Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Amokfahrt löst Debatte über Poller in Innenstädt­en aus

Vorschlag von Innenminis­ter Seehofer – Drei Opfer schweben noch in Lebensgefa­hr

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MÜNSTER/BERLIN (AFP/epd/dpa) Der Amokfahrer von Münster hat nach Erkenntnis­sen der Ermittler eindeutig in Suizidabsi­cht gehandelt. Nach Analyse und Auswertung der vorliegend­en Dokumente, Spuren und Aussagen seien sich die Ermittlung­sbehörden sicher, sagte Oberstaats­anwalt Martin Botzenhard­t am Montag.

Derweil ist eine Debatte über den Nutzen zusätzlich­er Betonsperr­en gegen Fahrzeugat­tacken in Innenstädt­en entbrannt. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hatte der „Bild“-Zeitung gesagt, dass Poller in Münster hätten helfen können. Die Behörden müssten die Aufstellun­g von Betonsperr­en „überall prüfen und wenn möglich verbessern“.

Der nordrhein-westfälisc­he Innenminis­ter Herbert Reul äußerte sich am Montag im SWR allerdings skeptisch zum Vorschlag Seehofers. Der CDU-Politiker mahnte eine differenzi­erte Betrachtun­g der Lage an. „Die Antwort kann nicht sein, dass wir unsere Städte zubetonier­en“, sagte er. Es müsse nun vielmehr „klug“nachgedach­t werden, wie Sicherheit erhöht werden könne. „Es nutzt kein Poller, wenn jemand mit dem Messer herumläuft.“

Mit Blick auf den im Mai in Münster stattfinde­nden Katholiken­tag sagteReul,dasSic her heits konzept für diese Veranstalt­ung sei sehr gut und durchdacht. Dennoch wollen die Veranstalt­er und Behörden das Konzept nochmals auf den Prüfstand stellen. Zum größten Laientreff­en der katholisch­en Kirche werden vom 9. bis 13. Mai mehrere Zehntausen­d Gäste in Münster erwartet. Sicherheit werde in seinem Bundesland unter anderem auch dadurch verstärkt, dass Polizei und Verfassung­sschutz mehr Personal erhielten.

CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat die AfD-Spitze aufgeforde­rt, zu den Äußerungen der Bundestags­abgeordnet­en Beatrix von Storch zur Amokfahrt Stellung zu nehmen. Bei den Tweets handele es sich um eine bewusste „Grenzübert­retung“, sagte Kramp-Karrenbaue­r in Berlin. Es stelle sich die Frage an die Führung der AfD, „inwieweit sie solche Mitglieder in ihren Reihen, in der Bundestags­fraktion und auch an prominente­r Stelle in der Partei duldet“, fügte Kramp-Karrenbaue­r hinzu.

Die bereits wiederholt durch streitbare Tweets aufgefalle­ne von Storch hatte direkt nach den ersten Meldungen über die Amokfahrt bei Twitter nahegelegt, ein Flüchtling sei für die Tat verantwort­lich.

Der 48-jährige Jens R. war am Samstag mit seinem Auto in den Außenberei­ch der Gaststätte Großer Kiepenkerl in der Münsterane­r Altstadt gerast und hatte dabei zwei Menschen getötet und etwa 20 Menschen verletzt.

MÜNSTER (dpa) - Nach der Amokfahrt mit insgesamt drei Toten in Münster kommen immer mehr Details über den Täter ans Licht. Zunehmend wird auch deutlich, warum der 48 Jahre alte Jens R. am Samstag seinen Campingbus in eine Menschenme­nge steuerte und zwei Menschen mit in den Tod riss.

„Nach der bisherigen Analyse und Auswertung der vorliegend­en Dokumente, Spuren und Aussagen sind die Ermittlung­sbehörden sicher, dass der 48-Jährige in Suizidabsi­cht handelte“, erklärte Oberstaats­anwalt Martin Botzenhard­t am Montagaben­d zu den bisherigen Ergebnisse­n. Bei der Durchsuchu­ng der Wohnung des ledigen und kinderlose­n Mannes sei unter anderem ein über einen Balken gelegtes Hanfseil mit Henkerskno­ten gefunden worden. Dieses Seil sei ein „eindeutige­r Hinweis“.

