Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Zum Erfolg verdammt
Wie die Großkoalitionäre auf den letzten Metern Tempo machen
BERLIN - Am Nachmittag ging es plötzlich Schlag auf Schlag. Einigung beim schwierigen Thema Mieten, Bauen und Wohnen auf Baukindergeld und mehr sozialen Wohnungsbau. Einigung auch beim Thema Kommunales/ländlicher Raum und beim Thema Digitales. Die Arbeitsgruppe Kunst und Kultur stellt ihre Ergebnisse vor. Doch die dicksten Brocken, Arbeitsmarkt und ZweiKlassen-Medizin, sind noch nicht in trockenen Tüchern.
Insgesamt bleibt der Eindruck, dass die Union es eiliger hat als die SPD. Dass die Sozialdemokraten vielleicht auch mit Blick auf ihren bevorstehenden Mitgliederentscheid lange ringen müssen. Um zu zeigen, dass sie verhandelt haben, „bis es quietscht“– wie SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles auf dem SPD-Parteitag versprochen hatte und SPDVize Manuela Schwesig wiederholt. Parteichef Martin Schulz warnt, zu viel zeitlichen Druck könne man nicht brauchen, schließlich gehe es um „eine stabile Grundlage für eine stabile Regierung“.
Etwas frostig ist der Auftakt zur letzten großen Runde der Koalition. Leichtes Eis auf den Berliner Straßen, riesige Eisblöcke mit der Jahreszahl 2020 vor dem Willy-BrandtHaus, mit denen Greenpeace gegen die Aufgabe der Klimaziele demonstriert. Ernst geht es in der SPD-Zentrale zu, Nervosität ist spürbar. Kurz angebunden zeigt sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Morgen im Willy-Brandt-Haus. „Wir kennen unsere Aufgabe und versuchen, ihr gerecht zu werden.“
Doch am Nachmittag ist klar: Es könnte noch etwas dauern. Denn Union und SPD wollen ein drittes Mal heiraten, aber sie kennen bereits die Fehler des Partners sehr genau. In kleinen und großen Runden wird verhandelt, die Themen Gesundheit und Arbeitsmarkt sind die schwierigsten Brocken. Mehr als 100 Seiten sind schon geschrieben. Immer wieder gibt es Info-Häppchen für die wartenden Journalisten.
Erleichterung spürbar
Auch beim Thema Wohnen und Mieten trennt Union und SPD viel. Um so erleichterter verkündet SPD-Vize Natascha Kohnen, mit rotem Schal um den Hals, das Ergebnis. „Wir haben uns als SPD-Länder stark für sozialen Wohnungsbau eingesetzt“, und das mit Erfolg. In der SPD wisse man, dass die Frage, ob man sich ein Dach über dem Kopf leisten kann, eine der sozialen Frage des 21. Jahrhunderts sei. Deshalb werde man in den sozialen Wohnungsbau „mindestens zwei Milliarden reinstecken“. Zum Mietpaket gehöre, die Ängste der Mieter zu reduzieren, wenn Modernisierungskosten auf sie zu kommen. Die Modernisierungsumlage solle von elf auf acht Prozent gesenkt werden. Über Bodenpreise soll eine Enquete-Kommission beraten.
Bernd Althusmann, CDU-Wirtschaftsminister aus Niedersachsen, ist mindestens ebenso zufrieden und meint stolz: „Wir haben eines der dicksten Bretter der Koalitionsverhandlungen gebohrt.“Das Baukindergeld sei ein ganz wichtiger Grundstein für Familien. Es werde den Wohnungsbau stark ankurbeln. Man müsse Mieter vor überhöhten Mieten schützen, auf der anderen Seite Investitionsanreize und Eigentumsbildung voranbringen. Althusmann meint, es sei eine „anstrengende Woche“gewesen, „die aber ausgesprochen viel Freude gemacht hat“. Kurt Gribel, Oberbürgermeister von Augsburg, fasst zusammen: „Wir haben uns wechselseitig nichts geschenkt, aber zusammen viel gewonnen.“
Dieses Motto sehen auch andere Gruppen erfüllt. Den Rückstand bei der Digitalisierung abzubauen, war ein weiteres großes Thema. Zehn bis zwölf Milliarden Euro sollen in den Breitbandausbau gesteckt werden. „Wir wollen spätestens 2025 das Recht auf schnelles Internet rechtlich verankern“, verspricht SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Helge Braun, Staatsminister im Kanzleramt, hält das für eine „gute Botschaft für die weißen Flecken in ländlichen Räumen“. Allein, die Botschaft haben vor fünf Jahren auch schon die Großkoalitionäre versprochen und die Digitalisierung sollte unter Federführung von Bauminister Alexander Dobrindt vorangetrieben werden. Das ist zu wenig geschehen, aber für Dobrindt geht das Rennen weiter: „Der Marathon bewegt sich aufs Ziel vor.“