Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Der perfekte Zirkus
Helene Fischer überschüttet die Schleyerhalle rund drei Stunden mit inszenierter Musik
STUTTGART - Neulich hat sich mal einer die Mühe gemacht, alle Rekorde aufzulisten, die der Deutschen herzallerliebste Helene inzwischen hält. Einer fehlte da noch: Frau Fischer ist die erste, die es jemals schaffte, dass die Schleyerhalle in Stuttgart fünf Abende in Folge ausverkauft war. Sie spielte von Dienstag bis Sonntag mit einem Tag Pause. Eine Ehrenurkunde für den „Sold Out Award“bekam sie zwischen den Konzerten überreicht.
Unerreichbar. Dass so eine Rekordjägerin beim Konzert nicht einfach ein paar Lieder singt, geschenkt. Doch was Helene Fischer aktuell bietet, für über 700 000 Ticketkäufer dieser Tournee, ist eine fast dreistündige Materialschlacht, die einen ratlos zurücklässt: Wie bitteschön soll sie oder irgendwer anders das jemals noch toppen?
Spektakulär. Helene Fischer hat eine Handvoll Artisten des weltberühmten „Cirque du Soleil“gebucht und mit ihnen eisern trainiert. Nun schwebt sie selbst als glitzernde Akrobatin in zehn Metern Höhe an Seilen durch die Halle, in anmutigen Posen, zum Spagat gestreckt, wild wirbelnd. Sie lässt Muskelmänner in riesigen Setzkästen schauturnen, üppige Nebel wabern und Blütenkonfetti wirbeln. Jedes einzelne Lied wird anders inszeniert, zum MiniMusical stilisiert. Alles passt minutiös. Top Tänzer, top Band, top Licht, top Gestaltung.
Allgegenwärtig. Fischer singt von Brücken herab, die über der Halle kreisen, und von Nebenbühnen, die sich dank Projektionstechnik zu Schneekugeln verwandeln. 114 Tonnen Material müssen laut Management vor dem Auftritt in der Hallendecke verbaut werden. Effektreiche Technik auch im Detail: Für ein Lied trägt sie ein Ballkleid, dessen Rock ein Wasserfall ist, der hörbar plätschernd aus ihrer Taille zu entspringen scheint – man wünscht ihr in nächster Zeit keine Blasenentzündung.
Diszipliniert. In nahezu jeder Lebenslage singt sie, trifft ihre Töne, dosiert den Stimmschmelz gekonnt, scheint kaum je außer Atem zu sein. Exakt eine Woche zuvor stand Morten Harket auf derselben Bühne, Sänger von a-ha. Er nestelte bei jedem Song am Knöpfchen im Ohr herum, machte ständig Gesten in Richtung Tontechnik und wirkte insgesamt, als sei Singen per se die ultimative Herausforderung. Dabei bewegte er sich kaum. Vielleicht sollte er jene Musical-Ausbildung durchlaufen, die Frau Fischer so gestählt hat.
Körperlich. All die Muskelstränge des durchtrainierten Fischer-Körpers zeigen die Videoleinwände detailliert. Sie zieht sich mehrfach um, ihre Bühnen-Outfits haben alle eines gemeinsam: die perfekte Gratwanderung zwischen kokett und korrekt, zwischen Zeigefreude und Prüderie. Nie anecken, immer allen gefallen – das ist das Motto des Gesamtkunstwerks Fischer. Dafür bringen kundige Profis aller Disziplinen Spitzenleistungen.
Beliebig. Bei Schlagern und Schlagerpop auf die Texte zu achten, gilt ja als Risiko-Sportart. Da machen auch die meisten Fischer-Hits keine Ausnahme. Musikalisch betreibt sie ein paar wohlkalkulierte Experimente, streut einige Prisen Dancefloor ein und etwas Country. Neu erfunden hat sie sich nicht. Warum auch, funktioniert ja hervorragend. Die Fans wirken wirklich glücklich.
Triefend. Mit „Feelgood“ist nur unzureichend beschrieben, welche Zuckerwattewolken aus dem Mund der Sängerin kommen, sobald sie spricht. „Vielen Dank für die guten Energien, die spüre ich jetzt schon.“„Was ihr mir da entgegenwerft an Freude, an Liebe!“„Ihr habt es so verdient, dass wir heute hier sind und unser Bestes geben.“„Am besten, ihr lasst euch einfach fallen.“„Ich liebe meinen Beruf so sehr.“Stuttgaaaaaart!“„Kinder sind kleine Zauberwesen.“„Meine Eltern, zwei wunderbare Seelen, sie haben mir Flügel gegeben.“Man hat ja innerlich diese Sensoren für Pathos und leere Worthülsen. In der ersten Hälfte des Abends dauerpiepsen sie hysterisch wie die Einparkhilfe angesichts der Parkhauswand. Irgendwann schmoren sie durch, ab dann geht es eigentlich.
Erhaben. Wie war das nochmal mit den Rekorden? Sie hat sie quasi alle. In den fünf vergangenen Jahren war das meistverkaufte Album des Jahres viermal von ihr – einmalig. Insgesamt 222 Mal war sie in den Album-Top-Ten – hatte keiner vor ihr. Und mit 215 Millionen StreamingAbrufen und 3,8 Millionen AlbumDownloads ist sie auch digital die dominierende deutsche Sängerin. Nun also diese Konzerte, bei denen man als Besucher wahrlich was kriegt fürs Geld. Mit Konzert, Zirkus und Musical sind das ja mindestens drei Events in einem. Eine Reizüberflutung, welche die Musik fast zur Nebensache macht. Aus Sicht der Kritikerin nicht die schlechteste Idee.