Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ab Mitte März wird wieder regiert
Bundeskanzlerin Merkel drückt aufs Tempo – CSU präsentiert Minister und hält an Maut fest
BERLIN/MÜNCHEN - Nach der mehr als fünfmonatigen Hängepartie soll der Stillstand im politischen Berlin nun baldmöglichst beendet werden. „Es wird wichtig sein, dass wir schnell als Regierung auch mit dem Arbeiten beginnen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag. Die Menschen hätten „einen Anspruch darauf, dass jetzt auch etwas geschieht und vor allen Dingen, dass umgesetzt wird, was wir uns vorgenommen haben“. Die SPD habe mit der Zustimmung zum Koalitionsvertrag eine gute Grundlage für eine gemeinsame Regierungsarbeit gelegt. Nun sei wichtig, „dass es in ein paar Tagen auch losgeht“. Merkel soll am 14. März erneut im Bundestag als Kanzlerin gewählt werden.
Die Koalitionspartner sind offenkundig willens, mit dem Tempo Schritt zu halten. Die SPD möchte, entgegen ursprünglicher Ankündigungen, nun doch bereits bis zum Wochenende Klarheit über ihre Minister schaffen. Der designierte Innenminister Horst Seehofer sagte am Montag in München: „Wir freuen uns jetzt alle auf die Realisierung des Koalitionsvertrages.“Die CSU wolle „stark Gas geben“.
Seehofer selbst will am 13. März sein Amt niederlegen und sich am Tag danach in Berlin als neuer Innenminister vereidigen lassen. Damit habe er seine „Zusage eingelöst“, noch vor Ostern das Amt des Ministerpräsidenten an Nachfolger Markus Söder abzugeben. Dafür, dass er fast zehn Jahre lang bayerischer Ministerpräsident sein konnte, werde er „ewig dankbar sein", erklärte der 68-Jährige. In Berlin wird das Innenministerium auf seinen Wunsch zum Heimatministerium erweitert. Zum Aufgabenbereich zählen dann auch die Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland, der gesellschaftliche Zusammenhalt mit dem Dialog der Kulturen sowie Raumordnung und Landesplanung.
Neben Seehofer kommen Dorothee Bär als Staatsministerin für Digitales und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer als neuer Verkehrsminister in die Hauptstadt. Markus Blume, bislang stellvertretender Generalsekretär der CSU, wird neuer CSU-Generalsekretär. Entwicklungsminister Gerd Müller bleibt in seinem Amt. Er habe „hervorragende Arbeit“gemacht, lobte Seehofer den in Krumbach geborenen Allgäuer.
Der designierte Verkehrsminister Scheuer sagte am Montag zur „Schwäbischen Zeitung“: „Nach 160 Tagen des Sondierens und Verhandelns ist es höchste Zeit, dass endlich wieder regiert wird. SPD und Union müssen jetzt zügig liefern, den Koalitionsvertrag abarbeiten und gut und vertrauensvoll zusammen zu arbeiten.“Konkrete Pläne für seinen künftigen Bereich nannte der 43-Jährige aus Passau noch nicht. Jedoch stellte er klar, dass er an der von seinem Vorgänger Alexander Dobrindt (CSU) durchgesetzten Pkw-Maut festhalten wird: „Daran wird nicht gerüttelt.“
BERLIN - Er hat gekämpft, und er hat gewonnen: Gerd Müller bleibt Entwicklungsminister. Der 62-jährige Allgäuer hat sich in den letzten vier Jahren Respekt verschafft, auch bei Horst Seehofer. Und er hat keine Minute einen Hehl daraus gemacht, dass er gerne in seinem Amt bleiben möchte. Und doch wäre er es fast losgeworden. Denn die CSU wollte mit Dorothee Bär auch eine Frau ins Kabinett schicken.
