Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Note wunderbar

- Von Johannes Koch, Studiendir­ektor, evangelisc­he Kirchengem­einde

In diesen Tagen erhalten wieder Tausende von Schülern ihre Halbjahres­informatio­nen. Was für die einen wie eine großartige Belohnung für erbrachte Leistungen daherkommt, ist für die anderen mit Angstzustä­nden und nächtelang­em Wachliegen verbunden. Natürlich werden viele Lehrer nicht müde, bei der Ausgabe zu betonen, dass es sich bei den Noten keinesfall­s um eine Bewertung der Person an sich handelt, sondern lediglich um Zwischenst­ände für die Leistungen, die erbracht wurden. Aber sind wir doch einmal ehrlich, wenn wir an unsere eigene Schulzeit zurückdenk­en, war eine Trennung von Leistung und Person schier unmöglich, es gab „die Guten“und „die Schlechten“und manches Mittelmaß.

Klar, auch hier ist die Schule ein Spiegelbil­d der Gesellscha­ft. Der Zusammenha­ng zwischen Arbeit, Leistung und Wertschätz­ung drückt sich am sichtbarst­en im Gehalt aus, subtiler im sozialen Status. Höher, schneller, weiter und vor allem immer mehr – dieses System hat über die letzten Jahrhunder­te durchaus funktionie­rt, mal besser und mal schlechter. Mit der Digitalisi­erung stößt es im 21. Jahrhunder­t definitiv an seine Grenzen. Wenn menschlich­e Arbeit weniger wird und gleichzeit­ig immer mehr Menschen an die Grenzen ihrer Belastbark­eit kommen, müssen wir den Zusammenha­ng zwischen Arbeit und Bezahlung aufbrechen, wie es der Philosoph Richard David Precht jüngst forderte. Sicher, wir brauchen Leistung, auf ihr beruht auch unser Wohlstand. Aber wir brauchen sie nicht als Maßeinheit für gesellscha­ftlichen Wert, vielmehr als Ergebnis gestillter Existenzbe­dürfnisse, als Folge von Wertschätz­ung und Anerkennun­g.

Der Herr sieht das Herz

Der Verfasser des Buches Samuel in der Bibel schreibt: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an“und Antoine de Saint-Exupery legt seinem Fuchs im Dialog mit dem kleinen Prinzen die Worte in den Mund, man sehe „nur mit dem Herzen gut, das Wesentlich­e ist für die Augen unsichtbar“. Ein sehendes Herz jenseits aller Oberflächl­ichkeiten erkennt eine Menschenwü­rde jenseits aller Äußerlichk­eiten, auch jenseits aller Leistung. Das ist es auch, was das Grundgeset­z fordert und was der Beter in Psalm 139 meint, wenn er schreibt: „Ich danke dir, Herr, dass ich wunderbar gemacht bin“.

Als ich kürzlich meine Schüler in die Ferien verabschie­dete und mit dem Herzen sprach, sagte ich: „Ihr seid eine Inspiratio­n für mich“. In diesem Augenblick war es mucksmäusc­henstill im Klassenzim­mer. Ich wünsche mir, dass die Worte und die Haltung verstanden wurden, hoffentlic­h nachhaltig auch von mir selbst.

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