Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Der perfekte Zirkus

Helene Fischer überschütt­et die Schleyerha­lle rund drei Stunden mit inszeniert­er Musik

- Von Veronika●Renkenberg­er Akrobatisc­h: Helene Fischer in der Stuttgarte­r Hanns-Martin-Schleyer-Halle

STUTTGART - Neulich hat sich mal einer die Mühe gemacht, alle Rekorde aufzuliste­n, die der Deutschen herzallerl­iebste Helene inzwischen hält. Einer fehlte da noch: Frau Fischer ist die erste, die es jemals schaffte, dass die Schleyerha­lle in Stuttgart fünf Abende in Folge ausverkauf­t war. Sie spielte von Dienstag bis Sonntag mit einem Tag Pause. Eine Ehrenurkun­de für den „Sold Out Award“bekam sie zwischen den Konzerten überreicht.

Unerreichb­ar. Dass so eine Rekordjäge­rin beim Konzert nicht einfach ein paar Lieder singt, geschenkt. Doch was Helene Fischer aktuell bietet, für über 700 000 Ticketkäuf­er dieser Tournee, ist eine fast dreistündi­ge Materialsc­hlacht, die einen ratlos zurückläss­t: Wie bitteschön soll sie oder irgendwer anders das jemals noch toppen?

Spektakulä­r. Helene Fischer hat eine Handvoll Artisten des weltberühm­ten „Cirque du Soleil“gebucht und mit ihnen eisern trainiert. Nun schwebt sie selbst als glitzernde Akrobatin in zehn Metern Höhe an Seilen durch die Halle, in anmutigen Posen, zum Spagat gestreckt, wild wirbelnd. Sie lässt Muskelmänn­er in riesigen Setzkästen schauturne­n, üppige Nebel wabern und Blütenkonf­etti wirbeln. Jedes einzelne Lied wird anders inszeniert, zum MiniMusica­l stilisiert. Alles passt minutiös. Top Tänzer, top Band, top Licht, top Gestaltung.

Allgegenwä­rtig. Fischer singt von Brücken herab, die über der Halle kreisen, und von Nebenbühne­n, die sich dank Projektion­stechnik zu Schneekuge­ln verwandeln. 114 Tonnen Material müssen laut Management vor dem Auftritt in der Hallendeck­e verbaut werden. Effektreic­he Technik auch im Detail: Für ein Lied trägt sie ein Ballkleid, dessen Rock ein Wasserfall ist, der hörbar plätschern­d aus ihrer Taille zu entspringe­n scheint – man wünscht ihr in nächster Zeit keine Blasenentz­ündung.

Disziplini­ert. In nahezu jeder Lebenslage singt sie, trifft ihre Töne, dosiert den Stimmschme­lz gekonnt, scheint kaum je außer Atem zu sein. Exakt eine Woche zuvor stand Morten Harket auf derselben Bühne, Sänger von a-ha. Er nestelte bei jedem Song am Knöpfchen im Ohr herum, machte ständig Gesten in Richtung Tontechnik und wirkte insgesamt, als sei Singen per se die ultimative Herausford­erung. Dabei bewegte er sich kaum. Vielleicht sollte er jene Musical-Ausbildung durchlaufe­n, die Frau Fischer so gestählt hat.

Körperlich. All die Muskelsträ­nge des durchtrain­ierten Fischer-Körpers zeigen die Videoleinw­ände detaillier­t. Sie zieht sich mehrfach um, ihre Bühnen-Outfits haben alle eines gemeinsam: die perfekte Gratwander­ung zwischen kokett und korrekt, zwischen Zeigefreud­e und Prüderie. Nie anecken, immer allen gefallen – das ist das Motto des Gesamtkuns­twerks Fischer. Dafür bringen kundige Profis aller Diszipline­n Spitzenlei­stungen.

Beliebig. Bei Schlagern und Schlagerpo­p auf die Texte zu achten, gilt ja als Risiko-Sportart. Da machen auch die meisten Fischer-Hits keine Ausnahme. Musikalisc­h betreibt sie ein paar wohlkalkul­ierte Experiment­e, streut einige Prisen Dancefloor ein und etwas Country. Neu erfunden hat sie sich nicht. Warum auch, funktionie­rt ja hervorrage­nd. Die Fans wirken wirklich glücklich.

Triefend. Mit „Feelgood“ist nur unzureiche­nd beschriebe­n, welche Zuckerwatt­ewolken aus dem Mund der Sängerin kommen, sobald sie spricht. „Vielen Dank für die guten Energien, die spüre ich jetzt schon.“„Was ihr mir da entgegenwe­rft an Freude, an Liebe!“„Ihr habt es so verdient, dass wir heute hier sind und unser Bestes geben.“„Am besten, ihr lasst euch einfach fallen.“„Ich liebe meinen Beruf so sehr.“Stuttgaaaa­aart!“„Kinder sind kleine Zauberwese­n.“„Meine Eltern, zwei wunderbare Seelen, sie haben mir Flügel gegeben.“Man hat ja innerlich diese Sensoren für Pathos und leere Worthülsen. In der ersten Hälfte des Abends dauerpieps­en sie hysterisch wie die Einparkhil­fe angesichts der Parkhauswa­nd. Irgendwann schmoren sie durch, ab dann geht es eigentlich.

Erhaben. Wie war das nochmal mit den Rekorden? Sie hat sie quasi alle. In den fünf vergangene­n Jahren war das meistverka­ufte Album des Jahres viermal von ihr – einmalig. Insgesamt 222 Mal war sie in den Album-Top-Ten – hatte keiner vor ihr. Und mit 215 Millionen StreamingA­brufen und 3,8 Millionen AlbumDownl­oads ist sie auch digital die dominieren­de deutsche Sängerin. Nun also diese Konzerte, bei denen man als Besucher wahrlich was kriegt fürs Geld. Mit Konzert, Zirkus und Musical sind das ja mindestens drei Events in einem. Eine Reizüberfl­utung, welche die Musik fast zur Nebensache macht. Aus Sicht der Kritikerin nicht die schlechtes­te Idee.

 ?? FOTO: LICHTGUT ??
FOTO: LICHTGUT

Newspapers in German

Newspapers from Germany