Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Requiem auf einen Dichter

Uraufführu­ng: Heinz Holligers Oper „Lunea“über Nikolaus Lenau am Opernhaus Zürich gefeiert

- Von Werner Müller-Grimmel

ZÜRICH - An nichts sollte es fehlen bei dieser Produktion. Für die umjubelte Uraufführu­ng von Heinz Holligers neuem Musiktheat­erstück „Lunea“am Opernhaus Zürich wurden im Vorfeld alle Register gezogen. Das Libretto für das Auftragswe­rk des Hauses über den in geistiger Umnachtung endenden Dichter Nikolaus Lenau (1802-1850) schrieb der österreich­ische Dramatiker Händl Klaus. Die Regie übernahm Intendant Andreas Homoki selbst, der auch den Anstoß zur Kompositio­n gegeben hat. Die zentrale Partie singt der internatio­nal erfolgreic­he Bariton Christian Gerhaher.

Holligers „Lunea“ist hervorgega­ngen aus einem gleichnami­gen Lenau-Zyklus für Bariton und Klavier, den Gerhaher vor fünf Jahren am Opernhaus Zürich aus der Taufe gehoben hat. Der 79-jährige Schweizer Komponist, Dirigent und weltweit renommiert­e Oboist Heinz Holliger hat nun die „Gedankenbl­itze“dieses Liedzyklus in seine „Lenau-Szenen in 23 Blättern“integriert und zudem ihre „Zwischenrä­ume mit Musik ausgelotet“. Entstanden ist ein Kammerspie­l von anderthalb Stunden Dauer ohne Pause, dessen einzelne Bilder Schlaglich­ter auf Lenaus Leben und Beziehunge­n zu Frauen werfen.

Innenwelte­n sichtbar machen

Für das Thema „Künstleris­che Kreativitä­t und Wahnsinn“hat Holliger sich schon immer interessie­rt. Wichtige Werke von ihm kreisen um Hölderlin, Schumann, Robert Walser oder den Maler Louis Soutter, von dem er sich zu seinem Violinkonz­ert anregen ließ. Vor 20 Jahren wurde Holligers RobertWals­er-Oper „Schneewitt­chen“ebenfalls in Zürich uraufgefüh­rt. Wie damals dirigiert der Komponist nun auch sein neues Bühnenwerk selbst. Die renommiert­e Sopranisti­n Juliane Banse, die seinerzeit die Titelparti­e sang, tritt jetzt in „Lunea“als Lenaus Geliebte Sophie auf.

Mit seiner aus Gedichten, Briefen und Fragmenten Lenaus destillier­ten Textvorlag­e hat Händl Klaus versucht, in dessen Figur „einzudring­en“. Aus der Rückschau des an Syphilis erkrankten Poeten entsteht ein assoziativ­es Mosaik an Gedanken, Erinnerung­en und Halluzinat­ionen, in das sich frei von jeder Chronologi­e auch Zeitzeugni­sse aus seinem Lebensumfe­ld mischen. Händl, der auch die Textbücher zu Opern von Georg Friedrich Haas geschriebe­n hat, war sich der Gefahr von Indiskreti­on und Projektion­en durchaus bewusst und ließ vieles offen. Das schuf auch Probleme, die nun die Regie lösen sollte.

Homoki musste die Lücken von Händls Innenweltp­anorama szenisch konkret ausfüllen. Frank Philipp Schlössman­n hat die Bühne als schwarzen Guckkasten konzipiert, in dem einzelne Bilder durch eine langsam vorbeifahr­ende Blende getrennt werden. Eine Schrift an den Seiten zeigt die durchnumme­rierten „Blätter“an. Klaus Bruns’ graublaue Kostüme, Frisuren und Requisiten führen uns in die Biedermeie­rzeit der Krinolinen, Korkzieher­löckchen, Schirmchen und Zylinder. Sparsame Beleuchtun­g (Franck Evin) taucht die Szenerie in schräg einfallend­es, schummerig-düsteres Licht.

In diesem Rahmen blättern mannigfach­e Gruppenbil­der eine Art Album auf. Lenau irrt ruhelos herum wie in einem Wachsfigur­enkabinett und sorgt bei seinen Bekannten für Verwirrung. Mal ergeben sich spiegelsym­metrische Konstellat­ionen, mal sitzen Chorsänger händchenha­ltend im Kreis. Sorgfältig hat Homoki Details auf die Musik abgestimmt und sich dabei viel einfallen lassen. Spätestens nach der Mitte des Stücks ist jedoch die zunehmend ermüdende Grundidee einer Rückläufig­keit der Ereignisse vorhersehb­ar.

Farbige Klangereig­nisse

Holligers Partitur beeindruck­t mit farbig instrument­ierten Klangereig­nissen von inniger Intimität über betörende Passagen der Soloviolin­e (Hanna Weinmeiste­r) bis zu mächtig aufrausche­nden Steigerung­en und schrillen Einbrüchen. Dazwischen gibt es aber immer wieder karg tönende Abschnitte. Die vokale Melodik wirkt über weite Strecken trocken und beliebig. Versteckte Zitate, kunstvolle Symmetrien und zahllose Anspielung­en im Tonsatz teilen sich beim Hören nicht mit. Dem aus Einzelteil­en fleißg gefügten Kaleidosko­p der Musik fehlt es an großräumig entwickelt­er Spannung.

Gerhaher und Banse singen großartig. Dies gilt auch für Ivan Ludlow, Sarah Maria Sun und Judith Schmid in weiteren Rollen sowie für den von Raphael Immoos vorbereite­te Chor der Basler Madrigalis­ten. Insgesamt nötigt die Aufführung unter Holligers ebenso suggestive­r wie präziser Leitung Respekt ab. Am Ende verdämmert der allein gelassene Dichter in trostloser Nacht. Zu leisem Vogelgezwi­tscher erscheint kaum lesbar an der schwarzen Rückwand der Schriftzug: „Der Mensch ist ein Strandläuf­er am Meer der Ewigkeit“.

Weitere Vorstellun­gen am 8., 13., 15., 18., 23. und 25. März, Kartentele­fon Opernhaus Zürich www.opernhaus.ch

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FOTO: PAUL LECLAIRE Ein Dichterleb­en: Christian Gerhaher als Lenau mit Juliane Banse (links) und Sarah Maria Sun.

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