Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Die Mauer hat die Menschen zur Anpassung getrieben“
Roland Jahn, Leiter der Stasiunterlagenbehörde BStU, zur Aufarbeitung der deutschen Teilung
BERLIN - 28 Jahre lang hat die Mauer Deutschland und
Berlin geteilt. Heute ist es ebenso lange her, dass sie wieder gefallen war. Der Leiter der Stasiunterlagenbehörde, Roland Jahn (Foto: dpa) tritt dafür ein, die Erinnerung daran durch bestimmte Orte und den Geschichtsunterricht aufrecht zu erhalten. Dies sagte er im Gespräch mit Andreas Herholz.
Herr Jahn, ist heute für Sie ein besonderes Datum?
Dieses Datum ist eine Kopfgeburt. Das hat nichts mit den Emotionen der Menschen zu tun. Die Jahrestage der Ereignisse sind viel wichtiger. Der 13. August 1961, der Tag an dem die DDR mit dem Mauerbau begonnen hatte, weckt in den Menschen Erinnerungen, genau wie der 9. November 1989, der Tag an dem die Mauer schließlich fiel. Dennoch ist dieser Tag eine gute Gelegenheit, um sich mit dem Thema Mauer, der Teilung Deutschlands und der Geschichte Berlins zu beschäftigen. Aber die Erinnerung sollte nicht nur auf solche Tage beschränkt sein. Die Gedenkstätten und Ausstellungen bieten jeden Tag die Möglichkeit, sich mit dem historischen Erbe zu beschäftigen.
Jüngere Menschen wissen wenig über diesen Teil der Geschichte. Sollten deutsch-deutsche Teilung, DDR und die Mauer im Schulunterricht stärker thematisiert werden?
In den letzten Jahren ist viel getan worden. Die Kultusministerkonferenz hat das Thema inzwischen als wichtigen Bestandteil in die Lehrpläne aufgenommen. Viele Schulklassen beschäftigen sich beispielsweise auf Klassenfahrten und an Projekttagen mit der Teilungsgeschichte. Schulunterricht und Erinnerungsorte sind sehr wichtig. Aber die Teilungsgeschichte darf nicht zum trockenen Geschichtsunterricht werden. Es gilt dabei, stärker auf die Lebenswelt Jugendlicher einzugehen, ihnen etwas zu bieten, das sie für sich persönlich mitnehmen können. Viele Nachgeborene fragen sich ja: Was hat das mit mir zu tun? Diese Brücke zu schlagen, dazu sollten sowohl Erinnerungsorte als auch der Geschichtsunterricht eine Chance bieten.
Wie haben Sie als Kind den Mauerbau in der DDR erlebt?
Der Mauerbau war natürlich ein Schock und wurde in allen Familien der DDR heiß diskutiert. Richtig bewusst wurde es mir, als ich als Kind mit meinen Eltern auf der Urlaubsreise an die Ostsee durch Ostberlin fuhr. Da wurde mir deutlich, dass die Mauer mitten durch eine Stadt geht und man sich nicht mehr frei bewegen konnte. Das wollte nicht in meinen Kopf hinein, dass es innerhalb einer Stadt plötzlich Grenzen gab.
Wie haben Mauer und Stacheldraht die Gesellschaft verändert?
Die Mauer hat dazu geführt, dass die Menschen in der DDR sich arrangiert haben. Sie haben in dem Bewusstsein gelebt, sie können sowieso nichts ändern und eine Flucht ist zu gefährlich. Die Mauer hat die meisten Menschen zur Anpassung getrieben.