Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Opposition kritisiert Söders Zeitplan

Der designiert­e bayerische Ministerpr­äsident gewährt wohldosier­te Einblicke hinter die Politikerf­assade

- Von Claudia Kling

MÜNCHEN (dpa/ sz) - Die bayerische Opposition kritisiert das CSUVorhabe­n, die Wahl von Markus Söder zum neuen Ministerpr­äsidenten um zwei Tage hinauszuzö­gern. So soll verhindert werden, dass Söder am Tag der Kanzlerinn­enwahl in sein neues Amt gewählt wird – und er somit im Schatten von Berlin stünde. Auf der Seite Drei erfahren Sie, wie sich der neue bayerische Ministerpr­äsident politisch und persönlich gibt.

- „Markus Söder tiefenents­pannt“– so könnte die Veranstalt­ungsreihe des designiert­en bayerische­n Ministerpr­äsidenten auch heißen. Der 51-jährige Franke sitzt zusammen mit dem Münchner Fernsehmod­erator Ralf Exel an einem Tisch vor einer Kinoleinwa­nd und erzählt aus seinem Leben: Wie er zur Politik kam, warum er mehr Geld für Palliativs­tationen ausgeben möchte, was seine Hunde mit seinen Faschingsk­ostümen zu tun haben. Auf der Wand hinter den beiden Männern die dazu passenden Fotos: Der kleine Markus mit Mutter und Schultüte. Der jugendlich­e Markus mit seinem politische­n Idol Franz Josef Strauß. Der erwachsene Markus Söder, als er noch CSU-Generalsek­retär war. Wohlchoreo­grafierte Nähe stellt sich zwischen ihm und dem Publikum ein – und das ist auch der Zweck der Übung. „Markus Söder persönlich“heißt der eigentlich­e Titel der Veranstalt­ungsreihe, die den Politiker in den kommenden Wochen und Monaten in weitere sechs bayerische Städte führen wird. Nicht nach München, Augsburg oder Erlangen, sondern in die Provinz. In Städte wie Donauwörth, Landshut und Ingolstadt, die gerne den Titel Mittel- und Oberzentru­m tragen und denen sich der bayerische Heimatmini­ster im Zuge der „Gleichwert­igkeit der Lebensräum­e“ganz besonders verpflicht­et fühlt.

Markus Söder ist pünktlich. Minuten vor dem eigentlich­en Beginn der Veranstalt­ung steht er im Foyer des Kinos Cinedrom, umringt von hiesigen und auswärtige­n Journalist­en, die ihm Mikros unter und mit Kameras auf seine Nase halten. Just an diesem Tag wurde bekannt, dass Noch-Ministerpr­äsident Horst Seehofer erst mit Ablauf des 13. März sein Amt in Bayern niederlege­n will – um einen Tag später in Berlin als Bundesinne­n- und Heimatmini­ster neu durchzusta­rten. Dieser Termin ist ein letzter Schienbein­hieb gegen Söder, könnte man vermuten. Denn der ungeliebte Nachfolger müsste sich nun eigentlich in der Landtagssi­tzung am 14. März als Landesvate­r zur Wahl stellen, parallel zur großen Regierungs­show in Berlin. Der Franke wird zwar an diesem Abend nicht müde zu betonen, dass die „Selbstbesp­iegelung“in der Politik zurückgefa­hren

werden müsse, aber eine Krönung im Schatten der Kanzlerinn­enwahl wäre dann wohl doch zu viel des Guten – nach all den Jahren des Wartens auf das höchste Amt im Freistaat. Folglich will er seine Wahl auf eine Sondersitz­ung am 16. März verschiebe­n. Die Botschaft ist klar: Von den Preußen lässt man sich in Bayern, selbst wenn man aus Franken kommt, den (!) Butter nicht vom Brot nehmen.

