Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Gendern ist keine Geschmackssache“
Tut es die männliche Anrede auch für Frauen? Nein, sagt die Gleichstellungsbeauftragte
SIGMARINGEN - Frauen müssen sich auch mit der männlichen Form zufrieden geben, das hat der Bundesgerichtshof jüngst entschieden. Eine 80-jährige Sparkassenkundin aus dem Saarland, die in einem Formular als „Kunde“bezeichnet wurde, hatte geklagt – aber nicht Recht bekommen. Im Kreis Sigmaringen achten viele Einrichtungen und Behörden auf die korrekte Form. Warum es beim „Gendern“, dem geschlechterbewussten Sprachgebrauch, nicht nur auf Höflichkeit ankommt und warum manchmal wenige Buchstaben einen großen Unterschied machen, erklärt Sandra Knör, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises.
„Sprache ist machtvoll und sollte deshalb auch bewusst eingesetzt werden. Sprache beeinflusst unser Denken enorm und lässt ganz unbewusst Bilder in unseren Köpfen entstehen“, sagt die hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, Sandra Knör. Sie findet, eine geschlechtersensible Sprache ist ein wichtiger Baustein in der gesellschaftlichen Gleichstellung von Frauen und Männern. „An wen denken wir denn, wenn wir lesen: ,Wir laden Sie zur Sitzung der Abteilungsleiter ein’ oder ,das örtliche Krankenhaus sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen Arzt’?“Sprache beeinflusse nicht nur unser Denken sondern schaffe auch Realität.
Nur „meinen“reicht nicht
„Wenn wir ganz selbstverständlich von beispielsweise Ingenieurinnen und Ingenieuren sprechen, dann ziehen auch junge Frauen diesen Beruf eher in Betracht, als wenn wir nur die männliche Form schreiben und die Frauen mitmeinen. Frauen wollen nicht nur ,mitgemeint’ werden, weil sie es historisch betrachtet auch oft nicht waren“, sagt Knör. „Frauen standen bestimmte Berufe und Ämter nicht offen und deshalb entstanden viele männliche Formulierungen.“
Laut Knör bedürfe es nur der Bereitschaft, sich von gewohnten Formulierungen zu verabschieden und mit der Sprache bewusst und kreativ umzugehen, was häufig sehr einfach umzusetzen sei – beispielsweise mit genderneutralen Formulierungen. „Statt ,Radfahrer absteigen’ könnte man schreiben ,Fahrrad bitte schieben’, schlägt die Gleichstellungsbeauftragte vor. Zu diesem Thema gebe es auch Arbeitshilfen in Form von Leitfäden und Genderwörterbüchern.
„Für mich ist eine geschlechtssensible Sprache weder ein Trend noch Geschmackssache“, sagt Knör. Vielmehr vermittle sie Wertschätzung gegenüber allen Menschen. „Sprache entwickelt und verändert sich und spiegelt so die Entwicklung hin zu einer gesellschaftlichen Gleichstellung von Frauen und Männern wieder.“Die Mitarbeiter des Landratsamtes, der Stadt und der Hochschule setzen sich regelmäßig mit der Genderthematik auseinander. So erklärt Tobias Kolbeck, Pressesprecher des Landkreises: „Uns ist es wichtig, jede Bürgerin und jeden Bürger wertschätzend anzusprechen. Die Gleichstellungsbeauftragte, die Zentralstelle und auch die Führungskräfte des Hauses sensibilisieren immer wieder.“
In beinahe allen Anschreiben würden Bürger persönlich angesprochen und -geschrieben, nur in Veröffentlichungen oder wenigen Schreiben würde überhaupt gegendert. „Inwieweit welche Form gewählt wird, hängt vom Einsatzgebiet, dem Adressatenkreis, der Lesbarkeit, der Länge des Textes und dem Veröffentlichungsmedium ab“, sagt Kolbeck. Auch die Stadt Sigmaringen nimmt Rücksicht auf die weibliche und männliche Form, beispielsweise bei Formularen. „Die Stadtverwaltung Sigmaringen vertritt generell die Grundhaltung, beide Varianten zu nennen oder, falls dies zu einer deutlich schlechteren Lesbarkeit führen würde, eine neutrale Form zu verwenden wie anstatt Leiter/-in „Leitung“, sagt Anja Heinz, Pressesprecherin.
Auch Vanessa Marquardt, Sprecherin der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, sagt: „Ja, wir gendern.“Seit einigen Jahren sprich die Schule gar von „Studierenden“, „Mitarbeitenden“und „Lehrenden“statt Studenten. „Ergänzend sprechen wir von Mitarbeitenden und Lehrenden und führen in der Regel andernfalls beide Geschlechter in der Ansprache auf, allerdings unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit“, so Marquardt.