Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Nun ist die EU gefordert
Seit Sonntag ist klar, dass Emmanuel Macrons ungeduldiges Warten ein Ende hat. Angela Merkel wird in absehbarer Zeit eine Regierung zusammenbringen, die sich aktiv an der Erneuerung Europas beteiligt und daran mitarbeitet, dass ein EU-Budget für die nächste Finanzperiode bis 2027 beschlossen werden kann. Klar ist aber auch, dass das proeuropäische französischdeutsche Reformbündnis nicht auf Italien wird zählen können. Man muss kein Prophet sein, um dort ein Machtgezerre vorauszusagen, das deutlich länger dauern wird als die Bildung der Großen Koalition.
Am Ende wird vielleicht erneut eine Technokratenregierung gebildet, wie vor sechs Jahren unter dem EU-erfahrenen Ex-Kommissar Mario Monti. Das war aus Brüsseler Perspektive eine gute Lösung, denn Monti senkte den Schuldenberg und packte überfällige Reformen an. Die Wähler sahen das anders und wählten ihn bei der nächstbesten Gelegenheit ab. Bei der aktuellen Wahl haben sie ihr Votum noch einmal unmissverständlich formuliert. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ging an Parteien, die euroskeptisch eingestellt sind und Kernpunkte des europäischen Programms wie die Stabilitätspolitik oder die gemeinsame Flüchtlingspolitik ablehnen.
Die Botschaft ist quer durch Europa seit Jahren die gleiche. Die mobile vielsprachige Elite erkennt den Mehrwert eines wirtschaftlich starken, gemeinsame Werte vertretenden supranationalen Blocks. Die sehr lange schweigende Mehrheit macht nun lautstark klar, dass sie dem schnellen Wandel nichts abgewinnen kann und auch objektiv betrachtet davon kaum profitiert.
2020 zieht die SPD GroKo-Bilanz, Großbritannien hat der EU endgültig den Rücken gekehrt und eine mögliche italienische Technokratenregierung könnte von vorgezogenen Neuwahlen hinweggefegt werden. Wenn es EU-Kommission, Parlament und der Runde der Regierungschefs bis dahin nicht gelingt, den vielbeschworenen Mehrwert wieder für eine Mehrheit der Europäer sichtbar zu machen, wird der Brexit nicht der letzte EU-Austritt bleiben.