Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Parallele Einsätze sind kein Problem“
Ravensburger Kreisbrandmeister Oliver Surbeck über Großbrände zur gleichen Zeit und die Besonderheiten beim Sankt-Jodok-Brand
RAVENSBURG - Was wäre gewesen, wenn es in der St. Martinskirche in Schlier auch zu einem Großbrand gekommen wäre? Hätten die Feuerwehren dann gleichzeitig auch in Ravensburg löschen können? Darüber hat Redakteurin Jasmin Bühler mit Kreisbrandmeister Oliver Surbeck gesprochen – und auch über den bundesweit nahezu ersten Einsatz der neuen Fachberatersparte „Denkmalschutz“.
Herr Surbeck, die Kirche St. Jodok ist ein historisches und denkmalgeschütztes Gebäude. Worin bestanden die Herausforderungen bei dem dortigen Großeinsatz vor einer Woche?
Der Brand des Frauentor-Turmes im Jahr 1982 ist auch heute noch eng mit der Geschichte der Stadt Ravensburg verknüpft. Drei Einsatzkräfte starben in der Nacht des 14. März, also vor nahezu exakt 36 Jahren. Nicht zuletzt dieser damalige Einsatz hat gezeigt, wie aufwändig und sensibel der Brandeinsatz in historischen Gebäuden ist. Mehrfach jährlich haben wir Brände in unseren epochalen Altstädten und Dörfern. Oft sind die damaligen Bauweisen kaum noch bekannt oder auf den ersten Blick nicht erkennbar. Bei einem denkmalgeschützten Gebäude wie der Kirche St. Jodok haben wir es zudem mit einem mächtigen Bauwerk mit enormen Abmessungen zu tun. Es gibt eine Unzahl versteckter Mängel, unbekannte Konstruktionen und natürlich große historische Schätze. Besagte Mängel frühzeitig zu erken- nen, die unbekannten Konstruktionen der Statik schnell und richtig einzuschätzen sowie die historischen Schätze so schonend wie irgend möglich zu retten, dass sind die großen Aufgaben für die Einsatzmannschaften bei einem solchen Brandeinsatz!
Nahezu das erste Mal überhaupt auf Bundesebene wurden bei dem Kirchenbrand in Ravensburg so genannte Fachberater Denkmalschutz hinzugezogen. Was ist deren Aufgabe und wie funktioniert dieses System?
Wir haben die letzten 15 Jahre bei den Feuerwehren des Landkreises ein umfangreiches Fachberaterteam aufgebaut. Es handelt sich hierbei um ehrenamtliche Einsatzkräfte unserer Feuerwehren, die einen entsprechenden beruflichen oder semiprofessionellen Hintergrund haben. So sind wir in der stolzen Lage insgesamt 13 Fachberatersparten in unseren Feuerwehren zu beheimaten. Dazu gehören die Bereiche Chemie, Strahlenschutz, Notfallseelsorge und Öffentlichkeitsarbeit ebenso wie Biogas, Meteorologie oder eben Denkmalschutz. Vor rund einem Jahr haben wir die Fachberatersparte Denkmalschutz gegründet. Es handelt sich hierbei um Bauingenieure und Architekten, die sich allesamt professionell mit Denkmälern beschäftigen und die historischen Konstruktionen kennen. Gerade bei dem aktuellen Einsatz in Ravensburg hat sich gezeigt, wie wertvoll dieser Erfahrungsschatz ist.
Und was hat der Fachberater in besagtem Fall geraten?
Der Fokus des Fachberaters liegt auf dem Denkmal. Heißt: Er gibt taktische Tipps und konkrete Empfehlungen. In Ravensburg hat er sich sofort die Pläne der Kirche zeigen lassen und sie mit dem Baubürgermeister und dem Pfarrer gemeinsam besprochen. Zum Beispiel ging es darum, wertvolles Mobiliar zu sichern oder die Bilder und Figuren zu retten. Fragen waren aber auch: Wie ist das Gebäude gebaut, welche Dachstühle sind noch begehbar und wie kann die Statik richtig gelesen und bewertet werden? Für den Einsatzleiter sind die Fachberater sehr hilfreich. Übrigens sind wir auf Bundesebene nahezu einmalig mit diesem gewaltigen Fachberatersystem und werden dieses auch noch weiter ausbauen. Gerade die Fachberater Denkmalschutz sind natürlich in unseren historischen Städten und Gemeinden eine ganz wichtige Stütze und beraten die kommunalen Einsatzleiter auf hervorragender Art und Weise.
