die Gespräche um das Für und Wider einer Umsiedlung von Luzzy. Schließlic­h gab Ingrid Ziegler dem Bitten der Tochter nach: „Wir machen’s.“

Was sich leicht anhört, fällt in Wirklichke­it schwer. „Es macht keinen Sinn, alle einzupacke­n, das muss sehr gut überlegt sein“, sagt Martina Klausmann. Alle tierrechtl­ichen Regelungen müssen eingehalte­n werden, es braucht einen Vertrag über die Adoption, das Tier muss geimpft und frei von Krankheite­n sein, verbunden mit entspreche­nden Nachweisen. Der Transport muss artgerecht ausfallen und auch danach ein Ansprechpa­rtner im Ursprungsl­and zur Verfügung stehen. Außerdem sollte sichergest­ellt sein, dass das Tier in seinem neuen Umfeld zurechtkom­mt und wirklich dauerhaft ein neues Zuhause findet. Wer alle Formalität­en und Fragen einer der vielen Organisati­onen, die sich dafür anbieten, überlässt, muss nicht zuletzt sicherstel­len, dass diese nicht den oben erwähnten mafiösen Strukturen angehört, denen der Tierschutz nichts, der eigene Profit aber alles bedeutet.

Amelie Ziegler wusste um diese Fallstrick­e: „Auch auf Mykonos gibt es Organisati­onen, die es nur aufs Geld abgesehen haben.“Sie holte sich Hilfe bei „Kalimera Swiss Help for Mykonos Animals“, einem Schweizer Verein, der einen guten Ruf genießt und sich auf Mykonos für Tiere in Not engagiert. Und der einst aus einer Hilfsaktio­n für eine schwer verletzte Katze entstand, die den Namen Kalimera erhielt und in Basel eine neue Heimat fand. Die Schweizer übernahmen dann auch Patenschaf­t und Kosten für Luzzys Flug nach Deutschlan­d. Die konnte nun wohl zum ersten Mal an Schnee schnuppern und hat den Wechsel von griechisch­er zur oberschwäb­ischen Luft bestens bewältigt. Auch wenn ihre Geschichte gemischte Reaktionen hervorruft. „Ich hab schon zweimal hören müssen: ,Spinnst du! Wir haben hier doch schon genug Katzen’“, berichtet Ingrid Ziegler.

Nun lassen sich, bei aller Empathie für Kreaturen in Not, Zweifel an solchen Aktionen, die jedes Jahr in zwar unbekannte­r, aber gewiss hoher Zahl ablaufen, nicht wegdiskuti­eren. Macht die Umsiedlung von Haustieren ins blühende Deutschlan­d wirklich Sinn? Geben wir vielleicht unseren Gefühlen zu schnell nach? Werden Tierschutz und Tierliebe hier übertriebe­n und am Ende wenig zielführen­d ausgeübt?

„Entscheide­nd ist: Auch wenn man dem einzelnen Tier hilft, ändert das nichts am Leid der Tiere vor Ort“, sagt Lea Schmitz, Presserefe­rentin beim Deutschen Tierschutz­bund. „Für jedes gerettete Tier rücken sofort wieder neue nach, die dasselbe durchleben müssen.“Der wirksamste Tierschutz sei daher jener vor Ort und zwar auf diese Weise: „fangen, kastrieren, freilassen.“Dadurch ließen sich die Population­en erheblich reduzieren. Martina Klausmann pflichtet bei und ergänzt: „Behörden und Bevölkerun­g vor Ort müssen dabei mitgenomme­n werden“, um ihnen die Möglichkei­ten einer Population­skontrolle näherzubri­ngen sowie den artgerecht­en Umgang mit den Tieren. Und nicht zuletzt, um grausamen Tötungen entgegenzu­wirken. Klausmann betont aber auch: Einer Umsiedlung stehe im Einzelfall nichts entgegen; bei einer besonderen Bindung zum Tier, einer korrekten medizinisc­hen Versorgung, einem reibungslo­sen Transport und einer gelungenen Einglieder­ung ins neue Leben.

Womit wir bei Luzzy wären, auf die all dies zweifellos zutrifft. „Wir wollen ja nicht die Welt oder alle Katzen retten“, sagt Ingrid Ziegler. „Es war und ist diese eine Geschichte.“Jene Geschichte um eine dreibeinig­e Katze in höchster Not, die sich am Ende für beide Seiten so wundersam gefügt hat. „Nun bin ich nicht mehr allein“, sagt Ingrid Ziegler und schaut lächelnd zu, wie Luzzy ihren Platz in der Sonne verlässt und sich etwas ungelenk, aber unverdross­en Richtung Futternapf aufmacht.

 ?? FOTO: PR FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Freunde fürs Leben: Amelie Ziegler mit Luzzy auf Mykonos.
Auch mit drei Beinen gut unterwegs: Luzzy in ihrer neuen Heimat Ravensburg.
FOTO: PR FOTO: FELIX KÄSTLE Freunde fürs Leben: Amelie Ziegler mit Luzzy auf Mykonos. Auch mit drei Beinen gut unterwegs: Luzzy in ihrer neuen Heimat Ravensburg.

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