Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Zwischen Zufriedenheit und Ablehnung
In der Südwest-CDU hält sich der Jubel über den Koalitionsvertrag in Grenzen
STUTTGART - Begeisterung sieht anders aus. Obwohl die CDU wohl im Bund erneut die Kanzlerin stellen wird und die Mehrzahl der Minister, fällt das Urteil von CDU-Politikern aus dem Südwesten über den Koalitionsvertrag mit der SPD durchwachsen aus.
Wer in Berlin sitzt und den Entwurf des Koalitionsvertrages mit der SPD mitverhandelt hat, ist naturgemäß etwas weniger skeptisch. Von Landespolitikern und aus der Jungen Union kommen deutlich kritischere Worte. Besonders schmerzt der Verlust des mächtigen Finanzministeriums an die SPD, außerdem gibt es Kritik an den Einigungen bei Rentenund Europapolitik. Auf breite Zustimmung stößt dagegen, was die CDU bei der Begrenzung der Flüchtlingszahlen sowie bei Digitalisierung, Steuer- und Familienpolitik erreicht hat.
Baden-Württembergs CDU-Generalsekretär Manuel Hagel sitzt zwischen den Berliner und Stuttgarter Stühlen. Sein Chef Thomas Strobl war als Parteivize im Bund maßgeblich an den Koalitionsgesprächen beteiligt. So fällt denn auch sein Fazit gemischt aus. „Die CDU hat sich in für mich zentralen Punkten durchgesetzt: Wir setzen klare und verbindliche Regeln zur Steuerung und Begrenzung der Migration. Wir stärken Familien, wir investieren in Forschung, Digitalisierung, Infrastruktur und vor allem in Bildung, ohne dabei die Kultushoheit der Länder anzutasten.“Dann lässt der Ehinger Landtagsabgeordnete aber auch Kritik folgen: „Als Jüngerer hätte ich mir bei der Rente mehr Kreativität gewünscht und mir auch bei der Ressortverteilung mehr vorstellen können.“
Yannick Bury, Chef der Jungen Union in Südbaden, wird in beiden Punkten noch deutlicher. Er fordert seine Parteifreunde auf, dem Koalitionsvertrag beim Bundesparteitag am 26. Februar nicht zuzustimmen. „In der Rentenpolitik fehlt mir einfach die Antwort auf die Frage, wer das am Ende bezahlt.“In der Europapolitik habe man zu wenig erreicht.
Das Statement des JUlers stieß in den sozialen Netzwerken auf viel Zustimmung. Die Reaktionen sind symptomatisch in den sozialen Medien. „Meine Stimme gibt es erst mal nicht mehr. Dafür habe ich die CDU nicht gewählt. Der komplette Ausverkauf unseres Landes, den ihr da betreibt“, schreibt etwa ein
User auf der FacebookSeite der CDU-BadenWürttemberg. Aussagen mit ähnlichem Tenor dominieren die Kommentarspalten auf den Seiten von Abgeordneten und Partei.
„Jubelstürme erreichen mich gerade nicht“, gibt auch JU-Landeschef
Philipp Bürkle zu. Ähnliches berichten auch andere Unionsvertreter. Die Stimmung sei skeptisch bis ablehnend. „Die JU hatte schon auf eine Verjüngung des CDU-Personals in der Regierung gehofft und auf ein Zeichen des Aufbruchs. Das kann ich jetzt nicht erkennen“, so Bürkle. Nun müsse die CDU in den kommenden Jahren ihre Inhalte durchsetzen, darauf werde es letztlich ankommen.
Der Kritik der Jungen Union teilt Landeseuropaminister Guido Wolf so nicht. „Ein besserer Schutz der Außengrenzen, eine stärkere Rolle der EU in der Außenund Sicherheitspolitik und bei der Bekämpfung von Fluchtursachen – alles das ist dringend notwendig und deshalb uneingeschränkt zu begrüßen.“Mit Besorgnis sieht Wolf jedoch, dass sowohl Außen- als auch Finanzministerium an die SPD gehen sollen. Sollte das dazu führen, dass sich Deutschland in der EU stärker finanziell engagiert, gefährde das die wirtschaftliche Stabilität.
Gute Inhalte an vielen Stellen, aber eine Gefahr für die Länder sehen die Landtagsabgeordneten Raimund Haser und Winfried Mack. „Als Europäer freue ich mich über das Bekenntnis zur EU, als Deutscher freue ich mich über eine voll funktionierende Regierung, aber als Baden-Württemberger muss ich sagen: Wir dürfen den Föderalismus nicht abschaffen“, sagt Haser. Der Bund wolle zu viele Kompetenzen an sich reißen, statt die Probleme dort zu lösen, wo man sich damit auskenne – nämlich vor Ort. Davor warnt auch der Ellwanger Parlamentarier Mack. Er sieht mit Sorge, dass die CDU viele Kompetenzen in EU-Fragen an die SPD-Ministerien verlieren könnte. Deren
Kurs sei es, immer mehr Souveränität an Brüssel zu geben. „Es gibt natürlich die Tendenz, dafür mehr Macht aus den Ländern nach Berlin zu ziehen.“Allerdings müsse die CDU trotz des schmerzhaften Verlustes des Finanzministeriums an die SPD zufrieden sein. „Wir hatten nur noch in diesem Bündnis eine Chance, endlich wieder ein Regierung zu bilden. Diese muss jetzt aufhören, sich mit sich selbst zu beschäftigen und die Probleme der Menschen angehen.“Das betont auch
Macks Abgeordnetenkollege August Schuler. Der Ravensburger sagt: „Die Bürger sind erleichtert, dass es nun endlich wieder eine Regierung gibt – falls die SPD-Mitglieder dem zustimmen.“Die Unionsparteien hätten
wichtige Ressorts für sich gewinnen können – etwa Gesundheit und Verkehr (CSU).
Überwiegend positiv fallen die
Urteile der Bundestagsabgeordneten aus. Thomas Bareiß resümiert: „Ich bin zufrieden und erleichtert, dass wir jetzt ein gemeinsames Ergebnis erreicht haben. Wie so oft im Leben ist dies auch mit Kompromissen verbunden. Aber das Gesamtergebnis zählt und das ist in der Sache gut.“
Der Biberacher Josef Rief sieht Fortschritte für den ländlichen Raum – etwa beim Ausbau des schnellen Internets. In der Familienpolitik habe die Union etwa mit dem Baukindergeld viel erreicht. „Wir haben nur 33 Prozent der Wählerstimmen gewonnen, nicht 51. Deswegen müssen wir Kompromisse machen“, so Rief.
So sieht das auch der Ravensburger Parlamentarier
Axel Müller: Die Frage der Ministerposten sei nicht entscheidend. „Die Handlungsspielräume in den Ministerien sind durch den Koalitionsvertrag vorgegeben. Ein SPD-Finanzminister kann nicht einfach die Vergemeinschaftung europäischer Schulden vorantreiben oder den Finanzrahmen über alle Maße ausdehnen“, so Müller.