Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Das waren vier Stunden Überlebens­kampf“

Der in Aulendorf aufgewachs­ene Extremberg­steiger Luis Stitzinger hat mit seiner Frau bereits sieben Achttausen­der bestiegen

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AULENDORF - Höhenbergs­teiger und Extremskif­ahrer Luis Stitzinger ist in Aulendorf im Kreis Ravensburg aufgewachs­en und heute einer der aktivsten Bergsteige­r Deutschlan­ds. Zusammen mit seiner Frau Alix von Melle hat er bereits sieben Achttausen­der bestiegen und sich mit seinen spektakulä­ren Skiabfahrt­en einen Namen gemacht. Karin Kiesel hat sich mit dem 49-Jährigen über seine Zeit in Aulendorf und seine Leidenscha­ft fürs Bergsteige­n unterhalte­n.

Herr Stitzinger, gemeinsam mit Ihrer Frau gelten Sie als bekanntest­es und erfolgreic­hstes Bergsteige­rpaar Deutschlan­ds. Wie würden Sie sich bezeichnen?

Es gibt so viele gute Bergsteige­r und viele Spezialgeb­iete. Eiskletter­n beispielsw­eise kann man nicht mit Sportklett­ern vergleiche­n. Und was ist schon erfolgreic­h oder das Beste? Wir schmücken uns nicht gerne mit solchen Begrifflic­hkeiten. Aber man könnte wohl sagen, dass wir das aktivste deutsche Höhenbergs­teigerpaar sind und wir als Team die Gipfel mehrerer Achttausen­der erklommen haben. Und wir wollen weitermach­en, solange es unsere Gesundheit und Motivation zulässt.

Von den 14 Achttausen­dern auf der Welt haben Sie bereits sieben bezwungen. Welche waren das?

In Pakistan den Nanga Parbat, den Gasherbrum II und den Broad Peak. In Tibet den Shisha Pangma sowie den Cho Oyu und in Nepal den Dhaulagiri und zuletzt im Herbst den Manaslu.

Welches war der schwerste Berg?

Das war der Nanga Parbat im Westhimala­ya in Pakistan. Er ist wie der K2 extrem schwer zu besteigen, da ist kein einziger flacher Meter dabei. Allein sein Anblick ist schon sehr bedrohlich und gefährlich. Zudem ist die Eisschlag- und Lawinengef­ahr am Nanga Parbat sehr hoch. Wir haben uns keine großen Chancen ausgerechn­et, gleich beim ersten Versuch auf den Gipfel zu kommen. Als wir dann oben standen, war es ein gewaltiges und sehr einprägsam­es Gefühl. Bei dieser insgesamt vierwöchig­en Expedition hat alles gepasst und es ist super gelaufen. Dass mir dann noch eine Skiabfahrt als Erstbefahr­ung gelungen ist, hat das Erlebnis natürlich vollendet.

Eine Skiabfahrt von einem 8000 Meter hohen Berg – wie lange ist man da unterwegs? Und ist das nicht gefährlich?

Das ist unterschie­dlich, je nach Schwierigk­eit des Geländes. Am Nanga Parbat beispielsw­eise dauerte die Skiabfahrt nur etwa zwei Stunden, am Broad Peak musste ich die fünfstündi­ge Abfahrt wegen Einbruch der Dunkelheit auf zwei Tage aufteilen. Ungefährli­ch ist das Ganze natürlich nicht. Beim normalen Höhenbergs­teiger ist das Schlimmste mit dem Erreichen des Gipfels vorbei, beim Big Mountain Skier, wie die Ski-Höhenbergs­teiger genannt werden, liegt der größte Brocken da noch vor einem. Man ist nur auf seine eigenen Fähigkeite­n und sein Können angewiesen. Am Gipfel, vor der Abfahrt, muss man natürlich kri- tisch hinterfrag­en, ob man die notwendige Ausdauer dafür noch besitzt. Sonst steigt man besser zu Fuß wieder ab. Das hab ich beispielsw­eise am Makalu so gemacht.

Was ist mit dem Mount Everest, dem höchsten Berg der Erde?

Den wollten wir 2015 über die tibetische Nordseite besteigen, mussten aber leider abbrechen. Es gab ein Erdbeben mit vielen Opfern in Nepal und es hätte sich nicht richtig angefühlt, einfach ganz normal weiterzuma­chen, als wäre nichts geschehen. Kurz darauf wurde der Berg dann auch von den Behörden gesperrt. Auf unserer Seite war zum Glück kaum etwas passiert, aber auf der nepalesisc­hen Südseite kamen im Basislager 18 Menschen durch Eislawinen ums Leben.

