Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Verwaltung­sgerichte ächzen unter Vielzahl an Asylklagen

Personal bei den Verwaltung­sgerichten wurde aufgestock­t – Kein Ende der Klageflut in Sicht

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STUTTGART (lsw) - Die Zahl der Klagen gegen Asylbesche­ide hat sich in Baden-Württember­g innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt und damit einen neuen Höchststan­d erreicht. Unter dem Berg von knapp 48 000 neu eingegange­nen Asylverfah­ren (2016: 18 234) ächzen die vier Verwaltung­sgerichte im Land. Zum Jahresende waren noch gut 37 000 Fälle unerledigt. Die Gerichte kommen an personelle und räumliche Grenzen. In Karlsruhe sind alle Büros voll – ein neuer Richter muss seit April in einem Sitzungssa­al arbeiten.

Die Zahl der Asylverfah­ren fordere die Justiz derzeit maximal, sagte Justizmini­ster Guido Wolf (CDU). „Wir reagieren unter anderem mit zusätzlich­em Personal und räumlichen Maßnahmen.“

Der migrations­politische­r Sprecher der Landtags-Grünen, Daniel Lede Abal, weist die Verantwort­ung dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) zu: „Das Bamf halst mit vielen schnellen und schlampige­n Entscheidu­ngen den Gerichten einen Großteil seiner Arbeit unnötig auf. Diese unsinnige Entscheidu­ngspraxis hat zu einer riesigen Klagewelle geführt.“

„2017 war ein ganz außergewöh­nliches Jahr für uns“, sagte der Pressespre­cher des Verwaltung­sgerichts Sigmaringe­n, Otto-Paul Bitzer. 2018 scheint nicht viel ruhiger zu werden – bisher steige die Zahl der unerledigt­en Asylklagen in Sigmaringe­n noch Tag für Tag. Die Dauer der Verfahren nehme voraussich­tlich zu.

Am Verwaltung­sgericht in Freiburg war nicht nur die Zahl der eingereich­ten Klagen so hoch wie nie, sondern auch die Erfolgsquo­te der Kläger. Sie lag bei 43,7 Prozent, wie Sprecher Klaus Döll sagte. In den Vorjahren habe sie bei etwa 20 Prozent oder weniger gelegen.

Die Vielzahl der Klagen und diese Quote werfen auch aus Sicht des Geschäftss­tellenleit­ers des Flüchtling­srates Baden-Württember­g, Seán McGinley, ein schlechtes Licht auf das Bamf, das die Entscheidu­ngen gefällt hat, gegen die die Geflüchtet­en klagen. Er vermutet politische­n Druck auf die Behörde, schnelle Entscheidu­ngen zu produziere­n. Inhaltlich falsche Bescheide müssten nun von den Gerichten korrigiert werden. „Da wurde ein Haufen von Arbeit von einer Stelle an die andere verlagert, damit Frau Merkel sich hinstellen und sagen kann: Wir haben den Rückstau an Asylanträg­en abgearbeit­et“, sagte McGinley.

Das Land muss für die Bewältigun­g der Welle an Asylverfah­ren zusätzlich­e Richter einstellen. 15 im vergangene­n Jahr, weitere 24 sollen in diesem und im nächsten Jahr dazukommen, teilte das Justizmini­sterium mit. Der Großteil der Richter, die neu eingestell­t werden, kommt direkt aus der Ausbildung und weiß über Asylverfah­ren wenig, wie die Sprecherin des Verwaltung­sgerichts Karlsruhe, Isabel Röcker, sagte.

In Karlsruhe reichen die zwei Gerichtsge­bäude inzwischen nicht mehr aus. Nach fünf neuen Richtern im Jahr 2017 kommen weitere hinzu, einer davon mit Büro im Sitzungssa­al – kein Zustand, wie die Gerichtssp­recherin erklärte. „Mitte 2018 kommt ein drittes Gebäude dazu, weil wir aus allen Nähten platzen.“Im Verwaltung­sgericht Stuttgart wurden neue Aktenzimme­r geschaffen, wie Gerichtssp­recherin Ulrike Zeitler mitteilte. Allein die Akte eines aus Syrien eingereist­en Mannes umfasst demnach rund 200 Seiten. Viele Geflüchtet­e sind durch die langen Gerichtsve­rfahren und das Warten auf eine endgültige Entscheidu­ng verunsiche­rt, meint der Flüchtling­shelfer und Vorstand des Vereins „Move on“Menschenre­chte Tübingen, Andreas Linder. Er sieht ebenfalls eine politische Linie, wonach afghanisch­e Flüchtling­e vom Bamf abgelehnt werden sollen. Eine Beschleuni­gung der Verfahren fände er gut. „Aber nicht auf Kosten der Qualität.“

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FOTO: DPA Prozessakt­en stapeln sich im Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n.

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