Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die zehn Gebote in positives Denken umwandeln
Man hat manchmal den Eindruck, dass viele Schüler und Erwachsene das angebliche 11. Gebot „Du sollst dich nicht erwischen lassen!“besser kennen als die zehn Gebote, die in der Bibel stehen. Und doch: Die meisten von den katholischen und evangelischen Christen haben in der Regel im Religionsunterricht vor der Erstbeichte oder Erstkommunion oder im Konfirmandenunterricht einmal die zehn Gebote auswendig gelernt (oder lernen müssen).
Aber dann hörte man öfter: „Ich habe niemanden umgebracht, ich habe meine Frau nicht betrogen, ich habe niemandem etwas weggenommen oder gestohlen.“Und vieles mehr. Das war gewissermaßen entschuldigend eine Kurzfassung der zehn Gebote, um zu sagen, dass man doch ein guter Mensch sei. Man sah die zehn Gebote immer als „etwas“an, was „man“als Christ nicht tun darf. Oft stand das Verbot „Du sollst nicht …“im Vordergrund. Eine innere Annahme dieser zehn Gebote und von Gott gegebenen Lebensregeln fehlte.
Zum einem richtigen Verständnis der bekannten zehn Gebote aus dem Alten Testament (Buch Exodus 20, 117) gehört aber der Satz, der vor ihnen steht. Er ist wichtig! Da heißt es nämlich: „Dann sprach Gott all diese Worte: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“Und dann kommen erst die wichtigen Sätze, dass der von Gott Befreite und Erlöste keine anderen Götter neben sich haben soll, dass er den Namen Jahwes (= Herr) ehren und auch den Sabbat, der Gott, dem Herrn geweiht ist, achten soll. Ein menschenwürdiges Zusammenleben sprechen dann die folgenden Gebote an: Vater und Mutter zu ehren, nicht zu töten und die Ehe nicht zu brechen, nicht zu stehlen und nicht falsch gegen den Nächsten auszusagen, nicht das Haus oder die Frau oder den Besitz des anderen zu begehren.
Wir wissen heute genauso wie in früheren Zeiten, dass Gesetze und Regeln für ein gutes und gerechtes Zusammenleben nötig sind. Der Vorspruch zu den zehn Geboten „Ich bin der Herr, dein Gott …“ ist aber wichtig. Er ist gewissermaßen das Plus-Zeichen vor den Geboten, auch wenn sie immer mit dem etwas negativ klingenden Satz „Du sollst nicht …“beginnen. Es geht im Zusammenleben von Menschen – so darf es der glaubende Mensch sagen – immer um Gott, der unser Leben und unsere Freiheit will. Vor ihm sind wir keine Sklaven.
Strenger Richter
Leider haben viele Menschen ein falsches Gottesbild: Gott ist der Aufpasser, der strenge Richter, der Strafende. Aber Karl Rahner, ein großer katholischer Theologe und Jesuit aus dem 20 Jahrhundert, hat schon vor Jahrzehnten einmal gesagt: „Gott sei Dank gibt es nicht, was 60 bis 80 Prozent der Zeitgenossen sich unter Gott vorstellen.“Wenn Gott nur der Aufpasser und das Erziehungsdruckmittel für Kinder wäre, dann wirkten diese zehn Gebote wirklich wie ein einengendes Korsett. Sie würden einem die Luft zum Leben abdrücken. Dann würden die Gebote nur verstanden wie „Verbotener Weg!“oder „Zuwiderhandelnde werden bestraft!“oder „Eltern haften für ihr Kinder!“Aber mit dem Leben und dem guten Zusammenleben von Menschen und Völkern hätte das dann nichts mehr zu tun.
Bei diesen zehn alttestamentlichen Geboten steht für uns Christen von heute immer das Hauptgebot Jesu im Hintergrund, das positiv formuliert ist: „Du sollst Gott, deinen Herr, lieben und deinen Nächsten wie dich selbst!“Es geht darum, Gott und den Menschen in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns zu stellen. Nur an Verboten zu kleben wäre gefährlich. Das würde den Blick für das Gute, das wir tun können und tun sollen, trüben und verstellen und das Handeln als Christ lähmen.
Geben wir diesen über 3000 Jahre alten zehn Geboten die Chance, unser Leben und Zusammenleben von heute zu gestalten und manches „Du sollst nicht“in positives Denken und Tun umzuwandeln: „Du darfst dich am Wirken Gottes für dich erfreuen und diesen Gott loben und ehren! … Vermehre das Gute, das Vater und Mutter dir in deinem Leben getan haben! … Du darfst zum Leben anderer beitragen! …Du darfst deinen Ehepartner, deine Kinder glücklich machen!“