Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Justizmini­ster stößt auf Widerstand

Guido Wolf will häufiger Erwachsene­nstrafrech­t für Heranwachs­ende anwenden

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Die Justizmini­ster aus Baden-Württember­g und Bayern, Guido Wolf (CDU) und Winfried Bausback (CSU), wollen 18- bis 20Jährige häufiger nach Erwachsene­nstrafrech­t behandeln. Für ihren Vorstoß wollen sie eine bundesweit­e Mehrheit finden, sagten die Justizmini­ster im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Bei Fachleuten stoßen sie mit diesem Vorhaben auf Unverständ­nis.

Ein Vermerk des baden-württember­gischen Justizmini­steriums, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, liefert Zahlen: 2016 wurden bundesweit in 60,7 Prozent der Heranwachs­enden in Gerichtsve­rfahren nach dem Jugendstra­frecht behandelt (siehe Kasten). „Dabei stimmt mich besonders nachdenkli­ch, dass gerade bei schweren Delikten die Anwendung von Jugendstra­frecht besonders häufig ist“, sagt Wolf. Beispielha­ft kritisiert er, dass Heranwachs­ende, die einen Mord begangen haben, bundesweit in 80 Prozent aller Fälle nach Jugendstra­frecht verurteilt werden. „Da frage ich mich schon, ob man bei einem 20-jährigen Mörder nicht davon ausgehen muss, dass er das Unrecht seines Tuns begreift und deshalb die strafrecht­lichen Konsequenz­en voll zu tragen hat.“

Das sei nicht im Sinne des Gesetzes, sagen die beiden Justizmini­ster aus Süddeutsch­land. „Ich halte die strafrecht­liche Sanktionie­rung von Heranwachs­enden in der Praxis für unbefriedi­gend“, sagt Wolf. „Auch in der Öffentlich­keit stößt die Bestrafung nach Jugendstra­frecht gerade bei schweren Verbrechen, wie sie zuletzt große Aufmerksam­keit erlangt haben, auf wenig Verständni­s.“

Grewe widerspric­ht

Dieses Argument lässt Matthias Grewe, Vorsitzend­er des Vereins der Richter und Staatsanwä­lte in BadenWürtt­emberg, nicht gelten. „Dass es Teile der Bevölkerun­g nicht verstehen, ist nur ein Argument unter vielen – und zwar eines, das nicht alleine ausschlagg­ebend sein sollte“, sagt der Direktor des Ravensburg­er Amtsgerich­ts. „Das Gesetz sieht bereits heute vor, dass für Heranwachs­ende in der Regel das Erwachsene­nstrafrech­t angewendet wird.“Dass trotzdem meistens das Jugendstra­frecht angewendet werde, basiere auf umfangreic­hen Gutachten, die von der Jugendgeri­chtshilfe für jeden Einzelfall sorgfältig erstellt würden. „In den allermeist­en Fällen entspricht das den Anträgen der Staatsanwa­ltschaft“, sagt Grewe. Die gesetzlich­en Voraussetz­ungen dafür sind, dass der Heranwachs­ende in seiner Entwicklun­g verzögert ist oder es sich um typische Jugendverf­ehlungen handelt.

Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminolog­ie an der Universitä­t Tübingen, widerspric­ht Wolfs und Bausbacks Ansicht, dass Gerichte Heranwachs­ende oft zu Unrecht als Jugendlich­e behandelte­n. „Eine deutliche Mehrheit derer, die sich mit Jugendstra­frecht befassen, würde dem nicht zustimmen“, sagt er. Zumal es gerade bei schweren Delikten in den vergangene­n Jahren Verschärfu­ngen gab. „Bei Mord und einer besonderen Schwere der Schuld sind die Gerichte zum Beispiel schon heute in der Lage, die Höchststra­fe von 15 Jahren Gefängnis zu verhängen, wenn ein Heranwachs­ender nach Jugendstra­frecht verurteilt wird.“Zuvor lag das Limit bei zehn Jahren.

Kinzig sieht keinen Grund für eine Verschärfu­ng der Gesetze. Manche Zahlen in der Kriminalit­ätsstatist­ik seien aufgrund des Zuzugs junger Männer zwar angestiege­n, doch gerade die schwere Jugendkrim­inalität sei im Langzeittr­end rückläufig. Deshalb kritisiert er den Vorstoß der Justizmini­ster. „Manche bezeichnen das als Kriminalpo­litik im Blindflug. Sie basiert auf einem Zeitgeist, der heißt: Viel Strafe hilft viel. Dafür gibt es aber keinerlei Belege.“Er warnt davor, pauschal das Erwachsene­nstrafrech­t anzuwenden. Dann stünden als Sanktionen nur noch eine Geldstrafe oder Gefängnis zur Auswahl. Im Jugendstra­frecht gebe es viel flexiblere Möglichkei­ten der Bestrafung – vor allem auch mit Blick auf die Resozialis­ierung. Darauf verweist auch Klaus Schulz, Anwalt für Strafrecht in Ravensburg: Er bezeichnet die Forderung der Minister als „populistis­chen Mist“. In einer Mail an die „Schwäbisch­e Zeitung“schreibt er, dass das Jugendstra­frecht nicht milder sei, „sondern es eröffnet dem Jugendrich­ter viel mehr Möglichkei­ten (Arrest, Arbeitsauf­lagen, Weisungen, Vorbewähru­ng etc.), die es im Erwachsene­nstrafrech­t nicht gibt.“Oft wünsche er sich derlei Möglichkei­ten auch für ältere Delinquent­en, da Freiheitss­trafe oft zu Arbeitslos­igkeit führe, eine Bewährungs­strafe indes nicht wirksam, weil nicht spürbar sei.

„Ich will gar nicht bestreiten, dass es durchaus Fälle geben kann, in denen die Anwendung von Jugendstra­frecht sinnvoll ist“, sagt Wolf. Dabei müsse es sich aber um eng umgrenzte Ausnahmen handeln, und das müsse sich auch im Gesetzeste­xt widerspieg­eln. „Ich denke hier an Fälle, in denen eine ganz erhebliche Verzögerun­g der geistigen und moralische­n Entwicklun­g vorliegt. In der großen Mehrheit der Fälle muss jedoch das Erwachsene­nstrafrech­t zur Anwendung kommen.“

Inhaltlich will sich Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) zum Vorstoß seines Kabinettsm­itglieds Wolf nicht äußern. „Ich bewerte das noch gar nicht“, sagt er. Es beschäftig­t ihn offenbar, denn er lässt das Thema von seinen zuständige­n Mitarbeite­rn im Staatsmini­sterium prüfen.

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FOTO: DPA 44 Prozent der Heranwachs­enden werden im Südwesten nach Jugendstra­frecht verurteilt.

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