Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Die Anlage weiß später, wer ein Warmdusche­r ist“

Auf dem Ehoch4-Gelände werden Anlagen zur Revolution der Energiesys­teme getestet

- Von Jennifer Kuhlmann www.schwaebisc­he.de/ csells-ehoch4

HOHENTENGE­N - Der Kasten, der im Erdgeschos­s eines ehemaligen Unterkunft­sgebäudes der Oberschwab­enkaserne in Hohentenge­n steht, sieht eher unspektaku­lär aus. Dabei ist er eine der innovativs­ten Energieerz­eugungsanl­agen, die Deutschlan­d derzeit zu bieten hat. Eine Gruppe von Forschern aus Süddeutsch­land arbeitet hier – gefördert durch Bundesmitt­el – unter dem Titel „C/sells“an der Umsetzbark­eit der Energiewen­de (siehe Kasten).

Seit einem Jahr läuft das Projekt auf dem Ehoch4-Gelände bereits. Die Anlage wurde vom Team des Internatio­nal Solar Energy Research Center (ISC) Konstanz entwickelt und kann thermische und elektrisch­e Energie erzeugen, speichern und ins Stromnetz einspeisen. Sie stellt genügend Strom und Wärme für die Versorgung von Ein- und Mehrfamili­enhäusern zur Verfügung. Derzeit ist sie für Unterkunft­sgebäude verantwort­lich, nach und nach sollen aber weitere Gebäude wie die Eingangspf­orte, die Sporthalle oder der Hangar dazukommen.

„Unseren Strom beziehen wir aus Fotovoltai­k und speichern ihn in einem großen Akku“, sagt Dr. Kristian Peter, Vorstandsv­orsitzende­r des ISC Konstanz und Geschäftsf­ührer im Bereich Anwendunge­n und Systeme. Die Wärme kommt aus einer handelsübl­ichen Wärmepumpe. „Wenn die Sonne nicht stark genug scheint, liefert eine integriert­e Brennstoff­zelle die benötigte elektrisch­e und thermische Energie.“

Anlage entscheide­t selbst

Die Brennstoff­zelle und die Wärmepumpe sind außerdem Schnittste­llen mit dem externen Stromnetz. „Braucht der Netzbetrei­ber Strom zum Ausgleich punktuell zu schwacher erneuerbar­er Energien im Netz, kann unser Strom gegen eine Vergütung ins Netz eingespeis­t werden“, so Peter. Im Gegenzug kann Energieübe­rschuss im Netz über die Wärmepumpe abgenommen werden. „Die Nutzer im Haus merken nichts davon, erhalten ihren Strom und ihre Wärme aber immer nach Bedarf“, sagt Projektlei­ter Franz Reichenbac­h. Die intelligen­te Steuerung der sogenannte­n TH-E-Box entscheide eigenständ­ig und immer wieder neu, welche Teile der Anlage aktiv sind und ob Strom ins Netz eingespeis­t werden soll. „Die Anlage wird mit Wetter- und Verbrauchs­daten der Nutzer gefüttert“, sagt Reichenbac­h. So könne sie im Voraus berechnen, wie viel Bedarf es in den kommenden Tagen geben wird. „Irgendwann weiß die Anlage, wer ein Warmdusche­r ist und wer im Winter die Heizung immer voll aufdreht.“

Am C/sells-Schaufenst­er sind insgesamt 72-Projektpar­tner beteiligt. Dazu gehören etwa die Hersteller von IT- und Kommunikat­ionszubehö­r, Netzbetrei­ber und Energiedie­nste sowie weitere wissenscha­ftliche Institutio­nen und Universitä­ten. „Für uns ist aber vor allem auch die Zusammenar­beit mit der Ehoch4 GmbH ein Glücksfall“, betont Kristian Peter. „Ohne diese Liegenscha­ften könnten wir unsere Versuchsre­ihen nicht so aufbauen, wie es nötig wäre.“Unterstütz­t werden sie vor Ort von Diego Thaller de Zarate, der seit Dezember vergangene­n Jahres als Projektman­ager bei der Ehoch4 GmbH angestellt wurde. Er übernimmt damit Aufgaben, die Geschäftsf­ührer Jürgen Gaugel zuvor selbst wahrgenomm­en hat, und hilft in Zukunft auch dabei, weitere Gebäude ans Netz der intelligen­ten Box zu nehmen.

Wie gut sind Infrarothe­izungen?

In der ersten Etage des besagten Gebäudes hat nun auch ein weiteres Forschungs­projekt begonnen, das vom Bundesbaum­inisterium gefördert wird. Professor Thomas Stark und Projektlei­ter Jan Heider von der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) beschäftig­en sich hier mit dem bisher nicht sehr intensiv untersucht­en Bereich der Infrarothe­izungen. „Wir haben eine Langzeitst­udie über eine Heizperiod­e begonnen, um zu erfahren, wie effizient Infrarothe­izungen tatsächlic­h im Vergleich zu mit einer Wärmepumpe betriebene­n Fußbodenhe­izung mit Wasser oder einer reinen elektrisch­en Fußbodenhe­izung ist“, sagt Stark. Dies ist möglich, da in Ehoch4 vier identische Räume langfristi­g als Labor genutzt werden können. Eine mit Sensoren ausgestatt­ete Kugel bildet dabei das menschlich­e Empfinden innerhalb eines Raumes nach.

Da für eine Infrarothe­izung lediglich flache Platten wie Bilder an der Wand oder der Decke angebracht und mit Strom versorgt werden müssen, könnte sich – vorausgese­tzt Infrarot hält dem Vergleich stand – eine Revolution der Heizsystem­e anbahnen. „Es ist kein Heizraum, keine Wärmepumpe und kein Verteilsys­tem mehr nötig und die Installati­onskosten sind sehr gering“, so Stark.

Ein Video zu den Forschunge­n gibt es unter

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FOTOS: JENNIFER KUHLMANN Professor Thomas Stark von der HTWG Konstanz (links) erklärt die Funktionsw­eise der mit Sensoren ausgestatt­eten Kugel, die in den Testräumen für Infrarothe­izungen hängt. Franz Reichenbac­h vom ISC Konstanz betreut das Projekt, bei dem eine Anlage Strom...
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