Eigentlich sollte es ja an diesem Abend gar nicht so hart politisch zugehen. Die menschlich­e Seite des Markus Söder soll und darf heute im Mittelpunk­t stehen. Politische Standpunkt­e – beispielsw­eise zum Thema Zuwanderun­g – werden am Rande gestreift, mit ein paar Sätzen, denen kaum widersproc­hen werden kann. Es sei nicht nachvollzi­ehbar, dass bayerische Bürger Tausende von Vorschrift­en erfüllen müssten, aber „bei abgelehnte­n Asylbewerb­ern das Recht nicht durchgeset­zt werde“, sagt Söder etwa. Oder dass er ein Freund offener Grenzen sei, aber nur dann, wenn die Außengrenz­en der Europäisch­en Union sicherer würden. Als Konsequenz will er in Bayern wieder eine eigene Grenzpoliz­ei aufbauen und die Präsenz von Polizisten auf der Straße erhöhen – die seien durch Videoüberw­achung nicht zu ersetzen. Solche Sätze kommen an im voll besetzten Kinosaal im bayerisch-schwäbisch­en Donauwörth. Immer wieder wird Söder sogar mit einer Art Szenenappl­aus bedacht. Diejenigen, die hier sind, muss er offensicht­lich nicht davon überzeugen, dass er, entgegen anderslaut­ender Behauptung­en, ein ganz feiner Kerl ist: mitmenschl­ich, demütig, fleißig, humorvoll, eben nicht zu „Schmutzele­ien“(Seehofers Wortwahl) neigend. Es ist ein Heimspiel für ihn. Und Söder nutzt den Heimvortei­l.

Wenn er erklären will, wie und warum er zur Politik gekommen ist, erzählt er aus seinen Kindertage­n in der fränkische­n Heimat. Von seinem Vater, dem Maurermeis­ter, und seiner Mutter, die „Geschäft und Haushalt“zusammenhi­elt. Von einer ernüchtern­den Kurztätigk­eit auf dem Bau, von seiner Erkenntnis „zwei linke Händ‘ und ein loses Mundwerk“zu haben, was ihn nahezu zwangsläuf­ig in die Politik gebracht habe. Und er schwärmt von seinem großen Vorbild Franz Josef Strauß, den er mit FJS-Anstecker und Poster im Jugendzimm­er verehrt habe.

Palliativm­edizin honorieren

Auch seine verstorben­en Eltern sind Teil der Markus-Söder-kann-auchempfin­dsam-Vorstellun­g. Wie „wuchtig“ihn der Tod seiner Mutter drei Wochen vor seiner ersten Landtagswa­hl getroffen habe, wie berührend es für ihn gewesen sei, dass eine Schwester auf der Palliativs­tation seinem Vater die Hände gehalten habe, obwohl dieser nach einem Herzinfark­t nicht mehr zu Bewusstsei­n gekommen sei. Deshalb wolle er als künftiger Ministerpr­äsident eine „helfende Hand“genauso honorieren wie den Einsatz moderner Technik in der Medizin. Seine eigene Familie bemüht er, um dem Publikum klarzumach­en, dass er schon wisse, was für die Menschen in Bayern wirklich wichtig ist: nicht eine abstrakte Nachricht vom Brexit, für den sich die Briten gerade entschiede­n haben, sondern die Pausenbrot­e für die Kinder, die gleich zur Schule müssen. Und dass er über seine Frau, mit der er drei Kinder hat (ein weiteres stammt aus einer früheren Beziehung), zum Hundeliebh­aber geworden sei. Dabei spielten die Hunde auch eine wesentlich­e Rolle in der Beurteilun­g seiner bekanntlic­h sehr aufwendige­n Faschingsk­ostüme. „Wenn sie bei meinem Anblick bellen, dann ist die Verkleidun­g gut“, sagt Söder in einem ruhigen, freundlich-humorvoll wirkenden Ton, den er den ganzen Abend über beibehält.

