Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
22 Frauen machen Abi mit Gesellenbrief
Vizepräsident der Handwerkskammer spricht an der Heimschule in Wald Gesellinnen frei
WALD - 22 Gesellinnen des Schneiderhandwerks sind am Samstagnachmittag vom Vizepräsidenten der Handwerkskammer Reutlingen, August Wannenmacher, in der Turnund Festhalle der Heimschule Kloster Wald losgesprochen worden. Im festlichen Rahmen händigte Diana Kempf, Werkstattleiterin der Heimschule, den Absolventinnen ihre Gesellenbriefe aus. Damit beenden die jungen Frauen eine Ausbildung, die in ihrer Qualität landesweit einmalig ist, denn sie haben neben einer anspruchsvollen achtjährigen Gymnasialbildung eine handwerkliche Lehre abgeschlossen. Diese Doppelqualifikation, „Abitur mit Gesellenbrief“, macht die Absolventinnen zu begehrten Kandidatinnen in Wissenschaft und Wirtschaft. „Damit seid Ihr für die weitere berufliche Zukunft gut gerüstet“, sagte Kempf.
Sie ging in ihrer Ansprache kurz auf die Geschichte der Bekleidung ein, die von der ursprünglichen Zweckmäßigkeit, den Träger zu schützen, zu einem Spiegel der Gesellschaft wurde. Auch heute würden Menschen vom ersten Moment an über ihre Kleidung wahrgenommen und einem bestimmten Status zugeordnet – unabhängig ob das den Tatsachen entspricht oder nicht. In der heutigen schnelllebigen Zeit reiche der Blick oft nur bis zur Oberfläche, mit der Folge, dass „wir umgeben sind von Menschen, die Fast Food und Fast Fashion teilweise ohne schlechtes Gewissen konsumieren“. Jährlich würden rund 70 Milliarden Euro für Kleidung ausgegeben, wobei der durchschnittliche Deutsche 60 Teile kauft. Diese würden deutlich weniger lang getragen als noch vor 15 Jahren. „In diesem Genre liegen die Lohnkosten für einen Rock bei 50 Cent“, sagte sie. „Ist da nicht etwas aus den Fugen geraten?“
Ausbeutung auf der einen Seite, Überfluss auf der anderen Seite
Einerseits würden billige Arbeitskräfte im Ausland ausgebeutet und Raubbau an der Umwelt betrieben, andererseits gebe es einen Überfluss
an billiger Massenware, die teilweise ungetragen im Container lande. „Wo bleibt hier die Wertschätzung für handwerkliches Können?“Kempf bezeichnete die Gesellinnen als Teil der Gegenbewegung „Slow Fashion“. Sie seien nun Frauen, die gelernt haben, was Handwerk bedeutet und Qualität wirklich wert ist. Bei der Lossprechungsfeier gaben einige der
jungen Frauen Kostproben ihrer weiteren Talente. Albertine von Thüngen mit einer Improvisation am Flügel, Charlotte und Susanne Schubert als Klavier-Violine-Duett sowie Theresa Engelhardt mit zauberhaftem Gesang, begleitet am Klavier von Florian Engelhardt.
Nach der Lossprechung und der Übergabe der Gesellenbriefe übernahmen die Gesellinnen Berenice von Montgelas und Albertine von Thüngen das Zepter. Im Namen ihrer 20 Kameradinnen sprachen sie Diana Kempf und den Meisterinnen der Lehrwerkstatt Dank, Respekt und Anerkennung aus. Augenzwinkernd und mit liebevollem Humor fassten die beiden die weitreichenden Erfahrungen der handwerklichen Ausbildung zusammen, die wunde Fingerkuppen ebenso einschloss wie die Erkenntnis, dass bauchfreie Kleidung beim Bügeln mit Wasserdampf völlig untauglich ist. Am späten Nachmittag präsentierten die JungGesellinnen bei einer rauschenden Modenschau vor den Augen ihrer Angehörigen ihre eigenen Kreationen.