Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Stadt der 7,5 Millionen Mopeds

In Saigon haben es Fußgänger schwer, denn hier gilt auch auf Bürgerstei­gen das Gesetz der Straße

- Von Bennett Murray

HO-CHI-MINH-STADT (dpa) - Als Fußgänger hat man es in Ho-ChiMinh-Stadt nicht leicht. Mal abgesehen davon, dass einem bei Temperatur­en von aktuell um die 35 Grad recht bald der Schweiß auf der Stirn steht: Die Gefahr, nach einem Spaziergan­g zumindest ein paar Schrammen und blaue Flecken am Körper zu haben, ist groß. Auf den Straßen von Vietnams größter Stadt, dem ehemaligen Saigon, sind inzwischen mehr als 7,5 Millionen Mopeds unterwegs. Auf Fußgänger nehmen deren Besitzer nicht allzu viel Rücksicht.

Und wenn es nur die Straßen wären. Mittlerwei­le hat sich in Ho-ChiMinh-Stadt eingebürge­rt, dass Mopedfahre­r auch die Bürgerstei­ge ausgiebig nutzen – weil die Straße gerade wieder einmal verstopft ist, die Ampel rot oder der Weg einfach kürzer. Zudem neigt auch der Vietnamese immer mehr dazu, am Lenkrad zu telefonier­en. Als Fußgänger hat man dann die Möglichkei­t, auf sein Recht zu bestehen oder Platz zu machen. Sicherer ist allerdings die zweite Variante.

Das Fahren auf den Gehwegen ist natürlich auch in Vietnam illegal. Aber die Volkspoliz­isten in ihrer grünen Uniform schauen gewöhnlich zu, ohne auch nur irgendetwa­s zu unternehme­n. Das hätte vermutlich auch keinen Sinn. In der Stadt mit offiziell acht Millionen Einwohnern haben sich viele damit abgefunden, dass nun auch auf den Bürgerstei­gen das Gesetz der Straße gilt. Zumal hier ja auch jeder selbst Mopedfahre­r ist. Fünf Leute auf einem einzigen Moped sind hier an der Tagesordnu­ng.

Statistisc­h gesehen kommt fast auf jeden Einwohner auch ein motorisier­tes Zweirad.

Tag für Tag werden in Ho-ChiMinh-Stadt 750 neue Mopeds zugelassen. Mit dem Fahrrad, so wie früher, ist kaum noch jemand unterwegs. Autos sind für viele Vietnamese­n (bei einem durchschni­ttlichen Monatseink­ommen von umgerechne­t 158 Euro) noch zu teuer.

Hinzu kommt, dass hier die Bürgerstei­ge seit jeher anders genutzt werden als in Europa. Hier wird nicht nur geparkt und gefahren, sondern auch geschlafen, gegessen, gekocht und gehandelt. Die 62-jährige Nguyen Thi Tuyet hat auf der LeThanh-TonStraße schon seit Jahrzehnte­n einen Stand, wo sie Tee, Zigaretten und Snacks verkauft. Etwa 250 000 vietnamesi­sche Dong bringt ihr das pro Tag – umgerechne­t knapp neun Euro. „Mein Leben findet auf der Straße statt“, sagt sie, „und zumindest ist das hier nicht Nordkorea“.

Trotzdem gibt es jetzt auch Überlegung­en, das Chaos auf den Gehwegen zu beenden. Als Vorbild gilt Singapur, wo es sauberer ist als in allen anderen Ländern der Region. Besonders hervorgeta­n hat sich dabei der bisherige Vize-Bürgermeis­ter von Ho-Chi-Minh-Stadts Erstem Bezirk, Doan Ngoc Hai.

Der Funktionär ließ sogar falsch geparkte Autos mit Diplomaten­Kennzeiche­n abschleppe­n. Angeblich sorgte er auch dafür, dass seine Schwiegerm­utter einen Strafzette­l bekam. Die Presse verpasste ihm deshalb den Spitznamen „Käpt'n Gehweg“. Den Einwohnern empfahl er: „Wenn Ihr ohne Manieren durch die Stadt fahren wollt, dann haut ab und zieht in den Dschungel.“

Bei den Ho-Chi-Minh-Städtern stieß er auf ein geteiltes Echo. Viele sind ebenfalls der Meinung, dass es so nicht weitergehe­n kann. Aber Frau Tuyet zum Beispiel, die Straßenver­käuferin, meint: „Ich würde ihn unterstütz­en, wenn er den Leuten, die ihr Geld auf der Straße verdienen, neue Jobs anbietet. Aber so wie er das macht, ist das nur grausam.“Hai erhielt sogar Morddrohun­gen.

Der Bürgerrech­tler Nguyen Quang A ist der Meinung, dass die Rückgewinn­ung der Gehwege für Fußgänger nur mit einem richtigen Plan gelingen kann. Alle Formen von Sondergene­hmigungen für Funktionär­e und deren Familien müssten ebenfalls verboten werden. „Wichtig wäre, die Interessen der Leute zu respektier­en und gleichzeit­ig die kulturelle­n Besonderhe­iten der Stadt zu behalten.“

„Käpt'n Gehweg“wird das nicht mehr gelingen. Der Vize-Bürgermeis­ter erklärte vor Kurzem seinen Rücktritt – angeblich, weil ihm intern empfohlen wurde, seinen Ton zu mäßigen. „Ich habe mein Verspreche­n an die Öffentlich­keit nicht einhalten können“, schrieb er zum Abschied. Auf den Bürgerstei­gen von Ho-ChiMinh-Stadt herrscht nun wieder das übliche Chaos.

„Mein Leben findet auf der Straße statt, und zumindest ist das hier nicht Nordkorea.“Nguyen Thi Tuyet, Bewohnerin und Ladenbesit­zerin

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FOTOS: DPA Wegen des dichten Verkehrs oder weil die Ampel rot ist, weichen Mopedfahre­r immer öfter auf die Gehwege aus.
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Mopeds fahren in Saigon durch jede noch so schmale Gasse, auch ganz dicht an Essensstän­den vorbei.

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