Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Das Fremde verändert mich auch“
Die Künstlerin Karolin Bräg will mit Zitaten zum Gespräch anregen – Installation ist im Stadtmuseum zu sehen
MENGEN - Zu einer Zeit, in der besonders viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, im Januar 2016, unterhält sich die Münchner Künstlerin Karolin Bräg mit 41 Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich mit ihnen zu tun haben. Sie stellt ihnen zwei Fragen: Was verbindet Sie mit den ankommenden Flüchtlingen? Und was hat sich für Sie in der Wahrnehmung verändert? 336 Zitate hat sie aus den Antworten ihrer Gesprächspartner gefiltert, deren Essenz sie nun in einer Kunst-Installation ab Samstag, 10. März, im Stadtmuseum Alte Posthalterei in Mengen präsentiert. Jennifer Kuhlmann hat sich mit Karolin Bräg darüber unterhalten, wie die Gespräche zustande gekommen sind, wie sie ihre Gegenüber erlebt hat und was sie mit der Installation erreichen möchte.
Frau Bräg, wie ist die Idee zu diesem Projekt zum Thema Flucht entstanden?
Die Geschäftsführerin des Evangelischen Bildungswerks Oberschwaben ist auf der Suche nach Künstlern für eine Ausstellung zum Thema Flucht und Vertreibung an mich und meinen Mann herangetreten. Als ich ihr erklärt habe, dass meine Arbeitsweise so funktioniert, dass ich Gespräche mit Menschen über Orte oder Themen führe, die in direktem Bezug dazu stehen und mich ihnen mit Hilfe konkreter Fragen zu nähern, bat sie mich ein Konzept zu erstellen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass das Thema Flucht eine zu große Dimension besitzt. So bin ich auf die Idee gekommen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, die hier in Deutschland den ersten Kontakt zu Flüchtlingen haben und ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu dokumentieren.
Das scheint Frau Raiser ja gefallen zu haben...
Stimmt, sie hat mir dann auch auf meine Bitte hin die Gesprächspartner aus dem Bereich Oberschwaben vermittelt. Ich wollte gern die ganze Bandbreite sprechen, von der ehrenamtlich engagierten Sprachpatin oder den in Asylkreisen Aktiven über Mitarbeiter von Behörden und sozialen Dienstleistern bis zur Polizei. Ich wusste nicht, wie gut Brunhilde Raiser vernetzt ist. Sie hat es Karolin Bräg filtert 336 Zitate aus Gesprächen mit Menschen, die mit Flüchtlingen zu tun haben.
geschafft, dass ich innerhalb von einer Woche im Januar 2016 mit 41 Menschen sprechen konnte. Das war eine sehr intensive Zeit mit eindrücklichen Begegnungen.
Wie viel Zeit konnten Sie sich denn da überhaupt für jeden Gesprächspartner nehmen?
Die meisten Gespräche haben eine gute Stunde gedauert. Ich habe mich vorgestellt und mein Anliegen erklärt und dann sind wir ins Thema eingestiegen. Einzelne Gespräche haben aber auch zwei oder drei Stunden gedauert.
Wie haben Sie ihre Gegenüber erlebt?
Erstaunlich offen. Ich hatte ja allen Anonymität zugesichert, das hat ihnen die Sicherheit gegeben, frei zu sprechen. Dabei habe ich von unbändigem Enthusiasmus beim Willkommenheißen der Flüchtlinge bis zu Anfeindungen einzelner Personen vieles zu hören bekommen. Ich glaube, dass sich das Bild der Gesellschaft mit der Ausnahmesituation Anfang 2016 auch in den Gesprächen spiegelt. Manchmal haben sich die unterschiedlichen Perspektiven, die sich in Bezug auf die Flüchtlingsfrage
gebildet haben, sogar in einer Person wiedergefunden.
Wie gehen Sie mit ihren eigenen Gefühlen in solchen Momenten um?
Im Gespräch bleibe ich neutral und werte nicht. Ich möchte ja gerade die unterschiedlichen Meinungen und Einstellungen der Menschen hören. Am Ende bildeten 336 Zitate die Essenz dieser Gespräche, dokumentiert in einem Archiv. Daraus traf ich später eine Auswahl für fünf Textbilder, ein Büchlein, in dem 150 von ihnen in einer Zitatsammlung geordnet sind, und ein Hörstück. In der Begegnung mit den Menschen und ihren Aussagen gewinne ich natürlich auch eine Erkenntnis über mich. Wie stehe ich zu der jeweiligen Situation? Was berührt, was irritiert mich?
Und genau das wünschen Sie sich auch von den Besuchern der Installation?
Genau. Sie sollten etwas Zeit mitbringen, um sich auf das Thema und die Zitate einzulassen. Horst Konietzny hat auf meine Bitte hin aus den Zitaten ein eigenständiges Hörstück entworfen. Hier brauchen die Menschen Zeit zum Hinhören, genauso wie sie das Heft mit den Zitaten mit nach Hause nehmen und in Ruhe darüber nachdenken können. Dieses Kunstwerk fordert zur Mitarbeit auf, zur Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht. Hier kann jeder selbst seine Werte und Erfahrungen mit dem in Beziehung setzen, was er mit den Zitaten assoziiert und wie sie auf ihn wirken.
Sie haben schon ähnliche Projekte abgeschlossen, wie waren da die Reaktionen?
Ich arbeite eigentlich gern mit Installationen im Außenbereich. Dort werden Menschen ganz unvermittelt mit den Zitaten und der Installation konfrontiert und entscheiden sich spontan: Gehe ich vorbei oder hält mich etwas zurück. Von den Reaktionen erfahre ich wenig. Hier in Mengen muss die bewusste Entscheidung getroffen werden, das Museum zu besuchen. Die künstlerische Arbeit kann gesehen, gelesen und gehört werden. Sie dient dem offenen Gespräch. Das Thema Flucht und Vertreibung bleibt gegenwärtig. Ich bin schon sehr auf die Reaktionen gespannt.
Nach Mengen ist die Installation auch andernorts zu erleben?
Ja, sie ist so konzipiert, dass sie sich einfach an ganz unterschiedlichen Orten aufbauen lässt. Das war auch eine Vorgabe von Brunhilde Raiser, die Orten in ganz Oberschwaben die Möglichkeit geben will, von dem Projekt zu profitieren.
Die Installation wird am Samstag, 10. März, um 17 Uhr im Stadtmuseum eröffnet. Karolin Bräg wird anwesend sein.