Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Die Anlage weiß später, wer ein Warmduscher ist“
Auf dem Ehoch4-Gelände werden Anlagen zur Revolution der Energiesysteme getestet
HOHENTENGEN - Der Kasten, der im Erdgeschoss eines ehemaligen Unterkunftsgebäudes der Oberschwabenkaserne in Hohentengen steht, sieht eher unspektakulär aus. Dabei ist er eine der innovativsten Energieerzeugungsanlagen, die Deutschland derzeit zu bieten hat. Eine Gruppe von Forschern aus Süddeutschland arbeitet hier – gefördert durch Bundesmittel – unter dem Titel „C/sells“an der Umsetzbarkeit der Energiewende (siehe Kasten).
Seit einem Jahr läuft das Projekt auf dem Ehoch4-Gelände bereits. Die Anlage wurde vom Team des International Solar Energy Research Center (ISC) Konstanz entwickelt und kann thermische und elektrische Energie erzeugen, speichern und ins Stromnetz einspeisen. Sie stellt genügend Strom und Wärme für die Versorgung von Ein- und Mehrfamilienhäusern zur Verfügung. Derzeit ist sie für Unterkunftsgebäude verantwortlich, nach und nach sollen aber weitere Gebäude wie die Eingangspforte, die Sporthalle oder der Hangar dazukommen.
„Unseren Strom beziehen wir aus Fotovoltaik und speichern ihn in einem großen Akku“, sagt Dr. Kristian Peter, Vorstandsvorsitzender des ISC Konstanz und Geschäftsführer im Bereich Anwendungen und Systeme. Die Wärme kommt aus einer handelsüblichen Wärmepumpe. „Wenn die Sonne nicht stark genug scheint, liefert eine integrierte Brennstoffzelle die benötigte elektrische und thermische Energie.“
Anlage entscheidet selbst
Die Brennstoffzelle und die Wärmepumpe sind außerdem Schnittstellen mit dem externen Stromnetz. „Braucht der Netzbetreiber Strom zum Ausgleich punktuell zu schwacher erneuerbarer Energien im Netz, kann unser Strom gegen eine Vergütung ins Netz eingespeist werden“, so Peter. Im Gegenzug kann Energieüberschuss im Netz über die Wärmepumpe abgenommen werden. „Die Nutzer im Haus merken nichts davon, erhalten ihren Strom und ihre Wärme aber immer nach Bedarf“, sagt Projektleiter Franz Reichenbach. Die intelligente Steuerung der sogenannten TH-E-Box entscheide eigenständig und immer wieder neu, welche Teile der Anlage aktiv sind und ob Strom ins Netz eingespeist werden soll. „Die Anlage wird mit Wetter- und Verbrauchsdaten der Nutzer gefüttert“, sagt Reichenbach. So könne sie im Voraus berechnen, wie viel Bedarf es in den kommenden Tagen geben wird. „Irgendwann weiß die Anlage, wer ein Warmduscher ist und wer im Winter die Heizung immer voll aufdreht.“
Am C/sells-Schaufenster sind insgesamt 72-Projektpartner beteiligt. Dazu gehören etwa die Hersteller von IT- und Kommunikationszubehör, Netzbetreiber und Energiedienste sowie weitere wissenschaftliche Institutionen und Universitäten. „Für uns ist aber vor allem auch die Zusammenarbeit mit der Ehoch4 GmbH ein Glücksfall“, betont Kristian Peter. „Ohne diese Liegenschaften könnten wir unsere Versuchsreihen nicht so aufbauen, wie es nötig wäre.“Unterstützt werden sie vor Ort von Diego Thaller de Zarate, der seit Dezember vergangenen Jahres als Projektmanager bei der Ehoch4 GmbH angestellt wurde. Er übernimmt damit Aufgaben, die Geschäftsführer Jürgen Gaugel zuvor selbst wahrgenommen hat, und hilft in Zukunft auch dabei, weitere Gebäude ans Netz der intelligenten Box zu nehmen.
Wie gut sind Infrarotheizungen?
In der ersten Etage des besagten Gebäudes hat nun auch ein weiteres Forschungsprojekt begonnen, das vom Bundesbauministerium gefördert wird. Professor Thomas Stark und Projektleiter Jan Heider von der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) beschäftigen sich hier mit dem bisher nicht sehr intensiv untersuchten Bereich der Infrarotheizungen. „Wir haben eine Langzeitstudie über eine Heizperiode begonnen, um zu erfahren, wie effizient Infrarotheizungen tatsächlich im Vergleich zu mit einer Wärmepumpe betriebenen Fußbodenheizung mit Wasser oder einer reinen elektrischen Fußbodenheizung ist“, sagt Stark. Dies ist möglich, da in Ehoch4 vier identische Räume langfristig als Labor genutzt werden können. Eine mit Sensoren ausgestattete Kugel bildet dabei das menschliche Empfinden innerhalb eines Raumes nach.
Da für eine Infrarotheizung lediglich flache Platten wie Bilder an der Wand oder der Decke angebracht und mit Strom versorgt werden müssen, könnte sich – vorausgesetzt Infrarot hält dem Vergleich stand – eine Revolution der Heizsysteme anbahnen. „Es ist kein Heizraum, keine Wärmepumpe und kein Verteilsystem mehr nötig und die Installationskosten sind sehr gering“, so Stark.
Ein Video zu den Forschungen gibt es unter