„Die Doro“, sagt Seehofer in der Pressekonferenz immer wieder, die Doro also sitze doch am Kabinettstisch. Die einzige Frau im neuen CSU-Spitzenteam für Berlin wird aber genau genommen keine Ministerin, sondern Staatsministerin für Digitales. Bis vor einigen Tagen galt sie als mögliche Nachfolgerin von Gerd Müller. Dorothee Bär, 39, ärgert sich zwar, wenn sie als Quotenfrau bezeichnet wird, doch Fähigkeiten in der Entwicklungshilfe wurden ihr bisher nicht nachgesagt. Wohl aber in der Digitalpolitik. Im Ministerium für Verkehr und Digitales war sie vier Jahre lang Staatssekretärin, doch genau dieses Ministerium sollte der Seehofer-Getreue und bisherige Generalsekretär Andreas Scheuer bekommen, so wie es vor ihm auch schon an den früheren Generalsekretär Alexander Dobrindt für treue Dienste ging.
Außenpolitischer Anspruch
Verkehr: besetzt. Innen: übernimmt der Chef selbst. Blieb also: Entwicklungshilfe. Doch hier war der Aufschrei, nicht nur in der CSU, groß. Das Außenministerium geht meist an den Koalitionspartner, doch die Christsozialen wollen in Berlin gerne auch ein Ministerium mit außenpolitischem Anspruch wie das Entwicklungsministerium behalten.
Gerd Müller hat diesen Anspruch mit Leben gefüllt. Wenn wir nicht die Not in der Welt bekämpfen, kommt sie zu uns, ist seine Einsicht. „Im globalen Dorf hängt alles zusammen.“Für den Katholiken Müller ist es ein ethisches Gebot, Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit überall zu beseitigen. Mit dieser Haltung steht er der Kanzlerin nahe. In der Asylpolitik ist er die gemäßigte Stimme der CSU, jemand, der die Grenzen der Aufnahmekapazitäten sieht, aber die Deutschen im Wohlstand auch gerne an ihre Pflichten erinnert.
Von Anfang an hat sich Müller begeistert in die Arbeit als Entwicklungsminister gekniet, von fairen Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie bis hin zu einem MarshallPlan mit Afrika, was zum Spitznamen „Marshall Müller“führte. Müller hat plakative Aktionen gemacht, er hat es geschafft, das Verständnis für Entwicklungspolitik in der Bevölkerung zu erhöhen und den Etat seines Ministeriums ebenfalls.
Gerd Müller ermahnt die Deutschen, wenn sie ein T-Shirt für drei Euro kaufen, an die Produktionsbedingungen in Indien zu denken. Er boykottierte die Olympischen Spiele in Brasilien aus Protest gegen die sozialen und ökologischen Folgen für die Bevölkerung. Müller genießt ein hohes Ansehen auch bei Entwicklungspolitikern der SPD und der Grünen. Und die grüne Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth lobte ihn, dass er das vertrete, was Papst Franziskus den Kampf gegen die globale Gleichgültigkeit nenne. Der Leiter des internationalen katholischen Missionswerk Missio, Monsignore Wolfgang Huber, sagte nach seiner Bestätigung im Amt erleichtert: „Gerd Müller ist aus Sicht kirchlicher Hilfswerke ein Glücksfall für das Entwicklungsministerium.“
Genau dieses hohe Ansehen von Müller verschaffte Horst Seehofer das Problem bei der Kabinettsbildung, das er erst in einigen Gesprächen mit der Kanzlerin lösen konnte. Deren neuer Kanzleramtschef Helge Braun ist zwar schon zum obersten Digitalisierer der Republik gemacht worden, doch eine Staatsministerin für Digitales darf es noch zusätzlich sein. „Bär muss jetzt mit Helge Braun und der Kanzlerin die Frage der Digitalisierung nach vorne ziehen“, sagt Horst Seehofer. Bär verstehe so viel von Digitalisierung, dass er mit ihr keine Diskussion führen möchte, „da sehe ich vielleicht noch älter aus“.
Bei der Pressekonferenz in München umrahmten dann Horst Seehoer und Gerd Müller als die beiden alten Hasen der CSU demonstrativ Dorothee Bär und Andi Scheuer als die neuen, die ein Zeichen der Verjüngung setzen sollen. Dann stießen noch die beiden Staatssekretäre Thomas Silberhorn und Stephan Mayer dazu und Horst Seehofer fiel dabei auf, dass keiner unter 1,90 m im Team ist. Doch Andreas Scheuer protestierte, er sei nur 1,86. Aber immerhin Basketballer, stellte Seehofer klar. Klar wurde aber auch, dass es eine CSU-Männermannschaft ist. Trotz „Doro“. Die ist nicht 1,90 m.