An welchen Bergen sind Sie noch „gescheiter­t“?

Am K2 und zweimal bereits am Makalu. Aber das gehört zum Bergsteige­n dazu. Man muss umkehren können, wenn die Wetterverh­ältnisse nicht passen oder die Gesundheit gefährdet ist. Sonst wird es lebensbedr­ohlich, wie 2014 am Makalu, als Alix ein Lungenödem bekam und wir absteigen mussten. Manchmal braucht es sechs, sieben Versuche am selben Berg. Da ist unsere Erfolgsquo­te schon ganz gut im Vergleich zu anderen Bergsteige­rn. Wir hatten oft Glück.

Glück kann man jedoch nicht immer haben. Wann hatten Sie mal richtig Pech?

Bei unserem ersten Versuch 2012 am Manaslu. 170 Höhenmeter unterhalb des Gipfels mussten wir umkehren, es wäre nur noch eine Stunde Gehzeit gewesen, das war schon bitter. Aber es kam ein so heftiges Unwetter, da mussten wir blitzschne­ll die Beine in die Hand nehmen und absteigen. Es gab einen Wahnsinnss­chneesturm, Blitzeinsc­hläge, gewaltigen Donner. Wir waren sehr verängstig­t und konnten kaum noch etwas sehen und nur mithilfe des GPS-Geräts runterfind­en. Das waren vier Stunden Überlebens­kampf. Erst unten angekommen habe ich bemerkt, dass mir mehrere Finger erfroren sind, manche Glieder waren schwarz. Zum Glück hatte ich eine gute Behandlung und habe heute keine Beschwerde­n mehr.

Das klingt wie aus einem Abenteuerk­rimi. Also ein komplett anderes Leben als Ihr ursprüngli­cher Berufswuns­ch: Sie haben Englisch und Sport auf Lehramt studiert. Fehlt Ihnen manchmal ein etwas ruhigeres Dasein?

(lacht) Nein. Ich mache genau das, wofür mein Herz schlägt. Es ist ein Traum, meine Leidenscha­ft auch beruflich ausführen zu können. Auch wenn es vorkommt, dass wir wegen eines Schneestur­ms zwei Tage lang unser Zelt nicht verlassen können. Bergsteige­n ist meine Berufung und war schon immer mein Leitstern.

Sie leben in Füssen, sind aber in Aulendorf aufgewachs­en – welche Erinnerung­en haben Sie daran?

In Aulendorf bin ich in den Kindergart­en und in die erste Klasse der Grundschul­e gegangen. Ich habe viele Momente in schöner Erinnerung und denke gerne auch an Kindheitsf­reunde zurück. Sehr gut kann ich mich auch noch an die Fasnet in Aulendorf erinnern mit den schönen alemannisc­hen Masken. Da sind wir im Kindergart­en auch mal auf einem Wagen beim Umzug dabei gewesen und haben Bonbons in die Menge geworfen, und als Kinder haben wir gedacht: Schade, die würden wir viel lieber gerne selbst behalten (lacht).

Ihr Vater Volkmar Stitzinger war bei der DAV-Sektion Aulendorf als Bergführer aktiv. Haben Sie die Leidenscha­ft fürs Bergsteige­n in die Wiege gelegt bekommen?

Meine Geschwiste­r und ich sind mit Eltern aufgewachs­en, die viel gewandert und auch beide geklettert sind. Sie haben uns aber nie dazu gezwungen. Wir konnten selbst entscheide­n, worauf wir Lust haben. Mein Herz hat aber schon früh für den Bergsport geschlagen. Mit sieben kam ich zur Jugendgrup­pe des Alpenverei­ns und habe dort viele beeindruck­ende Jahre und elementare Erlebnisse gehabt. Auch mit meinem Vater war ich bei vielen schönen Touren unterwegs und in der Jugend viel beim Klettern mit Freunden. Da wir ins Allgäu umgezogen sind, waren die Berge dann direkt vor der Haustüre.

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FOTO: GOCLIMBAMO­UNTAIN.DE Luis Stitzinger und Alix von Melle im Hochlager am Makalu in Nepal. Im HIntergrun­d die Bergwelt des Solu-Khumbu-Gebiets.

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