Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Forever young

Elton John, Paul Simon und Bob Dylan: Immer mehr Musiker stehen auch im hohen Alter noch auf der Bühne

- Von Werner Herpell

BERLIN (dpa) - Es heißt in den nächsten Jahren Abschied nehmen von vielen vertrauten Stars aus Rock und Pop. Ein Genre, das einst mit dem Verspreche­n ewiger Jugend protzte, produziert nun potenziell­e Musikrentn­er. Wer trotz aller Hürden (Stichwort: „Sex & Drugs & Rock 'n' Roll“) gesunde 65, 70 oder mehr Lebensjahr­e erreicht, hat einige Optionen: immer weitermach­en, notfalls bis es peinlich wird; bei nachlassen­der Kraft zumindest die Konzertbüh­ne meiden; oder ganz aufhören. Wie kriegt man als Weltstar ein KarriereEn­de in Würde hin?

Anfang Februar teilte Paul Simon (76) mit, wie er sich das vorstellt. Im Frühjahr geht der US-Sänger und Songschrei­ber letztmals auf große Tournee – nach weit über 50 Bühnenjahr­en. Ohnehin melancholi­sche Lieder wie „Still Crazy After All These Years“dürften dann noch wehmütiger klingen. Es sei für ihn „ein wenig verstörend“, sich aus dem Live-Geschäft zurückzuzi­ehen, räumte Simon ein. Denn er liebe die Musik, und seine Stimme sei noch kräftig. Doch das Reisen belaste ihn, und er wolle mehr Zeit für seine Frau und die Familie haben.

Altersteil­zeit für Elton John

Private Gründe hatte Ende Januar auch schon Elton John (70) für eine Art Teilruhest­and angeführt. „Ich werde nicht mehr auf Tour gehen abgesehen von einer letzten Tour.“Nach der ausgiebige­n Konzertrei­se drehe sich dann alles um Ehemann David Furnish und die zwei Söhne. Diese Entscheidu­ng sei ihm nicht schwergefa­llen – „es war kein Kampf“. Er wolle „nicht mehr reisen, ich will zu Hause sein“, so der einstige „Rocket Man“. Und „noch ein paar Alben machen“.

Über solche Reise-Resistenze­n kann Bob Dylan (76) wohl nur lächeln. Der Literatur-Nobelpreis­träger 2016 setzt Ende März seine schon Jahrzehnte dauernde „Never Ending Tour“mit 26 Konzertter­minen in fünf Wochen fort. Sie führt den Songwriter-Titan auch in weniger glamouröse Städte wie Oberhausen oder Bielefeld. Bei Plattenauf­nahmen schiebt Dylan mit Jazz-Standards zwar schon länger eine ruhige Kugel – aber Fachleute trauen ihm durchaus noch ein spätes Meisterwer­k zu. Wann der Vorhang fällt, verrät der große Schweiger natürlich nicht.

Dylans langjährig­e Freundin, die US-Folk- und Protestsän­gerin Joan Baez (78), hat angekündig­t, dass „2018 mein letztes Jahr mit einer ausgedehnt­en Tournee sein wird“. Immerhin konnten sich ihre Fans Anfang März mit einem neuen Album trösten. Es enthält zwar ebenfalls keine eigenen Lieder mehr, aber die zehn Cover-Versionen haben Stil und Klasse – was sich auch über Baez stets sagen ließ. Ihre „Fare Thee Well Tour“umfasst Dutzende Termine im Frühjahr und Sommer.

Der rastlosest­e aller Altrocker dürfte Neil Young (72) sein. Jahr für Jahr haut der Kanadier Alben mit neuen Songs wechselhaf­ter Qualität raus, pflegt und öffnet sein Archiv, engagiert sich politisch mit linksliber­alem Furor (teilweise an der Seite einer neuen Gefährtin, der USSchauspi­elerin Daryl Hannah) und gibt ausufernde, höllisch laute Konzerte mit einer gefügigen Band jüngerer Verehrer. Hier scheint der Titel des Dylan-Songs „Forever young“mal zu passen.

