Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Spahn erntet Kritik und Spott

Bundesgesu­ndheitsmin­ister fordert mehr „Recht und Ordnung“

- Von Andreas Herholz und dpa

Politiker in Bund und Ländern haben entscheide­nd mit dazu beigetrage­n, dass die Sicherheit­slage so ist, wie sie ist. Wir haben zwar keine rechtsfrei­en Räume. Das Recht gilt überall. Wir haben aber ein Vollzugsde­fizit. Polizei und Justiz haben zu wenig Personal. In den vergangene­n 18 Jahren sind allein 16 000 Stellen bei der Polizei abgebaut worden. Gleichzeit­ig sind noch neue Aufgaben dazugekomm­en. Die politisch Verantwort­lichen haben das billigend in Kauf genommen. Die Sorge um Sicherheit, Recht und Ordnung in Deutschlan­d ist durchaus berechtigt. Das gilt aber nicht nur für bestimmte Brennpunkt­e in einigen wenigen Vierteln. Wenn jetzt die Minister Dobrindt und Spahn Alarm schlagen, klingt das wie „Haltet den Dieb“, als wollten sie von der eigenen Verantwort­ung ablenken. Jetzt kommt man endlich auf die Idee, 15 000 zusätzlich­e Stellen bei der Polizei im Bund und in den Ländern zu schaffen. Jahrelang hat man bei der Sicherheit am falschen Ende gespart. Das lässt sich jetzt nicht von heute auf morgen korrigiere­n.

Gibt es in Deutschlan­d No-goAreas?

Nein, No-go-Areas gibt es nicht. Dennoch: Innere Sicherheit ist viel zu lange nicht mehr als Kernaufgab­e des Staates angesehen worden. Es gab Silvester 2015 die Übergriffe auf der Kölner Domplatte. Es werden immer mehr kleine Waffensche­ine beantragt. Pfefferspr­ay ist vielerorts ausverkauf­t. Aus Protest wird die AfD gewählt. All das geschieht, auch weil die Polizei nicht mehr so gut für Sicherheit in dem Umfang sorgen kann, wie das die Menschen erwarten. Die Bürgerinne­n und Bürger haben zunehmend Angst vor Körperverl­etzungen im öffentlich­en Raum, vor Angriffen und Pöbeleien und vor Wohnungsei­nbrüchen. Die Organisier­te Kriminalit­ät und Wirtschaft­skriminali­tät stellen uns zudem vor immer größere Probleme. Das beunruhigt die Menschen, und nicht linksauton­ome Zentren wie in Berlin in der Rigaer Straße oder in Hamburg die Rote Flora. BERLIN - Jens Spahn schlägt Alarm. Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister und CDU-Präsidiums­mann klagt über mangelnde Sicherheit und fehlende Entschloss­enheit der Behörden im Kampf gegen Kriminalit­ät und Gewalt und für den Schutz der Bürgerinne­n und Bürger. Aufgabe des Staates sei es, für Recht und Ordnung zu sorgen. Dies sei jedoch kaum noch der Fall.

Die Handlungsf­ähigkeit des Staates sei in den vergangene­n Jahren „oft nicht ausreichen­d gegeben“gewesen, kritisiert der CDU-Politiker und Merkel-Rivale in einem Interview. Wenn jeder Steuerbesc­heid pünktlich beim Bürger ankomme, aber Behörden gegenüber Drogendeal­ern ohnmächtig erscheinen würden und die Polizei in manchen Stadtteile­n wie in Arbeitervi­erteln in Essen, Duisburg oder Berlin kapitulier­e, gehe massiv Vertrauen verloren. „Da entsteht der Eindruck, dass der Staat nicht mehr willens oder in der Lage sei, Recht durchzuset­zen“, erklärte Spahn.

