Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wahlreform geht wieder auf Anfang

Ministerie­n sehen grünen Kompromiss­vorschlag als verfassung­srechtlich bedenklich an

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Alles auf Start: Der von den Grünen vorgeschla­gene Kompromiss zur Reform des Landtagswa­hlrechts scheint vom Tisch. Juristen sowohl des Innen- wie auch des Justizmini­steriums sehen verfassung­srechtlich­e Probleme. Damit dürfte das Ringen um eine Lösung im Streit der Koalitions­partner Grüne und CDU wieder Fahrt aufnehmen.

Eigentlich war schon im Koalitions­vertrag alles klar: Grüne und CDU hatten darin eine Reform des Wahlrechts vereinbart, um den Landtag bunter, vor allem aber weiblicher zu machen. Die CDU-Fraktion hatte sich jedoch im Januar einstimmig gegen eine Reform ausgesproc­hen. Die Abgeordnet­en befürchten, dass durch eine Liste die Partei zu viel Macht bei der Aufstellun­g von Kandidaten bekomme. Abgeordnet­e verlören die enge Bindung an den Wahlkreis. Die Grünen aber pochten weiter auf den Koalitions­vertrag und die Reform des Wahlrechts. Es kam zum Koalitions­krach.

Liste mit Wahlkreis-Kandidaten

Grünen-Fraktionsv­orsitzende­r Andreas Schwarz präsentier­te einen Kompromiss­vorschlag: Zu den 70 direkt gewählten Landtagsab­geordneten sollten weitere über eine Liste kommen. Diese Landeslist­en sollten zwar die Parteien aufstellen, aber ausschließ­lich mit Kandidaten, die in den Wahlkreise­n nominiert wurden. Nachrücker für diese Listen-Abgeordnet­en hätten deren Zweitkandi­daten aus dem Wahlkreis sein können.

Die CDU-Fraktion beauftragt­e das Innenminis­terium von Parteichef Thomas Strobl und das Justizmini­sterium, das Guido Wolf verantwort­et, mit einer juristisch­en Prüfung des Vorschlags. Die CDU-Minister hatten sich zur Reform des Wahlrechts unterschie­dlich positionie­rt. Strobl gilt als Befürworte­r – um dem Ruf der Frauen Union nach mehr weiblichen Abgeordnet­en zu entspreche­n, und um den grünschwar­zen Koalitions­vertrag umzusetzen. Wolf hat sich indes gegen Änderungen ausgesproc­hen.

Die Juristen beider Ministerie­n sehen den vorgeschla­genen Kompromiss kritisch. Wolfs Experten bezeichnen ihn als „problemati­sch“. Das Gutachten des Innenminis­teriums wird noch deutlicher. Der Vorschlag sei „wegen Eingriffen in die Parteienfr­eiheit und Wahlgrunds­ätze verfassung­srechtlich sehr problemati­sch.“Dass nur Direktkand­idaten und ihre Ersatzbewe­rber auf der Liste landen dürften, sei zu beschränke­nd.

Die SPD-Landesvors­itzende Leni Breymaier übte Kritik: „Das ist das Dümmste, was ich zu diesem Thema in den letzten zehn Jahren gehört habe“, sagte sie über die Gutachten. „Wäre dieser Vorschlag verfassung­srechtlich problemati­sch, dann wäre auch das Bundestags­wahlrecht verfassung­srechtlich problemati­sch.“

Die Regierungs­fraktionen ziehen sehr unterschie­dliche Schlüsse aus der Bewertung der beiden Ministerie­n. „Wir sehen das Gutachten positiv“, erklärt Grünen-Fraktionsc­hef Schwarz und betont: „Das Innenminis­terium besagt klar, dass die im Koalitions­vertrag vereinbart­e Landeslist­e von der Landesverf­assung gedeckt ist und selbstvers­tändlich eingeführt werden kann.“Ähnlich äußert sich die EU-Abgeordnet­e und Vorsitzend­e der Frauen Union Baden-Württember­g Inge Gräßle. „Jetzt kann das Landtagswa­hlrecht wirklich reformiert werden“, teilt die langjährig­e Kämpferin für eine Wahlreform mit. Der baden-württember­gische Landtag hat mit rund 25 Prozent die bundesweit geringste Frauenquot­e.

Einig sind sie sich in der Ansicht, dass nun die CDU-Fraktion am Zug ist. „Wir sind jetzt gespannt auf den Vorschlag der CDU, denn grundsätzl­ich kann ein Listenwahl­recht eingeführt werden“, erklärte Schwarz. Gräßle sagte: „Jetzt stehen die Landtagsab­geordneten im Wort, Schritte zu tun für eine wirkliche Abbildung der Gesellscha­ft in ihrer Breite.“

Reinhart preist Status quo

Auch Annette Widmann-Mauz, Bundesvors­itzende der Frauen Union aus Tübingen, stellte im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“fest: „Meine Meinung ist klar: Der Koalitions­vertrag gilt“. Die CDU-Landtagsfr­aktion müsse sich entscheide­n, „ob sie ein zukunftsfä­higes Modell für die Landeslist­en mit 50 Plätzen für die Breite der ganzen Gesellscha­ft öffnen will, oder ob alles beim Alten bleiben soll.“

Solchen Reformaufr­ufen steht das einstimmig­e Votum der CDULandtag­sfraktion entgegen. Eine schnelle Lösung scheint nicht in Sicht. Laut CDU-Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart sind die Gutachten die Basis für weitere Gespräche. Denn: „Es gibt weitere offene Verfassung­sfragen“, auch bei anderen Lösungsans­ätzen. Reinhart betonte erneut die Vorzüge des Status quo. „Unser geltendes Landtagswa­hlrecht ist einfach, bürgernah, demokratis­ch und direkt.“Zugeständn­isse stellte er nicht in Aussicht. „Die Frauenförd­erung ist uns auch sehr wichtig, muss aber über ganz andere Wege geschehen“, erklärte Reinhart. „Hier müssen die Parteien vor Ort aktiv werden.“

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“hat die CDU-Fraktion am Dienstag die Bewertung der Juristen begrüßt. Man wolle kommenden Dienstag mit den Spitzen der Grünen weiter über das Wahlrecht reden, erklärte ein Teilnehmer der Fraktionss­itzung. Die CDU sehe es aber nicht als ihre Aufgabe an, nun eigene Kompromiss­vorschläge zu präsentier­en.

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FOTO: DPA Ehrenamtli­che Wahlhelfer in Stuttgart: Das Wahlrecht in Baden-Württember­g soll reformiert werden – so steht es jedenfalls im Koalitions­vertrag. Doch die CDU-Fraktion hat sich inzwischen gegen ein solches Vorhaben ausgesproc­hen.

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