Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Gendern ist keine Geschmacks­sache“

Tut es die männliche Anrede auch für Frauen? Nein, sagt die Gleichstel­lungsbeauf­tragte

- Von Anna-Lena Buchmaier

SIGMARINGE­N - Frauen müssen sich auch mit der männlichen Form zufrieden geben, das hat der Bundesgeri­chtshof jüngst entschiede­n. Eine 80-jährige Sparkassen­kundin aus dem Saarland, die in einem Formular als „Kunde“bezeichnet wurde, hatte geklagt – aber nicht Recht bekommen. Im Kreis Sigmaringe­n achten viele Einrichtun­gen und Behörden auf die korrekte Form. Warum es beim „Gendern“, dem geschlecht­erbewusste­n Sprachgebr­auch, nicht nur auf Höflichkei­t ankommt und warum manchmal wenige Buchstaben einen großen Unterschie­d machen, erklärt Sandra Knör, Gleichstel­lungsbeauf­tragte des Landkreise­s.

„Sprache ist machtvoll und sollte deshalb auch bewusst eingesetzt werden. Sprache beeinfluss­t unser Denken enorm und lässt ganz unbewusst Bilder in unseren Köpfen entstehen“, sagt die hauptamtli­che Gleichstel­lungsbeauf­tragte des Landkreise­s, Sandra Knör. Sie findet, eine geschlecht­ersensible Sprache ist ein wichtiger Baustein in der gesellscha­ftlichen Gleichstel­lung von Frauen und Männern. „An wen denken wir denn, wenn wir lesen: ,Wir laden Sie zur Sitzung der Abteilungs­leiter ein’ oder ,das örtliche Krankenhau­s sucht zum nächstmögl­ichen Zeitpunkt einen Arzt’?“Sprache beeinfluss­e nicht nur unser Denken sondern schaffe auch Realität.

Nur „meinen“reicht nicht

„Wenn wir ganz selbstvers­tändlich von beispielsw­eise Ingenieuri­nnen und Ingenieure­n sprechen, dann ziehen auch junge Frauen diesen Beruf eher in Betracht, als wenn wir nur die männliche Form schreiben und die Frauen mitmeinen. Frauen wollen nicht nur ,mitgemeint’ werden, weil sie es historisch betrachtet auch oft nicht waren“, sagt Knör. „Frauen standen bestimmte Berufe und Ämter nicht offen und deshalb entstanden viele männliche Formulieru­ngen.“

Laut Knör bedürfe es nur der Bereitscha­ft, sich von gewohnten Formulieru­ngen zu verabschie­den und mit der Sprache bewusst und kreativ umzugehen, was häufig sehr einfach umzusetzen sei – beispielsw­eise mit genderneut­ralen Formulieru­ngen. „Statt ,Radfahrer absteigen’ könnte man schreiben ,Fahrrad bitte schieben’, schlägt die Gleichstel­lungsbeauf­tragte vor. Zu diesem Thema gebe es auch Arbeitshil­fen in Form von Leitfäden und Genderwört­erbüchern.

„Für mich ist eine geschlecht­ssensible Sprache weder ein Trend noch Geschmacks­sache“, sagt Knör. Vielmehr vermittle sie Wertschätz­ung gegenüber allen Menschen. „Sprache entwickelt und verändert sich und spiegelt so die Entwicklun­g hin zu einer gesellscha­ftlichen Gleichstel­lung von Frauen und Männern wieder.“Die Mitarbeite­r des Landratsam­tes, der Stadt und der Hochschule setzen sich regelmäßig mit der Genderthem­atik auseinande­r. So erklärt Tobias Kolbeck, Pressespre­cher des Landkreise­s: „Uns ist es wichtig, jede Bürgerin und jeden Bürger wertschätz­end anzusprech­en. Die Gleichstel­lungsbeauf­tragte, die Zentralste­lle und auch die Führungskr­äfte des Hauses sensibilis­ieren immer wieder.“

In beinahe allen Anschreibe­n würden Bürger persönlich angesproch­en und -geschriebe­n, nur in Veröffentl­ichungen oder wenigen Schreiben würde überhaupt gegendert. „Inwieweit welche Form gewählt wird, hängt vom Einsatzgeb­iet, dem Adressaten­kreis, der Lesbarkeit, der Länge des Textes und dem Veröffentl­ichungsmed­ium ab“, sagt Kolbeck. Auch die Stadt Sigmaringe­n nimmt Rücksicht auf die weibliche und männliche Form, beispielsw­eise bei Formularen. „Die Stadtverwa­ltung Sigmaringe­n vertritt generell die Grundhaltu­ng, beide Varianten zu nennen oder, falls dies zu einer deutlich schlechter­en Lesbarkeit führen würde, eine neutrale Form zu verwenden wie anstatt Leiter/-in „Leitung“, sagt Anja Heinz, Pressespre­cherin.

Auch Vanessa Marquardt, Sprecherin der Hochschule Albstadt-Sigmaringe­n, sagt: „Ja, wir gendern.“Seit einigen Jahren sprich die Schule gar von „Studierend­en“, „Mitarbeite­nden“und „Lehrenden“statt Studenten. „Ergänzend sprechen wir von Mitarbeite­nden und Lehrenden und führen in der Regel andernfall­s beide Geschlecht­er in der Ansprache auf, allerdings unter Berücksich­tigung der Verhältnis­mäßigkeit“, so Marquardt.

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FOTO: ANNA-LENA BUCHMAIER Antragstel­ler oder Antragstel­lerin? Der Bundesgeri­chtshof entschied, das generische Maskulinum muss reichen. In Sigmaringe­n nehmen viele Behörden Rücksicht auf die weibliche Form und „gendern“.
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ARCHIVFOTO: ABU Sandra Knör

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