Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die EU steht unter Schock

Europapoli­tiker arbeiten Ergebnisse der Italienwah­l auf

- Von Daniela Weingärtne­r und dpa

BRÜSSEL - Nach dem Ausgang der Parlaments­wahl in Italien scheint der Rest der EU unter Schock zu stehen. Zwar ist es nichts Besonderes, dass die EU-Kommission mit Verweis auf die „inneren Angelegenh­eiten eines Mitgliedsl­ands“schweigt. Das tut sie nach jeder nationalen Wahl. Doch die Abgeordnet­en des Europaparl­aments, die Sprecher von Verbänden und andere Beobachter in Brüssel sind normalerwe­ise nicht so schmallipp­ig.

Jeder zweite Wähler in Italien hat für eine europakrit­ische oder europafein­dliche Partei gestimmt. Der SPD-Europaabge­ordnete Jens Geier erklärt sich das Wahlergebn­is als Folge des „zerrüttete­n Vertrauens in die Skandalfig­ur Berlusconi und den einseitige­n Fokus auf die Flüchtling­sfrage“. Warum sein Parteifreu­nd Paolo Gentiloni „trotz der hohen Beliebthei­tswerte“dafür abgestraft wurde, vermag er aber auch am Dienstag nicht zu erklären.

Cornelia Ernst von der Linksparte­i sieht das Ergebnis als „Ausdruck einer phänomenal verfehlten NordSüd-Innenpolit­ik der EU“. Mit dem Flüchtling­sproblem sei Italien trotz entspreche­nder Zusagen weitgehend allein geblieben. „Die katastroph­ale Lage in Verbindung mit den Konsequenz­en des Kürzungsdi­ktats durch die EU-Finanz- und Wirtschaft­sministeri­en, dem Einfluss der Mafia und der nach wie vor grassieren­den Korruption bereitete den Nährboden für den Erfolg fremdenfei­ndlicher und nationalis­tischer Parolen“, sagt Ernst. Die Organisati­on „VoteWatch“sieht im italienisc­hen Wahlergebn­is eine Bestätigun­g EUweiter Trends. „Die Kräfte der politische­n Mitte schrumpfen in Europa weiter. Die zu den Volksparte­ien gehörenden italienisc­hen Kräfte PD (Sozialdemo­kraten) und Forza Italia (Konservati­ve) fallen auf ein historisch­es Tief von unter 20 Prozent. Dagegen hat die italienisc­he Rechte im ganzen Land zugelegt und ihr Vorwahlerg­ebnis um zehn Prozent gesteigert.“

VoteWatch sieht den Hauptgrund in der extrem fremdenfei­ndlichen Stimmung im Land, macht aber auch Globalisie­rungsängst­e, die Sorge vor dem Verlust kulturelle­r Identität, Umstruktur­ierungen in der Arbeitswel­t und antieuropä­ische Strömungen für das Wahlergebn­is verantwort­lich.

Schwierige Regierungs­bildung

Der Ärger bei den italienisc­hen Sozialdemo­kraten über ihren Parteichef Matteo Renzi droht die Regierungs­bildung in Rom indes weiter zu erschweren. Für Unmut sorgte nicht nur, dass Renzi nach der historisch­en Wahlschlap­pe der bisherigen Regierungs­partei PD nicht umgehend den Chefsessel räumte. Auch über eine mögliche Unterstütz­ung der europakrit­ischen Fünf-Sterne-Partei oder der rechten Lega für eine Regierungs­bildung herrschte Uneinigkei­t.

Da keine Partei die Mehrheit bekommen hat, könnte der PD nun eine entscheide­nde Rolle zukommen. Doch Renzi schloss am Dienstag eine Unterstütz­ung entschiede­n aus.

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