Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Note wunderbar
In diesen Tagen erhalten wieder Tausende von Schülern ihre Halbjahresinformationen. Was für die einen wie eine großartige Belohnung für erbrachte Leistungen daherkommt, ist für die anderen mit Angstzuständen und nächtelangem Wachliegen verbunden. Natürlich werden viele Lehrer nicht müde, bei der Ausgabe zu betonen, dass es sich bei den Noten keinesfalls um eine Bewertung der Person an sich handelt, sondern lediglich um Zwischenstände für die Leistungen, die erbracht wurden. Aber sind wir doch einmal ehrlich, wenn wir an unsere eigene Schulzeit zurückdenken, war eine Trennung von Leistung und Person schier unmöglich, es gab „die Guten“und „die Schlechten“und manches Mittelmaß.
Klar, auch hier ist die Schule ein Spiegelbild der Gesellschaft. Der Zusammenhang zwischen Arbeit, Leistung und Wertschätzung drückt sich am sichtbarsten im Gehalt aus, subtiler im sozialen Status. Höher, schneller, weiter und vor allem immer mehr – dieses System hat über die letzten Jahrhunderte durchaus funktioniert, mal besser und mal schlechter. Mit der Digitalisierung stößt es im 21. Jahrhundert definitiv an seine Grenzen. Wenn menschliche Arbeit weniger wird und gleichzeitig immer mehr Menschen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen, müssen wir den Zusammenhang zwischen Arbeit und Bezahlung aufbrechen, wie es der Philosoph Richard David Precht jüngst forderte. Sicher, wir brauchen Leistung, auf ihr beruht auch unser Wohlstand. Aber wir brauchen sie nicht als Maßeinheit für gesellschaftlichen Wert, vielmehr als Ergebnis gestillter Existenzbedürfnisse, als Folge von Wertschätzung und Anerkennung.
Der Herr sieht das Herz
Der Verfasser des Buches Samuel in der Bibel schreibt: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an“und Antoine de Saint-Exupery legt seinem Fuchs im Dialog mit dem kleinen Prinzen die Worte in den Mund, man sehe „nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. Ein sehendes Herz jenseits aller Oberflächlichkeiten erkennt eine Menschenwürde jenseits aller Äußerlichkeiten, auch jenseits aller Leistung. Das ist es auch, was das Grundgesetz fordert und was der Beter in Psalm 139 meint, wenn er schreibt: „Ich danke dir, Herr, dass ich wunderbar gemacht bin“.
Als ich kürzlich meine Schüler in die Ferien verabschiedete und mit dem Herzen sprach, sagte ich: „Ihr seid eine Inspiration für mich“. In diesem Augenblick war es mucksmäuschenstill im Klassenzimmer. Ich wünsche mir, dass die Worte und die Haltung verstanden wurden, hoffentlich nachhaltig auch von mir selbst.