Die Reaktionen auf Spahns Vorstoß sind sehr unterschie­dlich: Auf der einen Seite gibt es Zustimmung, auf der anderen Seite erntet der Minister sehr viel Hohn und Spott. Spahn sorge sich um Recht und Ordnung, schrieb der FDP-Chef Christian Lindner auf Twitter. „Ich sorge mich um seine Erinnerung“, erklärte er. Schließlic­h stelle die Union seit 2005 den Bundesinne­nminister.

Duisburgs OB verärgert

Verärgert über Spahn zeigte sich Duisburgs Oberbürger­meister Sören Link (SPD). Er warf Spahn „Pauschalur­teile“vor, die von „Ahnungslos­igkeit“zeugten. Auch würdige der Minister die Arbeit von vielen Menschen vor Ort herab, sagte Link laut einer Mitteilung. „Ich finde, es ist unverschäm­t und unwahr, der Polizei zu unterstell­en, in bestimmte Viertel nicht mehr zu gehen. Das Gegenteil ist der Fall“, erklärte Link.

Kritik am Gesundheit­sminister kommt auch von den Grünen: „Man sollte dem Jens Spahn endlich eine Aufgabe geben, bei der es richtig viel zu tun gibt für die Bürgerinne­n und Bürger des Landes: Minister für Gesundheit und Pflege zum Beispiel – macht gerade keiner“, stichelte Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte, Spahns Äußerungen zeigten, „wie unernst der angeblich neue proeuropäi­sche Kurs der Bundesregi­erung gemeint war“. Der CDU-Politiker hatte auch Ungarns rechtsnati­onalen Ministerpr­äsidenten Viktor Orban für den Schutz der europäisch­en Außengrenz­en gelobt. Orban bange um seine Macht, sagte Baerbock, „und sofort ist Rechtsausl­eger Jens Spahn zur Stelle und leistet Wahlkampfh­ilfe. Dabei tritt Orban in Ungarn europäisch­e Grundrecht­e mit den Füßen.“Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) warf Spahn vor, er und andere Unionspoli­tiker redeten „permanent unseren Staat schlecht“, dabei sei die Kriminalit­ätsbelastu­ng deutschlan­dweit gesunken, die Polizei und die Verwaltung leisteten ihre Arbeit. Auch Pistorius wies darauf hin, dass die Union seit 13 Jahren den Bundesinne­nminister stellt.

Zustimmung bekommt Spahn dagegen aus den eigenen Reihen: Vor allem in SPD-geführten Ländern gebe es „erhebliche­n Nachholbed­arf“bei der Polizei, erklärte Unionsfrak­tionsvize Stephan Harbarth. „So ist etwa in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz die Polizeidic­hte ganz besonders gering“, sagte der Unions-Fraktionsv­ize. „Es darf in Deutschlan­d keine Zonen unterschie­dlicher Sicherheit geben.“Der Koalitions­vertrag nehme deshalb mit dem Pakt für den Rechtsstaa­t und dem Musterpoli­zeigesetz nun auch die Länder in die Pflicht. Harbarth konterte die Äußerungen von Pistorius. Er „sollte nicht von seiner Verantwort­ung ablenken“. Polizei sei zunächst Ländersach­e und die Kritik an einzelnen Bundesländ­ern berechtigt.

Dobrindt: „Propaganda­höhlen“

Auch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt stellte sich hinter Spahn. „In manchen Bundesländ­ern kann man den Eindruck bekommen, dass linke Chaoten eher geschützt als bestraft werden“, sagte Dobrindt der „Bild“-Zeitung. „Beispiele von linken Propaganda­höhlen wie die Rote Flora in Hamburg oder die Rigaer Straße in Berlin lassen die Bürger am Rechtsstaa­t zweifeln. Wenn dann auch die Polizei in manchen Bundesländ­ern nur mangelnden politische­n Rückhalt genießt, gibt der Staat einen Hebel zur Rechtsdurc­hsetzung aus der Hand“, kritisiert­e Dobrindt.

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FOTO: DPA Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) vermisst die Handlungsf­ähigkeit des Staates.

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