Nur eine Stunde vor dem Brand in Ravensburg hat es in Schlier ebenfalls gebrannt. Das Feuer ist aber von alleine erloschen. Und am Nachmittag kam es in Isny zu einem Dachstuhlbrand, ebenfalls in der Altstadt. Könnte die Feuerwehr im Kreis mehrere Großeinsätze gleichzeitig fahren?
Ja, der Bürger hat natürlich ein Recht darauf, gerettet zu werden. Der Kreis Ravensburg ist ein Flächenlandkreis. Aufgrund der großen Ausdehnung haben wir viele Ressourcen bei den Rettungskräften. So gibt es beispielsweise elf so genannte Stützpunktwehren mit Sonderfahrzeugen, Drehleitern, Rüstwerken und Sondermaterial. Hinzu kommen flächendeckend die Gemeindefeuerwehren mit ihren Löschfahrzeugen, die den Erstschlag fahren und sich vor Ort hervorragend auskennen. Bei dem Einsatz in Ravensburg waren die Stützpunktwehren aus Ravensburg, Weingarten und Bad Waldsee vor Ort. Die Drohne der Feuerwehr Wangen war ebenfalls eingebunden sowie der vorgenannte Fachberater Denkmalschutz der Feuerwehr Leutkirch. Die Wehr aus Tettnang wurde ebenfalls angefordert – als zusätzliche Hilfe falls nötig, aber auch, um die Schussentalachse mit der Drehleiter abzudecken. Durch diese Verlagerung war die Sicherheit gewährleistet. Parallele Einsätze sind also kein Problem. Die Feuerwehren sind extrem interkommunal vernetzt und unterstützen sich gegenseitig. Über dieses System lassen sich dann auch Paralleleinsätze schnell und effektiv abarbeiten; dies ist eine echte Stärke unseres großen Landkreises.
Vermutlich war ein brennendes Sofa der Auslöser gewesen. Sind solche Einrichtungsgegenstände in Kirchen ein Risiko?
In erster Linie ist der Betreiber für die Sicherheit in einem Gebäude verantwortlich und man kann natürlich vortrefflich darüber diskutieren, ob ein Sofa in eine Kirche gehört. Man darf aber bei aller Diskussion nicht vergessen, dass ein Gebäude auch leben soll. Als Jugendkirche hat St. Jodok einen ganz speziellen Charme und Zweck und es wäre sicherlich der falsche Ansatz zu sagen, dass alle Brandlasten entfernt werden müssen. Auch gesetzlich ist das nicht vorgesehen; so nimmt die Versammlungsstättenverordnung die Kirchen explizit aus, wenn es um die Vorschriften der Versammlungsstättenverordnung geht – und das ist aus meiner Sicht auch gut so. Gerade im Brandschutz brauchen wir auch vom Gesetzgeber ein gewisses Fingerspitzengefühl; letztendlich wird immer ein gewisses Restrisiko bestehen. Wichtig ist, dass die Rettungswege funktionieren, denn daran hängen Menschenleben. Aufgrund der erdgeschossigen Situationen haben wir daher in Kirchen diesbezüglich relativ wenige Probleme.
Die Feuerwehrleute hatten den Brand innerhalb von zwei Stunden im Griff. War das Glück im Unglück?
Ein glücklicher Umstand war sicherlich, dass die Jodokskirche freistehend ist, wir also von allen Seiten gut angreifen konnten. Hinzu kommt, dass aufgrund der historischen Bauweise hauptsächlich Holz verbrannt ist. Chemikalien sind so relativ wenige freigesetzt worden. Als Kreisbrandmeister kann ich den Einsatzund Führungskräften ein dickes Lob aussprechen. Einen Einsatz in dieser Dimension, mit derart bauhistorischen Herausforderungen und diesem hohen Personaleinsatz zu führen und zu leiten, ist eine große Herausforderung und auch die Einsatzmannschaften haben Hervorragendes geleistet. Ich glaube, wir Bürgerinnen und Bürger können froh und stolz auf dieses starke Hilfeleistungssystem in unserer Region sein, bei der man sich gegenseitig hilft und unterstützt: seien es die Feuerwehren, die Polizei, die Hilfsorganisationen oder auch das THW. Es ist eine starke Teamarbeit in einer großen Blaulichtfamilie, dies hat nicht zuletzt auch der aktuelle Brandeinsatz in Ravensburg gezeigt, bei dem große historische Werte gerettet und der Vollbrand des Gebäudes gemeinsam verhindert wurde. Ein großer Respekt für diesen starken Einsatz!