Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Tote Wilhelmsdo­rferin: Prozess in der Schweiz

Vater muss sich auch wegen Schändung und Störung der Totenruhe verantwort­en – Urteil erwartet

- Von Philipp Richter

WILHELMSDO­RF/WAGENHAUSE­N Das Bezirksger­icht in Frauenfeld verhandelt heute, Freitag, den Fall der im Januar 2016 in Wagenhause­n im Kanton Thurgau getöteten Wilhelmsdo­rferin Vanessa W. Angeklagt ist der Vater der damals 25-jährigen Frau. Die Staatsanwa­ltschaft Thurgau wirft ihm (eventual-)vorsätzlic­he Tötung, Schändung und Störung des Totenfried­ens vor. Laut Schweizer Strafgeset­zbuch droht dem Mann aus Leutkirch im Kreis Ravensburg eine mehrjährig­e Haftstrafe nicht unter fünf Jahren.

(Eventual-)Vorsätzlic­he Tötung ist ein Begriff aus dem Schweizer Strafrecht und beschreibt einen Sachverhal­t, wenn dem Täter ein direkter Vorsatz nicht nachgewies­en werden kann. Der Eventualvo­rsatz liegt vor, wenn der Täter bei seinem Handeln den Tod als möglich erachtet und ihn in Kauf nimmt.

Die Tat sorgte 2016 für großes Aufsehen in den überregion­alen Medien. Deswegen wird heute Morgen zum Verhandlun­gsstart um 7.45 Uhr auch mit vielen Journalist­en im Gerichtssa­al gerechnet. In der Region ist die Tat als der „Fall der toten Wilhelmsdo­rf“im Gedächtnis geblieben – in der Schweiz spricht man vom „Fall Wagenhause­n“. Länger als eineinhalb Jahre ist ermittelt worden, bis schlussend­lich im September 2017 Anklage beim Bezirksger­icht Frauenfeld erhoben wurde. Die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg war ebenfalls in die Ermittlung­en eingebunde­n, schlussend­lich haben dann aber die Schweizer Behörden übernommen.

Die Tag ereignete sich die Tat am 2. Januar 2016 in der Wohnung des Ex-Freundes des Opfers in einem Mehrfamili­enhaus in Wagenhause­n (Kanton Thurgau). Dort wollte man gemeinsam Silvester feiern und ein paar Tage verbringen. Die Polizei hatte nach einem Notruf die Wohnungstü­r geöffnet und eine am Boden liegende Frau vorgefunde­n. Außerdem standen zwei Männer im Raum: der Tatverdäch­tige und sein Freund.

Schnell habe sich dann der Verdacht auf eine vorsätzlic­he Tötung erhärtet, sagte der Thurgauer Oberstaats­anwalt Stefan Haffter der SZ. Die Ermittler hatten es mit einem sogenannte­n „außergewöh­nlichen Todesfall“zu tun, wie es damals die Behörden ausdrückte­n. Beide Männer wurden festgenomm­en und kamen in vorzeitige Haft. Der Ex-Freund von Vanessa W. wurde bereits im Februar 2016 wieder freigelass­en. Laut Medienberi­chten ist er vom Vorwurf der unterlasse­nen Hilfeleist­ung freigespro­chen worden.

Mittelalte­r-Szene

Die Schweizer Boulevard-Zeitung „Blick“schrieb in ihren Artikeln, dass sich das Opfer sowie die beiden Männer in der Mittelalte­r-Szene bewegten. Man traf sich auf speziellen Mittelalte­rmärkten, Ritterturn­ieren und Konzerten. Und wer das 1700Seelen-Dorf Wagenhause­n besucht, der glaubt auch die perfekte Kulisse für diese Szene vorzufinde­n. Wagenhause­n liegt am Hochrhein direkt neben dem malerische­n Mittelalte­rstädchen Stein am Rhein mit seinen engen Gassen, Türmchen und Fachwerkhä­usern. Über den beiden Orten thront gut sichtbar eine Burg auf einem Berg, Wagenhause­n schmücken aufwendig renovierte Riegelhäus­er und eine Propstei. Eine Tat, wie sie dem Angeklagte­n vorgeworfe­n wird, passt so überhaupt nicht in die Gegend. Über den Fall spricht aber niemand im Ort. „Das ist kein Thema hier. Da redet niemand, da hört man auch nichts– außer wenn mal wieder was in der Zeitung steht“, sagt die Wirtin des Bistros im Zentrum. „Den hat hier auch niemand gekannt“, sagt sie und meint den ExFreund von Vanessa W., ein Freund ihres Vaters, der in Wagenhause­n wohnte. Auch im Friseursal­on und in der Nachbarsch­aft des Tatorts schweigt man. Mit den Berichten über die Gerichtsve­rhandlung in Frauenfeld wird sich das wieder ändern – genauso wie in Wilhelmsdo­rf.

Ihren Vater hat Vanessa W. erst zwei Jahre vor ihrem Tod zum ersten Mal getroffen. Sollte er beim Urteilsspr­uch heute Abend schuldig gesprochen werden, wird er seine Strafe mit höchster Wahrschein­lichkeit in einem Schweizer Gefängnis im Osten des Landes verbringen. Die Entscheidu­ng darüber trifft das Amt für Justizvoll­zug des Kantons Thurgau nach einer Verurteilu­ng, heißt es auf Nachfrage.

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