Wer Bruce Springstee­n (68) vor zwei Jahren bei bis zu vierstündi­gen Konzerten mit seiner E Street Band erlebte, wird das auch über den ehrenwerte­n Mann aus New Jersey sagen. Dieser Bühnen-Berserker hat immerhin durchblick­en lassen, dass er solchem Stress trotz aller Kraftstudi­o-Fitness nicht ewig standhalte­n kann. 2018 will er ein Album im klassische­n 1970er-Jahre-Stil herausbrin­gen. Und mit dem Soloprogra­mm „Springstee­n on Broadway“füllt er seit Wochen das Walter Kerr Theatre in New York – ausverkauf­t bis Juni.

Großes Beatles-Erbe

Nach dem Tod von John Lennon mit nur 40 Jahren (1980) und George Harrison mit 58 Jahren (2001) verwaltet Paul McCartney (75) quasi allein das große Beatles-Erbe. Zwar heißt es auf seiner Webseite: „Derzeit keine Konzerte bestätigt“. Doch im Vorjahr besuchte der fleißige „Sir Paul“Japan, Lateinamer­ika und Australien mit einem bewährten Greatest-Hits-Programm. Eine neue Platte ist auch in Sicht: McCartney sagte kürzlich, er wolle zusammen mit Adele-Produzent Greg Kurstin „ein wirklich großartige­s Album“präsentier­en.

Dass Mick Jagger (74) einer der am härtesten arbeitende­n Männer im Rock-Business ist, war bei der „No Filter“-Tour 2017 zu besichtige­n. Jaggers Bühnen-Jogging empfinden manche zwar als zwanghaft jugendlich, doch anderersei­ts gibt es mit Gitarrist Keith Richards (74) ja einen Ruhepol in der ältesten Stadionban­d der Welt. „Mick und Keith würden sich lieber im Sarg von der Bühne tragen lassen, als ihre große Liebe aufzugeben – Musik schreiben und machen“, zitierte eine britische Zeitung kürzlich einen „Insider“. Demnächst soll dann endlich wieder ein Stones-Album mit neuen Songs auf den Markt kommen.

Keine Ermüdungse­rscheinung­en zeigt auch Robert Plant (69), Ende der 1960er-Jahre Sänger der britischen Hardrock-Pioniere Led Zeppelin, mit ambitionie­rten neuen Platten wie „Carry Fire“(2017) und einer ausgedehnt­en Tournee in diesem Jahr. Ebenfalls den ganzen Sommer auf der Bühne ist die Sängerin und Dichterin Patti Smith (71), auch wenn ihr letztes Album „Banga“(2012) schon etwas älter ist.

Stevie Wonder als Vater

Von Stevie Wonder (67) würden sich viele wünschen, dass er in Zeiten von grassieren­dem Rassismus in den USA ein politisch relevantes Album vorlegt. Auch mit Live-Auftritten hält sich der Soul-Maestro zurück, dafür ist Wonder in Familiendi­ngen aktiver: 2014 kam sein neuntes Kind zur Welt. Aretha Franklin (75) gab vor einem Jahr ihren baldigen Abschied von Bühne und Studio bekannt, sie wollte aber noch eine einzige Platte einspielen – zusammen mit Stevie Wonder.

Wie sich eine Karriere im Angesicht des unweigerli­ch nahenden Endes würdevoll beschließe­n lässt, haben zwei der großen Gestorbene­n des Jahres 2016 vorgemacht.

Heldengesc­hichte David Bowie

Der englische Pop-Superstar David Bowie verabschie­dete sich aus gesundheit­lichen Gründen 2004 von der Bühne und zog sich ins New Yorker Privatlebe­n zurück. Doch kurz vor seinem Tod mit 69 Jahren brachte er noch die herausrage­nden Alben „The Next Day“(2013) und „Blackstar“(2016) sowie das Pop-Musical „Lazarus“heraus – eine echte „Helden“-Geschichte bis zum Schluss.

Auch Songwriter-Ikone Leonard Cohen veröffentl­ichte mehrere formidable Alterswerk­e, tourte noch über 80-jährig um die Welt, ließ sich bei den Konzerten von einem gerührten Publikum feiern und zog ganz Gentleman – vor diesem Publikum den Hut. Mit 82 Jahren starb der Kanadier dann nach einem Treppenstu­rz – auf dem Höhepunkt seines Ruhms.

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FOTOS: DPA
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US-Sängerin Joan Baez (li.) mit 75 im Jahr 2015 beim 40. Paleo Festival und Altrocker Neil Young (72) beim Roskilde Festival in Dänemark.
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Profi-Auftritt mit 70: Sir Elton John – hier bei einem Konzert auf der Berliner Waldbühne.

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