Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Menschenleben kann man nicht ersetzen“
Arbeiter von Betonwand erdrückt – Bauleiter wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht
SIGMARINGEN - Der Angeklagte zittert, fährt sich immer wieder mit der Zunge über die Lippen, versucht, die Fassung zu wahren. Im Juni 2016 hat er bei einem tragischen Arbeitsunfall in Sigmaringen, bei dem eine Betonwand einen Menschen erdrückte, nicht nur seinen Mitarbeiter verloren, sondern auch einen engen Freund. Bei der Verhandlung vor dem Sigmaringer Amtsgericht am Mittwoch musste er sich nun wegen fahrlässiger Tötung verantworten, weil er die Sicherheitsvorschriften auf der Baustelle nicht eingehalten hatte. Richterin Elisabetta Carbotta verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von insgesamt 2700 Euro und kam damit der Forderung der Staatsanwaltschaft nach – ein vergleichsweise mildes Urteil, angesichts der tragischen Konsequenzen, wie sie t sagte.
Die Richterin begründete ihre Entscheidung mit der Geständigkeit des nicht vorbestraften Angeklagten. Mit den Konsequenzen des Unfalls sei der Angeklagte zudem fürs Leben gestraft. „Ich frage mich fast jeden Tag, was ich falsch gemacht habe. Es belastet mich emotional sehr stark“, sagte der 61-Jährige.
Am 30. Juni 2016 sollte die Baufirma des Angeklagten die Kellerwände eines Einfamilienhauses in Sigmaringen errichten. Um die Mittagszeit standen die vier Fertigwände auf dem Fundament, doch dem Bauleiter fiel auf, dass die Wände leicht versetzt platziert worden waren und sich somit Lücken gebildet hatten. Also ordnete er an, die dreieinhalb Tonnen schweren Wände um fünf Zentimeter neu auszurichten. Deshalb wurde Wand 3 auf Kommando des Bauleiters entsichert und mit Ketten an einem Kran befestigt, um sie anzuheben. Dabei wurde die benachbarte Wand 4, die ungesichert aber mit der Wand 3 verbunden war, zu Fall gebracht und begrub einen Bauhelfer unter sich. „Ich hab nach ihm geschaut und nach ihm gerufen, aber er war nicht dort, wo ich ihn vermutet hatte“, sagte der Angeklagte. Der Bauhelfer hatte eigentlich den Auftrag, sich um Wand 2 zu kümmern, war aber aus unbekannter Ursache hinter die vierte Wand gelaufen. „Alles war rot, voller Blut“, so der 61-Jährige. „Ich habe zu meinen Mitarbeitern sofort gesagt: Er ist tot.“Der Vorfall erschüttert die Mitarbeiter bis heute, wie Zeugenaussagen nahelegen.
Feuerwehr, Polizei, Notarzt und Rettungssanitäter konnten zunächst nicht an den eingeklemmten Bauhelfer herankommen, bei dem später eine Schädelfraktur und ein SchädelHirn-Trauma diagnostiziert wurde. Mit einem zweiten Kran, der von einer anderen Baustelle geholt wurde, wurden die miteinander verbundenen, insgesamt sieben Tonnen schweren Wände dann angehoben.
An den Wänden fehlen Stützelemente
Gemäß den Vorgaben der Baugenossenschaft und der Firma, die die Fertigteile herstellt, hätten sich an jeder Wand mindestens zwei Schrägstützen, die das Umkippen der Wand verhindern, befinden müssen. Doch der angeklagte Bauleiter arbeitete seit jeher nur mit einer Stütze pro Wand. „So habe ich das vom Vorführmeister der Herstellerfirma 1998 gezeigt bekommen“, sagte der Mann zu seiner Verteidigung. An der vierten Wand war jedoch, wie ein Gutachter bestätigte, keine einzige Stütze angebracht. Sie war lediglich mit Wand 3 über eine Verbindungstraverse verbunden, zur anderen Wand hin gab es eine Eckverbindung. Diese bot jedoch nicht genügen Widerstand, die Wände davon abzuhalten, zu kippen. Eine Berührung oder Erschütterung hatte wohl ausgereicht.
„Ich weiß nicht, warum die Wand nicht gesichert war“, sagte der Angeklagte verzweifelt. Dem erfahrenen Bauleiter sei das Risiko, das die Arbeit mit den schweren Betonelementen mit sich bringe, durchaus bewusst. „Ich mache meinen Mitarbeitern da nie Druck“, so der 61-Jährige.
Die Richterin äußerte Zweifel, dass Wand 3 hinreichend mit einer Schrägstütze gesichert gewesen war. Ein Gutachter hatte nicht zweifelsfrei klären können, ob eine Schraube beim Fall der Wand aus der Verankerung gerissen wurde oder zuvor entfernt worden war.
„Was mir passiert ist, wird mich viele Jahre belasten. Was mir jetzt widerfahren wird, ist reparabel, aber ein Menschenleben kann man nicht ersetzen“, sagte der Mann vor der Urteilsverkündung. Wie schwer ihn das Geschehene mitnimmt, merkt man auch, als er von der Bindung zu dem Angeklagten und dessen Familie erzählt, den er 1991 als Asylbewerber bei sich in der Firma aufgenommen hatte. Der Getötete war früher oft bei der Familie zu Hause, lebte zeitweise sogar im gleichen Haus. Der Angeklagte sei immer für ihn da gewesen, wenn es familiäre Probleme gegeben habe.
„Mein Neffe sagte immer: Er ist wie ein Sohn für dich“, so der 61-Jährige. Mit der Ehefrau des Getöteten stehe die Familie heute noch in Kontakt.