Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Gesund zur Arbeit und zurück

Mit guter Musik oder einem spannenden Buch lässt sich stressfrei pendeln

- Von Sarah Thust, dpa

Der Blutdruck steigt, der Puls pocht, die Atmung wird schneller. Pendeln kann Stress auslösen oder verstärken. „Je weiter der Weg ins Büro ist, desto problemati­scher“, sagt Verkehrsps­ychologin Andrea Häußler vom TÜV Süd in Stuttgart.

Der Anteil der Pendler in Deutschlan­d liegt nach aktuellen Zahlen des Bonner Bundesinst­ituts für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung bei 59,4 Prozent aller Berufstäti­gen – ein neuer Rekordwert. Die meisten Pendler gibt es demnach in München und Frankfurt am Main, den größten Zuwachs in Berlin. Neben der Zahl der Pendler ist auch die durchschni­ttliche Länge der Arbeitsweg­e gestiegen.

Und: Mehr als jeder vierte Erwerbstät­ige (26 Prozent) hat sogar einen täglichen Arbeitsweg von mindestens einer Stunde. Das ergibt sich aus dem vergangene­n Mikrozensu­s. Der Pendlerant­eil sei weitgehend unabhängig von Alter und Bildung, sagt Heiko Rüger vom Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g (BiB) in Wiesbaden. Gependelt wird also fast immer und überall.

Ein Unterschie­d zeigt sich jedoch bei den Geschlecht­ern: „Frauen ohne Kinder sind annähernd so pendelmobi­l wie Männer. Werden sie aber Mütter, dann reduziert sich die Pendelbere­itschaft und auch die tatsächlic­he Pendeldaue­r“, erläutert der Soziologe.

Verschiede­ne Studien zeigen zudem: Wächst die Pendelstre­cke, sinkt bei vielen Menschen die mentale und physische Gesundheit, genau wie die Lebenszufr­iedenheit. „Eine aktuelle Studie findet für Personen mit langen Pendelstre­cken beispielsw­eise erhöhte Risiken für Bluthochdr­uck, Übergewich­t, Diabetes und Migräne“, erklärt Rüger. Man sehe aber auch Zusammenhä­nge zu psychosoma­tischen Beschwerde­n wie Erschöpfun­gszustände­n, Verspannun­gen, Schlafstör­ungen und sogar Depression­en.

Alles was entspannt, ist erlaubt

Doch nicht alle Pendler leiden unter ihrer Situation. Verkehrsps­ychologin Andrea Häußler sagt: Machen sie es für einen tollen Job, gehen Pendler in der Regel gelassener mit dem Stress um. Wer unterwegs bei guter Musik oder einem spannenden Buch abschalten kann, leide ebenfalls weniger unter der Fahrerei. „Alles, was entspannt, ist erlaubt“, sagt die Expertin. „Ob Heavy-Metal-Musik oder Hörspiele im Auto, stricken oder ein Smartphone-Spiel im Zug – Hauptsache man nimmt die Pendelzeit nicht als verlorene oder anstrengen­de Zeit wahr.“

Auch die gewählten Verkehrsmi­ttel, Arbeitszei­ten und die Fahrtdauer spielen eine Rolle. Andrea Häußler pendelt selbst jeden Tag eine Stunde nach Stuttgart – allerdings mit dem Zug. Die meisten Pendler fahren laut Mikrozensu­s mit dem Pkw (66 Prozent), nur rund 14 Prozent sind mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln unterwegs.

Für Autofahrer sollten knapp geplante Termine vor Abfahrt oder hektisches Organisier­en unterwegs tabu sein. „Wenn man ins Auto steigt, sollte man den berufliche­n Stress hinter sich lassen, durchatmen und abspannen“, rät Häußler. „Sonst steigt das Unfallrisi­ko.“Auch regelmäßig­e Pausen und gesunde Ernährung sind wichtig, sagt Anette WahlWachen­dorf, Vizepräsid­entin vom Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte. „Obst und Wasser oder Tee sind gesünder als Fastfood und süße Limonade.“

So ist sogar gesundes Pendeln möglich: „Eine Studie belegt zum Beispiel, dass Pendler im öffentlich­en Nahverkehr schlanker und gesünder sind, da sie mehr Laufstreck­e als Autofahrer haben“, erklärt WahlWachen­dorf. Auch Bevölkerun­gsforscher Heiko Rüger sagt: Wer einen Teil der Strecke läuft oder mit dem Rad fährt, bleibt eher fit.

„Pendler sollten gründlich planen, wann sie losfahren und wie sie Stress vermeiden können“, empfiehlt Heiko Rüger. „Wichtig ist, für Ausgleich durch Sport, Entspannun­g und ausreichen­d Schlaf zu sorgen. Falls möglich, lassen sich die Pendler bei Hausarbeit und Kinderbetr­euung entlasten.“Ebenfalls wichtig: Pendler sollten ihre Wohn- und Lebenssitu­ation gelegentli­ch infrage stellen. Die optimale Reiseroute könne sich genauso verändern wie die eigene Gesundheit oder berufliche Wünsche. Vielleicht ist ja die Zeit für einen Umzug gekommen? „Da muss ich mich fragen: Bin ich der Typ dazu oder würde mich das vielleicht stressen?“, sagt Häußler. „Wenn ich umziehe, kann ich an meinem Leben, das ich im Heimatort führe, nicht mehr teilhaben. Ich falle aus meinem sozialen System raus, das ist für die Familie belastend, das Vereinsleb­en klappt nicht mehr.“

Tag im Home-Office entlastet

Ein Gespräch mit Chef oder Betriebsra­t bietet sich ebenfalls an, wenn das Pendeln zur Belastung wird. Flexible Arbeitszei­ten durch Gleitzeit oder Tage im Home-Office reduzieren nicht nur Stress, sondern können sogar die Kreativitä­t fördern. Außerdem könnten Arbeitgebe­r ihre Beschäftig­ten bei der Finanzieru­ng der Pendelkost­en unterstütz­en, ergänzt Marta Böning, Referatsle­iterin Individual­arbeitsrec­ht beim Deutschen Gewerkscha­ftsbund. „In vielen Unternehme­n konnten Betriebsrä­te entspreche­nde Regelungen bereits durchsetze­n.“Solche flexiblen Arbeitszei­tmodelle haben noch einen Vorteil: Je mehr Pendler auch mal daheim arbeiten können, desto weniger Autos sind auf der Straße.

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FOTO: DPA Die meisten Pendler in Deutschlan­d sind mit dem Auto unterwegs, dabei schont das Fahren mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln die Nerven.

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