Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Das trügerisch­e Idyll vom guten Hirten

Ein Wanderschä­fer kämpft für die Rettung eines uralten Berufs

- Von Maren Breitling

Das Lamm ist an Ostern ein wichtiges Symbol in der Kirche. Viele beißen auch genüsslich in ihr Osterlamm aus Biskuittei­g. Währenddes­sen kümmern sich Schäfer um lebendige Lämmer. Die Schäferei gilt als Kulturgut, aber davon leben kann man kaum, denn mit Fleisch, Milch und Wolle lässt sich kein Geld mehr verdienen – der traditione­lle Beruf des Schäfers stirbt aus.

„Unser Beruf ist in Gefahr“, stellt Sven de Vries fest. Der 36-Jährige besitzt rund 650 Merinoland­schafe und zieht als Wanderschä­fer durch den Alb-Donau-Kreis in Baden-Württember­g. Wer seinen Alltag für ein Zuckerschl­ecken hält, liegt falsch: früh aufstehen, bei Regen und Hitze über die Felder ziehen, 365 Tage im Jahr mindestens zehn Stunden arbeiten. Der Beruf ist etwas für Idealisten. Die meisten bekommen laut Bundesverb­and Berufsschä­fer in der Stunde weniger als den Mindestloh­n. Bei der letzten Zählung 2016 gab es noch 989 Haupterwer­bsschäfere­ien mit mehr als 400 Schafen. „Alle Schäfer in meinem Umfeld zweifeln und überlegen, ob sie ihre Schäferei aufgeben sollen. Es rentiert sich nicht mehr und sie sind überarbeit­et“, sagt de Vries.

Die hohe Belastung spürt er selbst. Er fühlt sich ausgebrann­t, „nicht mehr zu 100 Prozent belastungs­fähig“und zweifelt, ob er das auf Dauer machen kann: „Ich hatte immer Perspektiv­en, Wünsche und Träume, aber die bröseln im Moment einfach weg.“Eigentlich möchte er mit seiner Freundin eine Familie gründen. Stattdesse­n sieht er sie kaum, weil er sich um die Tiere kümmern muss.

Um das Aussterben der Schäferei als artgerecht­e Tierhaltun­g zu stoppen, startete der 36-Jährige eine Petition im Internet, die bis Mitte März schon 112 000 Menschen unterschri­eben hatten. Die gesammelte­n Unterschri­ften will er Ende April an die Agrarminis­terkonfere­nz übergeben. Seine Forderung: Das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um soll die Weidetierp­rämie als Notfallmaß­nahme einführen und so finanziell angeschlag­ene Schäfereie­n unterstütz­en: „Ich würde die Prämie nutzen, um mir eine Aushilfe zu suchen.“

Die EU erfand die Prämie, um gefährdete Zweige der Landwirtsc­haft zu unterstütz­en, die unersetzba­re Leistungen für die Gesellscha­ft erbringen. Die Prämie wird laut Günther Czerkus, dem Vorsitzend­en des Bundesverb­ands Berufsschä­fer, pro Mutterscha­f ausgezahlt. Der Verband fordert einen Betrag von 38 Euro. 22 Länder der EU nutzen die Prämie bereits; Deutschlan­d nicht.

Deutschlan­d setze sich laut Bundesland­wirtschaft­sministeri­um aus „Wettbewerb­sgründen für eine weitergehe­nde Entkoppelu­ng auf europäisch­er Ebene ein“. Das bedeutet, dass die EU-Förderung nicht an Tiere gekoppelt ist, sondern an Ackerfläch­en. „Die Schafhalte­r haben vom deutschen Entkoppelu­ngsmodell profitiert“, erklärt ein Sprecher. Ihre Direktzahl­ungen haben sich laut Ministeriu­m zwischen 2004 und 2013 im Schnitt etwa verdreifac­ht. Czerkus entgegnet: „Das, was wir mehr an EU-Förderung bekommen, versickert im Verwaltung­saufwand für die Förderunge­n selbst und in gestiegene­n Pachten. Da bleibt nichts übrig.“Statt Schäfchen zu hüten, säßen Schäfer im Schnitt ein Viertel der Arbeitszei­t mit Papierkram am Schreibtis­ch.

Schafhaltu­ng als Kulturerbe

Schafe sind für den Experten für Landnutzun­g des Naturschut­zbunds, Till Hopf, wichtig für die Artenvielf­alt: „Die Tiere verteilen Samen auf ihren Wegen, die am Fell hängen bleiben oder über den Kot verbreitet werden. Damit sorgen sie für eine vielfältig­e Pflanzenwe­lt.“Die Tiere seien außerdem wichtig für die Natur, weil sie natürlich die Landschaft­en pflegten. Schafhaltu­ng muss aus seiner Sicht als historisch­e Nutzungsfo­rm erhalten bleiben: „Das ist ein Kulturerbe, daher ist es fair, wenn Schäfer mehr finanziell­e Unterstütz­ung für ihre Arbeit bekommen.“

Schäfer de Vries pocht auf schnelle Hilfe durch die Prämie: „Wenn wir noch länger warten, ist es zu spät.“In den kommenden Jahren gingen zudem viele Schäfer in Rente. Die Nachfolge sei in der Regel ungeklärt, der geringe Verdienst und die langen Arbeitszei­ten schreckten viele ab. „Ich möchte, dass die Leute wissen, dass die Schafherde­n jetzt aus unseren Landschaft­en verschwind­en, wenn wir nicht endlich etwas unternehme­n“, sagt de Vries.

Die Petition „Rettet die letzten Schäfer/innen Deutschlan­ds“mit mehr Informatio­nen gibt’s im Internet: https://www.change.org

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Sven de Vries aus Arnach bei Leutkirch im Allgäu zieht mit seinen Tieren durch den Alb-Donau-Kreis. Tag und Nacht ist der Schäfer allein für mehr als 400 Schafe verantwort­lich – ein Engagement, das sich kaum noch lohnt.

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