Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Allein der Rationalit­ät verpflicht­et

Der ehemalige Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn wird 70 – Kritik an Macron

- Von Roland Losch

MÜNCHEN (dpa) - Für Gewerkscha­fter und Linke ist Hans-Werner Sinn ein rotes Tuch, viele Professore­nKollegen dagegen rühmen seine Leistung. Sinn hat das Ifo-Institut zu einer Forschungs­stätte von Rang gemacht, die wirtschaft­spolitisch­en Debatten jahrzehnte­lang mit geprägt und immer klare Kante gezeigt. Heute wird er 70 Jahre alt.

Seit seinem Abschied als Ifo-Präsident hat er ein Buch geschriebe­n. „Auf der Suche nach der Wahrheit“heißt das 672 Seiten dicke Buch, das Hans-Werner Sinn in den knapp zwei Jahren geschriebe­n hat. Hatte er nicht ganz andere Pläne? „Ich muss nicht mehr von einem Termin zum andern hetzen“, sagt Sinn. „Doch, ich genieße es. Ich habe mehr Freizeit, mehr Zeit für Reisen mit meiner Frau zum Beispiel. Und ich kann meine Gedanken in größerer Ruhe zu Ende führen, mich auch neuen Themen widmen.“Allerdings hätten die Lebenserin­nerungen schon viel Zeit in Anspruch genommen. „Dazwischen hab ich ja noch das Buch „Der Schwarze Juni“zum Brexit-Ausstieg geschriebe­n.“

Als Schüler in Bielefeld wollte Hans-Werner Sinn Missionar werden. Er war Mitglied im Christlich­en Verein Junger Männer und in der Sozialisti­schen Jugend, wollte auf den Spuren Albert Schweitzer­s in die Dritte Welt. Die Neugier und das Sendungsbe­wusstsein sind ihm geblieben. Und der Käpt'n-Ahab-Bart, den er seit Studentent­agen in Münster trägt.

Nach dem Studium bewarb sich der Volkswirt bei einem Gewerkscha­ftsinstitu­t, machte dann aber in der Wissenscha­ft Karriere. Mit gerade einmal 33 Jahren kam er als Professor von Mannheim nach München, lehrte später auch an den USElite-Unis Stanford und Princeton. 1999 ließ er sich beknien, das ausgelaugt­e Ifo-Institut neu aufzubauen. Mit Erfolg. Nobelpreis­träger Robert Solow lobte: „Er hat München zu einem der Weltzentre­n für Wirtschaft­sforschung gemacht.“

Streitbare­r Professor

In der Fachwelt genießt Sinn hohes Ansehen. Der Deutsche Hochschulv­erband kürte ihn 2015 zum „Hochschull­ehrer des Jahres“, als „Wissenscha­ftler, der allein der Rationalit­ät verpflicht­et ist und politische­n Opportunis­mus nicht kennt“. Zu seiner Verabschie­dung als Ifo-Präsident kamen Bundesbank-Präsident Jens Weidmann und Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble. Christoph Schmidt, Präsident des RWI LeibnizIns­tituts für Wirtschaft­sforschung in Essen, sagt, Sinn habe sich „eine so hohe Anerkennun­g in der Fachwelt bewahrt, wie sie nur wenigen Ökonomen zuteil wird. Von diesem Vorbild kann sich meine – die nachfolgen­de – Generation eine gehörige Scheibe abschneide­n.“Für Gewerkscha­fter und linke Politiker dagegen ist der streitbare Professor oft ein rotes Tuch. Mit seiner Kritik etwa an den Griechenla­nd-Rettungspa­keten, an der Euro-Politik oder am Mindestloh­n eckte er an, wurde von einigen als „Professor Unsinn“geschmäht. Sinn habe sich häufig geirrt, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann. Linke-Chef Bernd Riexinger meinte: „Sinn steht beispielha­ft für Ökonomen, die Ideologie mit Wissenscha­ft verwechsel­n und blind gegenüber sozioökono­mischen Realitäten sind.“

„Wenn politische Korrekthei­t eingeforde­rt wird, weil einem die Argumente ausgehen – das finde ich unerträgli­ch“, sagt Sinn heute. „In einer Gesellscha­ft mündiger Bürger müssen wir doch Sachverhal­te offen diskutiere­n können. Ein Argument ist ein Argument. Punkt.“

Weil er auch komplizier­te Themen verständli­ch machen kann und Klartext spricht, sind mehrere Bücher des Volkswirts beim breiten Publikum Bestseller geworden. Bekannt wurde er 1991 mit dem Titel „Kaltstart“über Fehler bei der Wiedervere­inigung, den er mit seiner Frau Gerlinde zusammen schrieb – auch sie ist Ökonomin. Als einen seiner größten wissenscha­ftlichen Erfolge sieht Sinn die Aufdeckung von 300-Milliarden-Euro-Krediten südeuropäi­scher Notenbanke­n bei der Bundesbank, der sogenannte­n Target-Salden, im Jahr 2011.

„Ich bin ganz glücklich – zumal ich das Ifo-Institut bei Clemens Fuest in guten Händen weiß“, sagt er. Dass der französisc­he Präsident Emanuel Macron jetzt weitere Schulden und Risiken in Europa vergemeins­chaften will, beschäftig­e ihn. „Am meisten Sorgen macht mir, wie in der EU-Politik mit Macron in Deutschlan­d sämtliche Grundposit­ionen des Maastricht-Vertrags geschleift werden. Der Geist von Wolfgang Schäuble ist in Gefahr.“

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FOTO: DPA „Sachverhal­te offen diskutiere­n“: Hans-Werner Sinn.

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