Nach wie vor schwebten am Montag drei der Verletzten in Lebensgefa­hr. Unter den Opfern ist nach Informatio­nen der „Bild“-Zeitung auch eine Volleyball­erin des Bundesliga­vereins USC Münster. Die 21-Jährige sei in ein künstliche­s Koma versetzt worden, so die Zeitung. Insgesamt waren bei der blutigen Tat etwa 20 Menschen verletzt worden, die meisten aus der Region rund um Münster. Eine 51-jährige Frau und ein 65-jähriger Mann wurden getötet.

Herkunft der Waffe unklar

Der Täter hatte sich nach der Amokfahrt mit einem Campingbus in der Münsterane­r Innenstadt in seinem Fahrzeug erschossen. Im Magazin der im ehemaligen Jugoslawie­n hergestell­ten Pistole hätten sich noch weitere Patronen befunden. „Offensicht­lich wollte sich der Täter nach der Todesfahrt direkt selber richten“, erklärte der Leiter der Ermittlung­skommissio­n, Kriminalha­uptkommiss­ar Joachim Poll, in einer gemeinsame­n Mitteilung von Polizei und Staatsanwa­ltschaft. „Bei einer Gesamtscha­u der Indizien sind wir uns sicher, der Täter handelte in Suizidabsi­cht.“Woher er die Waffe hatte, war zunächst unklar. „Wir konzentrie­ren uns jetzt mit unseren Untersuchu­ngen insbesonde­re darauf, ein möglichst umfassende­s Bild über das Verhalten des Täters in den Vorwochen zu erhalten“, sagte der Polizeiprä­sident von Münster, Hajo Kuhlisch. So wollten die Ermittler dessen Motivation verstehen.

Der Vater des Täters geht davon aus, dass eine psychische Krankheit seinen Sohn dazu getrieben hat. „Es war eine Krankheit, die ihn in zwei Welten hat leben lassen“, sagte der 79-jährige Möbeldesig­ner und fügte hinzu: „Er bildete sich etwas ein, was das Gegenteil der Wirklichke­it war.“

Deshalb glaube er auch nicht, dass die Polizei das Motiv der Tat jemals klären wird. „Das Motiv war die Krankheit in seinem Kopf.“Sein Sohn habe schon 2015 von Selbstmord gesprochen.

Der Vater bestätigte einen „Spiegel“-Bericht, wonach er schon 2015 dem sozialpsyc­hiatrische­n Dienst der Stadt Münster erklärt hatte, dass sein Sohn suizidgefä­hrdet sei. „Er hat damals am Telefon gesagt, es gehe ihm sehr schlecht. Da ist auch der Satz gefallen: „Vielleicht lebe ich ja nicht mehr lange.“Aufgrund des Hinweises habe Jens R. seinen Vater wegen Verleumdun­g angezeigt, berichtet der „Spiegel“.

Am Sonntag war bekannt geworden, dass der Mann wegen psychische­r Probleme Kontakt zum Gesundheit­samt in Münster hatte und suizidale Gedanken formuliert hatte. In mehreren Schreiben hatte der Industried­esigner nach Medienanga­ben bereits eigene Schuldkomp­lexe und Zusammenbr­üche beschriebe­n. Nach Informatio­nen von „Spiegel Online“soll er zudem schon als Siebenjähr­iger überlegt haben, sich umzubringe­n.

Keine Hinweise auf Gefährdung

Wichtig für die Ermittler sind vor allem ein Schreiben, das in der sächsische­n Wohnung des gebürtigen Sauerlände­rs gefunden worden war, und eine Mail, die Jens R. Ende März an mehrere Bekannte geschriebe­n hatte. „Aus dem Inhalt ergaben sich vage Hinweise auf suizidale Gedanken, aber keinerlei Anhaltspun­kte für die Gefährdung anderer Personen“, teilte die Polizei in Münster mit.

Nordrhein-Westfalens Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) rechnet damit, dass Kommunen sich nach der Amokfahrt erneut Gedanken über die Sicherheit in ihren Innenstädt­en machen. Auch der Katholiken­tag in Münster, das größte Laientreff­en der katholisch­en Kirche (9. bis 13. Mai), will sein Sicherheit­skonzept prüfen und am 24. April vorstellen.

„Poller können helfen“, sagte Reul zur Gefahrenab­wehr und zu dem Vorschlag, mehr Hinderniss­e aufzustell­en. „Wir können aber nicht alle Städte zupollern, wir brauchen auch Rettungswe­ge.“

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FOTO: DPA Die Amokfahrt von Münster lässt die Menschen ratlos zurück.

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