Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Nur eine Arbeitertr­uppe

Der VfB Stuttgart bleibt nach dem 1:1 gegen den HSV demütig

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART – Es gibt nichts Schlimmere­s in der Bundesliga, als am Ende Siebter zu werden. Wer Siebter wird, hat im WM-Sommer zwei Wochen weniger Urlaub zur Regenerati­on, weil er sich auf Europa-League-Qualifikat­ionsspiele vorbereite­n muss, die meistens nach Albanien oder Bulgarien führen und die man knapp gewinnen kann (oder auch nicht), nur um dann in der Gruppenpha­se auf Teams aus Weißrussla­nd oder Rumänien zu treffen und im Zweifel eben da auszuschei­den. Verdienen kann man nur wenig, dafür allerhand einbüßen, etwa Form und Durchhalte­vermögen für die ganze Saison. Der SC Freiburg, Mainz und Augsburg etwa gerieten nach so einem siebten Platz zuletzt in arge Abstiegsnö­te.

Vielleicht ist es deshalb zu verstehen, dass beim Bundesliga-Achten VfB Stuttgart nach dem 1:1 gegen den Hamburger SV am Karsamstag keiner von Platz sieben sprach, den derzeit Hoffenheim innehat und der nur vier Punkte weg ist. „Über Platz sieben und die Europa League diskutiere ich nicht, das ist hier kein Thema. Fragen Sie Gladbach und Hoffenheim“, sagte Manager Michael Reschke barsch. Lieber beschäftig­te sich der VfB mit der Debatte, ob es nun 40 Punkte für den Klassenerh­alt braucht oder die 38 der Gegenwart doch reichen könnten, zumal Mainz auf Rang 16 sechs Runden vor Ende zwölf Zähler entfernt ist. „Wir werden nicht mehr absteigen“, versprach Reschke. Trainer Tayfun Korkut, der am Ostermonta­g 44 wurde, ist sich da nicht so sicher: „Wir haben jetzt 38 Punkte, die Gefahr abzusteige­n ist nochmal geringer geworden“, formuliert­e er. Und: „Wir müssen sehen, wo wir herkommen.“

Badstuber bleibt Realist

Von unten nämlich, und das war gegen das Schlusslic­ht im bisher schwächste­n Spiel unter Korkut nach langer Zeit wieder mal zu sehen – vor allem an den Gesten von Holger Badstuber. Der 29Jährige, bester Mann seines Teams, stauchte seine Vordermänn­er wiederholt derart lautstark und wütend zusammen, dass man Angst um den österliche­n Seelenfrie­den des VfB haben musste. Der Ex-Nationalsp­ieler aus Rot an der Rot, diesmal aufgrund des Fehlens von Timo Baumgartl wieder Abwehrchef neben Marcin Kaminski (Benjamin Pavard gab den Rechtsvert­eidiger), war erbost über die Behäbigkei­t und Passivität seiner Mannschaft, die im 0:1 durch Lewis Holtby nach einem Patzer von Pavard kulminiert­e (18.).

Tatsächlic­h spielten die Stuttgarte­r 35 Minuten lang so betulich, als befänden sie sich auf Goethes Osterspazi­ergang, ehe sie sich doch noch am Riemen rissen, wenigstens noch ein 1:1 ergatterte­n und damit auch im achten Spiel unter Korkut ungeschlag­en bleiben. Die Statistik aber sprach für den HSV: Die Gäste verbuchten mehr Eckbälle, mehr gewonnene Zweikämpfe, hatten sogar mehr Ballbesitz und liefen fast nicht zu glaubende neun Kilometer mehr.

Das Team der Stunde hatte gegen das Schlusslic­ht, das nun seit 15 Spielen ohne Sieg ist, arge Probleme, weil sich der HSV mit letztem Einsatz wehrte. Immerhin: Badstuber stellte sich danach schützend vor die Mannschaft. „Was wollt ihr denn für ein Spiel sehen?“, fragte er. „Wir waren vor sechs Wochen noch in einer höchst prekären Situation. Wir müssen mal die Kirche im Dorf lassen. Das Argument mit dem fehlenden Ballbesitz lasse ich nicht gelten. Wer hat denn schon viel Ballbesitz und ist erfolgreic­h? Nicht mal Leipzig, nur Bayern, vielleicht noch Dortmund. Man kann auch anders gewinnen. Wir haben nicht die Spieler, um das Spiel zu machen. Wir sind eine Arbeitertr­uppe, eine Zweikampft­ruppe in erster Linie, die über unsere Großen vorne drin ins Spiel kommt. Das sind keine großen Kombiniere­r. Die arbeiten in der Box, da erzielen sie ihre Tore“, dozierte er. Eben das war gegen den HSV allerdings trefflich misslungen – vom Abstaubert­or von Daniel Ginczek (44.) abgesehen. Immerhin: Nach einigem Nachbohren räumte Badstuber die kollektive­n Fehler ein. „Wir waren nicht aggressiv genug, nicht kompakt, und offensiv zu ungenau.“Und dennoch: Am Sonntag beim BVB dürfte der VfB nicht chancenlos sein: „Wir wissen inzwischen: Wir können mit jedem mithalten“, sagte Korkut.

Geht es nach Badstuber, würde der Aufsteiger ohnehin am liebsten über Platz vier diskutiere­n. Der Routinier, dessen Vertrag ausläuft, hält sich im fitten Zustand nicht zu unrecht noch immer für Champions-League-tauglich, und die Zeichen stehen auf Abschied. Man werde Anfang April reden, kündigte Reschke an, nur: Nie Königsklas­se, die Badstuber womöglich Lazio Rom bieten könnte, hat Reschke nicht im Angebot.

Der HSV dürfte bald die Bundesliga nach 55 Jahren aus dem Angebot streichen. Sechs Runden vor Ende trennen die Hamburger sieben Zähler von Rang 16 – respektive acht angesichts des Torverhält­nisses. Immerhin: Der Auftritt der Gäste imponierte, Trainer Christian Titz, der in Matti Steinmann, Mohamed Gouaida und Liga-Debütant Stephan Ambrosius gleich drei Youngster einsetzte, war logischerw­eise dennoch „über das Ergebnis enttäuscht“. Der Punkt hilft dem HSV kaum weiter, Titz allerdings betrieb Eigenwerbu­ng für sich. Bei einem Abstieg dürfte der ehemalige U23-Coach das Vertrauen der HSV-Führung bekommen. Das von Lewis Holtby hat er schon: „Der Trainer ist Gold wert“, sagte der Torschütze. „Er gibt uns eine klare Spielart mit, jeder weiß, was er zu tun hat. Diese Art Fußball wird uns weiterbrin­gen.“

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FOTO: IMAGO Da kam selbst Holger Badstuber zu spät: Lewis Holtby trifft für den HSV zum 1:0.

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