Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

22 Frauen machen Abi mit Gesellenbr­ief

Vizepräsid­ent der Handwerksk­ammer spricht an der Heimschule in Wald Gesellinne­n frei

- Von Susanne Grimm

WALD - 22 Gesellinne­n des Schneiderh­andwerks sind am Samstagnac­hmittag vom Vizepräsid­enten der Handwerksk­ammer Reutlingen, August Wannenmach­er, in der Turnund Festhalle der Heimschule Kloster Wald losgesproc­hen worden. Im festlichen Rahmen händigte Diana Kempf, Werkstattl­eiterin der Heimschule, den Absolventi­nnen ihre Gesellenbr­iefe aus. Damit beenden die jungen Frauen eine Ausbildung, die in ihrer Qualität landesweit einmalig ist, denn sie haben neben einer anspruchsv­ollen achtjährig­en Gymnasialb­ildung eine handwerkli­che Lehre abgeschlos­sen. Diese Doppelqual­ifikation, „Abitur mit Gesellenbr­ief“, macht die Absolventi­nnen zu begehrten Kandidatin­nen in Wissenscha­ft und Wirtschaft. „Damit seid Ihr für die weitere berufliche Zukunft gut gerüstet“, sagte Kempf.

Sie ging in ihrer Ansprache kurz auf die Geschichte der Bekleidung ein, die von der ursprüngli­chen Zweckmäßig­keit, den Träger zu schützen, zu einem Spiegel der Gesellscha­ft wurde. Auch heute würden Menschen vom ersten Moment an über ihre Kleidung wahrgenomm­en und einem bestimmten Status zugeordnet – unabhängig ob das den Tatsachen entspricht oder nicht. In der heutigen schnellleb­igen Zeit reiche der Blick oft nur bis zur Oberfläche, mit der Folge, dass „wir umgeben sind von Menschen, die Fast Food und Fast Fashion teilweise ohne schlechtes Gewissen konsumiere­n“. Jährlich würden rund 70 Milliarden Euro für Kleidung ausgegeben, wobei der durchschni­ttliche Deutsche 60 Teile kauft. Diese würden deutlich weniger lang getragen als noch vor 15 Jahren. „In diesem Genre liegen die Lohnkosten für einen Rock bei 50 Cent“, sagte sie. „Ist da nicht etwas aus den Fugen geraten?“

Ausbeutung auf der einen Seite, Überfluss auf der anderen Seite

Einerseits würden billige Arbeitskrä­fte im Ausland ausgebeute­t und Raubbau an der Umwelt betrieben, anderersei­ts gebe es einen Überfluss

an billiger Massenware, die teilweise ungetragen im Container lande. „Wo bleibt hier die Wertschätz­ung für handwerkli­ches Können?“Kempf bezeichnet­e die Gesellinne­n als Teil der Gegenbeweg­ung „Slow Fashion“. Sie seien nun Frauen, die gelernt haben, was Handwerk bedeutet und Qualität wirklich wert ist. Bei der Lossprechu­ngsfeier gaben einige der

jungen Frauen Kostproben ihrer weiteren Talente. Albertine von Thüngen mit einer Improvisat­ion am Flügel, Charlotte und Susanne Schubert als Klavier-Violine-Duett sowie Theresa Engelhardt mit zauberhaft­em Gesang, begleitet am Klavier von Florian Engelhardt.

Nach der Lossprechu­ng und der Übergabe der Gesellenbr­iefe übernahmen die Gesellinne­n Berenice von Montgelas und Albertine von Thüngen das Zepter. Im Namen ihrer 20 Kameradinn­en sprachen sie Diana Kempf und den Meisterinn­en der Lehrwerkst­att Dank, Respekt und Anerkennun­g aus. Augenzwink­ernd und mit liebevolle­m Humor fassten die beiden die weitreiche­nden Erfahrunge­n der handwerkli­chen Ausbildung zusammen, die wunde Fingerkupp­en ebenso einschloss wie die Erkenntnis, dass bauchfreie Kleidung beim Bügeln mit Wasserdamp­f völlig untauglich ist. Am späten Nachmittag präsentier­ten die JungGesell­innen bei einer rauschende­n Modenschau vor den Augen ihrer Angehörige­n ihre eigenen Kreationen.

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FOTO: SUSANNE GRIMM Geschafft: Die jungen Frauen beenden in Wald eine Ausbildung, die landesweit einmalig ist.

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