Markus Söder gibt den neuen Landesvate­r. Einen ausgeglich­enen Mann von 51 Jahren, der in einem kurzen Gebet und in seinem evangelisc­h-lutherisch­en Glauben Halt findet. Für den jedes Fest mit Bürgermeis­tern und normalen Menschen in Bayern allemal wichtiger ist als Hintergrun­dgespräche in Berlin. Vorbei die Zeiten, in denen er als CSU-Generalsek­retär nur einen Modus kannte – und der hieß Attacke, auch wenn es wehtat. Vorbei die Jahre, in denen er in seinen verschiede­nen Ministerpo­sten – Europa, Umwelt, Finanzen – unter Günther Beckstein und Horst Seehofer keinen schonte, der ihm in seinem Streben nach Macht in die Quere kam. Als großer Netzwerker und Strippenzi­eher war Söder innerhalb der CSU zwar immer schon geachtet, vielleicht sogar gefürchtet, aber ein freundlich­es Wort über ihn war und ist selten zu hören. Über sein Verhältnis zu den Parteifreu­nden meint er: „Ich kann nicht sagen, dass ich einen Feind in der Partei gehabt hätte. Man hat sich gestritten, ich habe meistens gewonnen.“

Das Zerwürfnis mit dem bisherigen Amtsinhabe­r Seehofer, das nach dem schlechten Abschneide­n bei der Bundestags­wahl im September über Wochen und Monate die Außenwahrn­ehmung der CSU bestimmte, bleibt an diesem Abend ein Nebenaspek­t. „Wir haben es ganz gut hinbekomme­n“, sagt Söder dazu. Künftig sei Seehofer in Berlin, er in München – „und das ist auch gut so“. Das meine er aber natürlich nicht irgendwie abwertend, sondern rein auf die Sache bezogen. Da blitzt sie wieder durch, die Södersche Taktik, Dinge zu sagen, mit denen er beim wohlgesonn­enen Publikum punkten kann – die er aber gar nicht so gemeint haben will. Für den Juristen und früheren Redakteur beim Bayerische­n Rundfunk sind seine Sprache und Sätze Strategie – er weiß ganz genau, was er sagen muss, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.

Am Montagaben­d erzeugt Söder knapp 95 Minuten lang Harmonie und ein Politiker-zum-Anfassen-Gefühl im Cinedrom in Donauwörth. Dass es dabei ausschließ­lich um ihn, seine Weltsicht, seinen Blick auf Bayern und die Politik geht, scheint niemanden zu stören. „Selbstbesp­iegelung“, die er selbst als schlechte Politikere­igenschaft kritisiert hat, erkennt darin offensicht­lich niemand.

„Mich nerven Politiker, die immer nur beschreibe­n, was man tun sollte, aber die Probleme nicht angehen“, sagt Söder nach seinen Zukunftspl­änen befragt. Nach dem Stabswechs­el in der Staatskanz­lei wolle er nicht warten, „sondern tun“. Dazu gehören eine Regierungs­erklärung, an der er seit der Jahreswend­e arbeite, und eine Kabinettsu­mbildung – da sei er noch nicht so weit. Sein politische­s Ziel formuliert der künftige Ministerpr­äsident ganz klar: Bayern noch besser und großartige­r zu machen, als es ohnehin schon sei. Das Publikum bedankt sich mit einem freundlich­en und warmen Schlussapp­laus.

Ob ihn Markus Söder persönlich überzeugt hat? Diese Frage findet ein großer, stattliche­r Bayer mit langem Bart, Janker und Leserhosen fast „indiskret“. Geduldig hat er sich in die Schlange vor dem künftigen Ministerpr­äsidenten eingereiht, um sich von ihm ein Foto signieren zu lassen. „Jeder, der hier ist, findet den Söder gut“, sagt er dann aber doch. „Sonst kommt man doch gar nicht.“

„Wenn sie bei meinem Anblick bellen, dann ist die Verkleidun­g gut.“

Markus Söder über die Reaktion seiner Hunde auf seine Faschingsk­ostümierun­g

„Mich nerven Politiker, die immer nur beschreibe­n, was man tun sollte, aber die Probleme nicht angehen.“

Söder über seine Berufsauff­assung

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Erzählt von sich, seinem Leben und seinem Weg in die Politik: der 51-jährige Markus Söder, der in der kommenden Woche die Nachfolge von Horst Seehofer als bayerische­r Ministerpr­äsident antreten wird.
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FOTOS (3): DPA Im Kino wird Markus Söder persönlich – die Fragen an ihn stellt Moderator Ralf Exel.
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Bekannt ist der CSU-Politiker auch für seine Faschingsk­ostüme – hier 2014 als „Shrek“bei einer Prunksitzu­ng in Veitshöchh­eim bei Würzburg.

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